© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Marschbefehl in die Wüste
Auslandseinsatz: Im Windschatten der Führungskrise der FDP bereitet die Koalition den Einsatz der Bundeswehr in Libyen vor
Paul Rosen

Der Zerfall der FDP hat auf die Bundesregierung und das Kabinett bisher keine Auswirkungen. Kanzlerin Angela Merkel und ihre CDU fühlen sich eher gestärkt, da der liberale Koalitionspartner ihnen kaum noch hineinreden kann. Wenn CSU-Chef Horst Seehofer die Union davor warnt, sich von der Schwäche des liberalen Koalitionspartners „infizieren“ zu lassen, dann handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver. Seehofer will von der eigenen Schwäche seiner Partei ablenken.

Der scheidende FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle ist – wie Amerikaner sagen würden – eine „lame duck“ (lahme Ente). Sein designierter Nachfolger im Parteiamt, Gesundheitsminister Philipp Rösler, muß erst seine Macht und dann die eigene Partei stabilisieren. Die Frage, ob Deutschland diese FDP noch braucht, ist noch nicht endgültig entschieden.

Trotz der miserablen Umfragewerte von derzeit noch drei Prozent folgen die 93 liberalen Abgeordneten brav den Vorgaben von Koalitions- und Parteiführung. So wie sie in der Energiepolitik zusammen mit den Atomkraftwerken ihren Anspruch auf Wirtschaftskompetenz aufgaben, folgen sie auch in der Europa- und Außenpolitik den Vorgaben von oben wie die Lemminge auf dem Weg zum Abgrund. In der CDU zeigt sich eine vergleichbare Entwicklung. Die Niederlage in Baden-Württemberg wurde mit Fukushima erklärt und dann zur Tagesordnung übergegangen. Längst gibt es keine respektablen Persönlichkeiten mehr, die die CDU-Chefin und Kanzlerin wenigstens in eine Sachdebatte zwingen können. An die Stelle früher selbstbewußter Abgeordneter sind willfährige Politik-Verwalter getreten, die für treue Vasallendienste mit Staatssekretärs- und Ministerämtern belohnt werden. Dieses System wird noch bis zum letzten Tag vor seinem Sturz für parlamentarische Mehrheiten sorgen. Neuwahlen erwartet selbst SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zur Zeit nicht.

Wer etwa geglaubt hätte, die Koalition würde angesichts ihres Zustandes die tägliche Arbeit vernachlässigen, sah sich getäuscht. In der letzten Sitzungswoche des Bundestages fanden etliche Abstimmungen über Gesetze statt – und keine ging für die Koalition verloren. Der Laden läuft, es fragt sich nur wohin. In der Außenpolitik etwa fährt die Regierung, die noch vor wenigen Wochen im Weltsicherheitsrat die Libyen-Resolution nicht unterstützte, sondern sich enthielt, einen Zickzackkurs. Jetzt will sie der Entsendung von Bodentruppe zur Sicherung von Hilfslieferungen zustimmen (Kommentar Seite 2). Die Libyen-Politik sei „so gradlinig wie eine Fahrt auf der Achterbahn“, wunderte sich der Tagesspiegel.

Natürlich versuchte die Regierung den Eindruck zu erwecken, es gehe wieder einmal nur um Transportkräfte, Sanitäter und Feldjäger. Die Widersprüche konnte sie jedoch nicht ausräumen. So dürfen deutsche Soldaten in den Awacs-Aufklärungsmaschinen über dem Mittelmeer nicht mitfliegen, aber sollen in Libyen an Land gehen und bei den Rebellen oder der Zivilbevölkerung Hilfspakete abgeben. An dem von der Nato durchzusetzenden Waffenembargo gegen Libyen darf sich die Marine nicht beteiligen. Jetzt soll sie aber Schiffe stellen, die im Hafen von Bengasi oder anderswo Truppen absetzen und Hilfspakete abladen. Einfach wird der Hilfseinsatz übrigens auch nicht: Wenn marodierende Gaddafi-Anhänger die von der Bundeswehr ausgeguckten Hilfsempfänger zu erschießen beginnen – was macht man dann? Den Diktator um eine Pause bitten, die Pakete abgeben, eiligst gehen und Gaddafis Leute weitermorden lassen? Einzig die Linke hat die Dinge bisher so ausgesprochen, wie sie sind: „Humanitäre Kriegseinsätze gibt es nicht“, kommentierte die Linken-Vorsitzende Gesine Lötzsch. Wer Soldaten in Kriegsgebiete schicke, schicke sie in den Krieg und ziehe Deutschland in den beginnenden Krieg hinein.

Dies scheint Merkel und Westerwelle klar zu sein. Sonst würden führende Koalitionspolitiker nicht von einem „robusten“ Mandat reden, was das Recht auf  Waffengebrauch einschließt. Warum Deutschland jetzt Truppen nach Libyen schicken will, ist schnell erklärt: Die unerwartete Berliner Neutralität beim Lufteinsatz der Nato gegen Libyen hat zu großen Rissen im westlichen Bündnis geführt. Der Bodeneinsatz oder Hilfseinsatz soll von der EU mit ihren „Battle Groups“ geführt werden, zu denen auch Einheiten der Bundeswehr gehören. Zieht sich Berlin hier auch zurück, ist die „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ der EU dahin.

Trotz der avisierten Zustimmung von SPD und Grünen ist davon auszugehen, daß die Koalitionsfraktionen für ihren Kurswechsel genug Stimmen für eine eigene Mehrheit aufbringen. Das gilt auch für eine andere Entscheidung von historischer Dimension. CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier gab sich bereits überzeugt, daß man im Bundestag eine Zustimmung für den dauerhaften Euro-Rettungsschirm erhalten werde, um für die Folgen südeuropäischer Schuldenpolitik aufzukommen. Größerer Unmut in den Regierungsfraktionen war bisher nicht zu spüren.

Foto: Deutsche Soldaten bei einer Evakuierungsaktion Ende Februar in Libyen: „Fahrt in der Achterbahn“

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