© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Dem Zauber der Natur ausgeliefert
Malerin des Nordens: Eine Ausstellung vor den Toren Kiels zeigt Werke der Malerin Käte Lassen
Hans-Joachim von Leesen

In Heikendorf, einem 8.300-Seelen-Ort vor den Toren Kiels, ist im dortigen Künstlermuseum derzeit eine Ausstellung mit Werken der Malerin Käte Lassen zu sehen. Der überaus große Andrang bei der Eröffnung – die Ausstellungshalle konnte die Zahl der Gäste nicht fassen – zeigte, wie anerkannt, ja, wie populär die 1956 in Flensburg verstorbene Künstlerin in Schleswig-Holstein immer noch ist, und das obgleich die letzte repräsentative Ausstellung ihrer Werke schon weit zurückliegt, sieht man ab von der anläßlich des Erscheinens der großen Monographie von Christina Mahn (heute: Kohla) 2007 in Flensburg veranstalteten Schau „Käte Lassen – Grenzgängerin der Moderne“.

Das rege, aufgrund einer Privatinitiative gegründete und aus privaten Mitteln unterhaltene Museum hat sich unter der sachkundigen Leitung der Kunsthistorikerin Sabine Behrens zu einem erstzunehmenden Ausstellungsort für Künstler rings um die Ostsee entwickelt. In diese Reihe gehört auch Käte Lassen. Zwar sind viele ihrer Werke vor allem in ihrer Heimatstadt Flensburg ständig zu sehen, und auch in einigen Kirchen locken die von ihr gestalteten, häufig monumentalen Kirchenfenster viele Besucher an. Doch herrscht eine gewisse Unsicherheit angesichts immer mal wieder aufkommender Verdächtigungen, die Künstlerin habe in den dreißiger Jahren womöglich doch eine Nähe zur NS-Kunst aufgewiesen. Schließlich hatte sofort nach der Besetzung Schleswig-Holsteins durch britische Truppen 1945 ein maßgeblicher Besatzungsoffizier angeordnet, daß eines der repräsentativsten und größten Wandbilder von ihr in der Aula einer Oberschule in Eckernförde unverzüglich zu übermalen sei. Es ist bis heute für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Die neue Ausstellung unter dem Titel „Kinder am Meer – Käte Lassen an der Westküste“ zeigt eine eher geringe Auswahl von charakteristischen Gemälden der Künstlerin sowie einige Originale der von Käte Lassen vor dem Zweiten Weltkrieg aquarellierten Federzeichnungen zu einem von ihr geplanten Kinderbuch, das erst 2007 verwirklicht wurde – und schon vergriffen ist. Eine Neuauflage unter dem Titel „Am Meeresrand im Dünensand“ wird vorbereitet Es ist ein in der Tat ungewöhnliches Buch mit eindrucksvollen Bildern von Kindern, wie sie nach Käte Lassens Auffassung nur an der Nordseeküste leben, in ihrer Umgebung mit Muscheln, Fischen, Seevögeln.

Ihre Gemälde von Landschaften, vor allem aber von Menschen der Nordseeküsten faszinieren. Nachdem sie ihren Stil gefunden hatte, verstand sich Käte Lassen als Malerin des Nordens. So sieht man denn überwiegend Porträts von Fischerkindern und ihren Eltern, von Schafen und Fischerhäusern, vom Meer und vom weiten Himmel. Manches erinnert an Bilder von Emil Nolde, der sie, wie er sagte, außerordentlich achtete, obgleich sie „ganz anders ist als ich“. Eher trifft wohl eine Verwandtschaft zu Bildern von Edvard Munch zu, die mancher zu erkennen glaubt. Kritiker sprechen immer wieder von der herben Darstellungsart, die Lassens Bilder auszeichnen. Wie man sie in die Kunstgeschichte einordnen soll, darüber besteht Unsicherheit. Treffend hat es wohl die junge Kunsthistorikerin Christina Kohla formuliert, als sie ihre Dissertation unter den Titel „Grenzgängerin der Moderne“ gestellt hat.

Käte Lassen wurde 1880 als ältestes von acht Kindern in Flensburg als Tochter eines wohlhabenden Goldschmiedes geboren. Schon mit 16 Jahren besuchte sie die Kunstgewerbeschule in Hamburg und wechselte zur „Damenakademie“ des Münchener Künstlerinnenvereins. Dort geriet sie – was in ihren Bildern zu erkennen ist – unter den Einfluß eines Professors, der Schüler von Ferdinand Hodler war; er bescheinigte ihr ein „ungewöhnliches Talent“.

Eine Reise nach Kopenhagen führte sie auch an die jütländische Nordseeküste, in der sie ihre Traumlandschaft fand. Viele Sommer verbrachte sie malend und in einer bescheidenen Hütte wohnend am Rand der Nordsee. In Flensburg wurde sie vom Direktor des Kunstgewerbemuseums, später des Thaulow-Museums in Kiel, Ernst Sauermann gefördert, eine der führenden Persönlichkeiten der damals entstehenden Heimatschutzbewegung.

Schon ihre ersten Ausstellungen wurden von einer begeisterten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen. Zwar erregten ihre ungewöhnlichen Werke auch Befremden, doch war man sich einig, daß sie, wie ein Kritiker schrieb, „in die allererste Reihe der malenden zeitgenössischen Frauen“ gehört. 1913 erhielt sie von der Königlich Preußischen Staatsregierung den Auftrag, für den neuen Bau des Gymnasiums in Flensburg ein repräsentatives Wandgemälde zu gestalten. Es wurde ein Bild mit dem Titel „Petris Fischzug“, dessen Fertigstellung jedoch durch den Ersten Weltkrieg immer wieder verzögert wurde, bis es endlich 1922 eingeweiht werden konnte.

Als Anfang der dreißiger Jahre die Jungmannschule, Oberschule für Jungen, in Eckernförde umgestaltet werden sollte, erteilte der damalige Direktor Käte Lassen den Auftrag, die Aula mit einem repräsentativen Wandgemälde zu schmücken, das „eine historische, zu unserer Jugend sprechende Begebenheit darstellen sollte“  – eine gewaltige Aufgabe, maß doch die für das Kunstwerk vorgesehene Wand 9 mal 4,50 Meter. Käte Lassen schlug, beraten von Freunden, vor, dort den von Tacitus in seiner „Germania“ geschilderten „Schwertertanz nordischer Jünglinge“ darzustellen. Da der Staat sich nicht in der Lage sah, einen namhaften Zuschuß für die Finanzierung zu leisten, mußte der Direktor der Schule Geldgeber suchen. Schließlich gelang es ihm, von der Kreisverwaltung, der Sparkasse, einem Wohlfahrtverein und vielen Eckernförder Bürgern ganze 2.250 Reichsmark zusammen zu bekommen. Kate Lassen, eine besessene Künstlerin, willigte trotzdem ein. 1939 wurde das Wandbild vollendet.

Christina Kohla schildert in ihrer Dissertation das Bild: „In der Bildmitte vor drei weißen Pferden laufen acht junge Männer mit erhobenen Schwertern im Kreis. Rechts und links stehen jeweils drei Personen mit geschulterten Schwertern bzw. mit gesenkten Schwertern auf der anderen Seite. (…) Während die meisten Jünglinge im Profil wiedergegeben worden sind, wendet der mittlere seinen Oberkörper den Betrachtern zu (…)“. Alle Personen wirken in ihren Bewegungen wie erstarrt. Der Aufbau des Wandgemäldes ähnelt stark, worauf Christina Kohla hinweist, dem Wandgemälde von Ferdinand Hodler „Einmütigkeit“ im Rathaus von Hannover.

Als 1945 britische Offiziere die Schulen visitierten, ordneten sie an, das Bild zu zerstören. Es wurde mit einer Tapete überklebt und geriet in Vergessenheit. In den achtziger Jahren sollte die Aula des inzwischen in Pestalozzischule umbenannten Gebäudes renoviert werden. Die Handwerker entdeckten unter den abgerissenen Tapeten die Reste von Käte Lassens Gemälde.

Nachdem die zunächst rätselhafte Herkunft geklärt war, ordnete der damalige Bürgermeister von Eckernförde, der Sozialdemokrat Klaus Büß, später schleswig-holsteinischer Minister, an, das Bild solle vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Man befestigte auf Metallrahmen gespannten dunklen Stoff vor den Resten des Gemäldes. Christina Kohla ließ unter erheblichem finanziellen Aufwand die Rahmen entfernen und mußte feststellen, daß das Kunstwerk weitgehend zerstört ist. Lediglich die Umrißzeichnungen sowie einige Farbreste sind noch zu erkennen. Nachdem sie es fotografiert hatte, mußten die Metallrahmen mit dem dunklen Stoff wieder angebracht werden.

Restaurieren läßt sich das Bild durchaus, befinden sich doch die Modellskizzen und der Entwurf im Besitz des Flensburger Museums. Bisher fühlte sich jedoch niemand bemüßigt, die Initiative zu ergreifen. So bleibt das bedeutende Wandbild einer großen Malerin unzugänglich, einer ganz und gar unpolitischen Künstlerin, die nur das Pech hatte, Motive zu wählen, die einer Siegermacht und ihren Gefolgsleuten nicht passen.

Die Ausstellung „Kinder am Meer – Käte Lassen an der Westküste“ Ist bis zum 15. Mai im Künstlermuseum Heikendorf, Teichtor 9, täglich außer montags von 14 bis 17 Uhr , So. ab 11 Uhr, zu sehen. Telefon: 04 31 / 24 80 93

 www.kuenstlermuseumheikendorf.de  www.kaete-lassen.org

Foto: Nordischer Schwertertanz, Wandgemälde von Käte Lassen in der Aula der Jungmannschule zu Eckernförde (1939), heute Pestalozzischule: 1945 ordnete die britische Besatzungsmacht an, das Bild zu zerstören. Es wurde mit einer Tapete überklebt und geriet in Vergessenheit.

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