© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Ein Pyrrhussieg
Euro-Rettung: Die Milliarden helfen nicht überschuldeten Staaten, sondern Banken
Wilhelm Hankel

Über die Rettung des Euro ist alles gesagt worden: was sie kostet und wen sie belastet, nämlich insbesondere Deutschland. Nur das Wichtigste wird verschwiegen: daß es nicht um die Währung geht, sondern die Errichtung einer Finanzdiktatur über Europas konkursreifes Staaten-Konglomerat an den Küsten von Mittelmeer und Atlantik. Der geplante Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) wird anders als sein angebliches Vorbild, der Internationale Währungsfonds (IWF), diesen Staaten keine befristete Devisenhilfen gewähren, sondern tief in das „Königsrecht der Demokratie“, die Budgethoheit, eingreifen und diese beseitigen. Im Interesse der Banken und philanthropischer Mustermänner wie George Soros wird dort ein Finanzprotektorat errichtet, das der Vermeidung von Bank- und Staatskonkursen dient.

Wie und in welchem Ausmaß Europas Staaten danach unter der Last so „geretteter“ Staatsschulden- und Steuerhypotheken leiden werden und wie man sie wieder los wird – die Schulden der einen werden jetzt schließlich zu denen ihrer Retter –, darüber wird eisern geschwiegen. Die Sprachlosigkeit der Kanzlerin und ihres bis zur Unerträglichkeit europa-servilen Finanzministers hat ihre Gründe. Entweder wissen beide nicht, was sie tun und sagen sollen. Oder Herr Ackermann von der Deutschen Bank hat ihnen dringend abgeraten, sich darüber öffentlich zu verbreiten. Nach dem Motto: besser „alternativlos“ schweigen, als Finanzwelt, Währungspartner und Öffentlichkeit beunruhigen! Für jeden, der das kleine volkswirtschaftliche Einmaleins beherrscht, ist klar:

Erstens reicht die Grundausstattung des ESM für seine Aufgabe nicht aus; sein Ausleihvolumen (etwa 500 Milliarden Euro) ist durch die bis jetzt angemeldeten Fälle (Griechenland, Irland, Portugal) zu drei Fünfteln (310 Milliarden Euro) verbraucht. Niemand kann sagen, was noch dazukommt, denn die drei Schwergewichte auf der Traktandenliste, nämlich Spanien, Italien und – nicht auszuschließen – auch Frankreich haben ihren Kassensturz noch vor sich. Die Ratingagenturen sind dabei zu überschlagen, was außer den öffentlichen zusätzlich an privaten Schulden der Wirtschaft, der Haushalte und an Ausfällen des Finanzsektors in diese Rechnung mit einbezogen werden muß. In Irland und Spanien ist diese private Schuldenlast weitaus höher als die staatliche.

Zweitens droht Deutschland, dem Hauptfinanzier mit einem Anteil von „nur“ 38 Prozent oder 210 Milliarden Euro für Kapitaleinzahlung und Bürgschaftsobligo des ESM – je nach Konjunkturentwicklung entspricht dies zwei Dritteln bis drei Vierteln der Jahreseinnahme des Bundesfinanzministers –, das Ende seiner autonomen Fiskalpolitik. Die Finanzierung des neuen „Bundesvermögens“ (als solches will Wolfgang Schäuble seine dubiosen Forderungen an den ESM verstanden wissen) wird Bundeshaushalt und Finanzplanung mit neuen Steuern oder Schulden belasten; allein die Zinszahlungen könnten bis auf 40 Prozent der laufenden Einnahmen steigen.

Der FDP fehlte schon im jüngsten Landtagswahlkampf der Mut einzugestehen, daß ihr Steuerentlastungsversprechen weniger am deutschen Sozialstaat als an Europa zu scheitern drohte. Und es könnte noch schlimmer kommen, wenn große Zahler ausfallen, weil sie selber zu Bittstellern der ESM werden oder sich die Armutsländer am Ostrand der EU weigern, den reicheren Bankrottstaaten im Westen Zuschüsse zu gewähren. Der deutsche Fiskus verliert mit der Transferunion die letzten Reste seines finanzpolitischen Handlungsspielraums. Die für Europa reservierten Summen müssen „gegenfinanziert“ – mit anderen Worten: woanders eingespart – werden: bei Bildung, Infrastruktur, Renten. Wo das geschehen soll, können sich Politiker jeder künftig regierenden Koalition dann aussuchen. Wählbarer macht sie das nicht.

Drittens und geradezu trostlos für die Zukunft Europas ist: Die Auflagen der Euro-„Retter“ bewirken das Gegenteil des angestrebten Sanierungseffekts. Vor achtzig Jahren hat Deutschland mit seiner zwecks Eintreibung der Reparationsschulden von den Siegermächten erzwungenen Sparpolitik seine Demokratie ruiniert und mit sechs Millionen Arbeitslosen Hitler den Weg zur Macht geebnet. Soll sich das in den westlichen Randländern der Eurozone wiederholen? Die hochverschuldeten Eurostaaten können sich und den Euro nur retten, indem sie die Währungsunion verlassen und ihre Ersparnisse, die es tatsächlich gibt, nicht zum Schuldenabbau, sondern zur Finanzierung nationaler Entwicklungs- und Strukturprogramme einsetzen. Es ist der einzige Weg, ihre strukturellen Rückstände aufzuholen. Aber dafür brauchen sie ihre nationale Währung, nicht eine fremde, deren Schulden-diktat sie zum „Kaputtsparen“ zwingt und in den Ruin treibt.

Die dem Staatsbankrott entgegentaumelnden Schuldenstaaten der EU werden nicht durch eine Transferunion gerettet, sondern durch ein Moratorium oder einen Schuldennachlaß ihrer Gläubiger. Und dadurch, daß sie sich den Anschluß an Europa (und den Euro) selbst erarbeiten. Denn der Euro ist kein anderes Wort für Entwicklungshilfe.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war Leiter der Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht.

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