© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Sarrazin bleibt Lieblingsfeindbild
„taz“-Medienkonferenz: Linke sind nur dann für freie Debatte, wenn sie ihnen paßt
Lion Edler

Wenn ein Medienkongreß über die Veränderung der Medien durch das Internet diskutieren will, dann müssen sich die Veranstalter derzeit über einen Mangel an aktuellen Themen nicht beklagen: Von Wikileaks über die Rolle der Medien bei den Aufständen in Nordafrika bis hin zu den Facebook-Initiativen für den zurückgetretenen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist allerhand Gesprächsstoff geboten. „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“, lautete das Motto eines von der taz und der ebenso linken Wochenzeitung Freitag veranstalteten Medienkongresses, der am vergangenen Wochenende in Berlin stattgefunden hat und nach Angaben der taz von etwa 1.500 Gästen besucht wurde.

Die Diskussionsveranstaltung „Das große Leck“ beschäftigte sich etwa mit den Veröffentlichungen von vertraulichen Berichten des US-amerikanischen Außenministeriums durch die Netzplattform Wikileaks. Dort verwies der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz darauf, daß gerade nach dem 11. September viele Informationen aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich gemacht würden. Hierbei stelle Wikileaks „eine gesellschaftliche Gegenbewegung dar, welche die Informationsgesellschaft diskutieren läßt“, so von Notz.

Kritisch äußerte sich der Politiker jedoch über die Informationsverbreitung durch die Plattform. Die Persönlichkeitsrechte des einzelnen könnten verletzt werden, wenn man alle Informationen veröffentliche, die man erhalte. Der Schutz der einzelnen Personen stehe jedoch „auch in der Hacker-Ethik im Mittelpunkt“, merkte von Notz an. 

Nicht alle teilten die Begeisterung für Wikileaks, halten die „geleakten“ Daten für einseitig: Großen Applaus erntete die rhetorische Frage eines Zuhörers aus dem Publikum, ob man bei der Debatte um Wikileaks wirklich von einem „großen Leck“ sprechen könne, oder ob es sich nicht eher um ein „Rinnsal“ handele angesichts eines auf intransparente Weise beschlossenen und 500 Milliarden Euro schweren Rettungspakets für finanzschwache EU-Staaten, über das es keine öffentliche Debatte gegeben habe.

Ein „großes Anliegen“ war den Veranstaltern laut Programmleiter Jan Feddersen die Rolle des Islam in den Medien. Die Veranstaltung „Der Islam, dein liebstes Feindbild?“ sei daher „ganz bewußt“ auf eine Zeit gelegt worden, bei der mit vielen Besuchern gerechnet werden konnte. Dort sprach unter anderem der FAZ-Feuilletonleiter Patrick Bahners, dessen Buch „Die Panikmacher – Die deutsche Angst vor dem Islam“ von Feddersen zum „Gegen-Sarrazin“ geadelt wurde.

Laut Bahners sei dem zurückgetretenen Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin eine „unverhältnismäßige Wichtigkeit“ zugemessen worden. Angela Merkel habe die Kritik an Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ in gutem Ton vorgetragen. Die Kanzlerin hatte sein Buch als „nicht hilfreich“ bezeichnet. Niemand habe Zensur gefordert, die Frage sei lediglich, ob sich ein Bankvorstand so äußern solle, daß er „jeden Türken mit Schnauzer anpackt und sagt: ‚Du hast doch auch Kopftuchmädchen zu Hause, und ich verachte dich!‘“

Bax geißelte die Diskussion über Sarrazin und erregte sich unter anderem darüber, daß die FAZ Sarrazin umfassend habe zu Wort kommen lassen. Obwohl sein Buch „den gleichen Sound“ aufweise wie Aussagen der Republikaner in den neunziger Jahren, hätten die Medien Sarrazin „den roten Teppich ausgerollt“.

Dagegen sah der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad den Kern des Problems nicht in einer mangelnden Fairneß der Medien gegenüber dem Islam. „Mit welchem Thema gehen die Medien eigentlich fair um?“ fragte Abdel-Samad.

Es gehe „die ganze Zeit um Polarisierung“. So sei er beispielsweise „entsetzt“ gewesen, daß die Einschaltquote bei der Berichterstattung der Tagesschau eine Rolle spiele. „Was ist das für eine Denkweise?“ fragte der Autor des Buchs „Der Untergang der islamischen Welt“. Daniel Bax zeigte sich dennoch nicht versöhnlich mit den Medien.

Bei der Bild-Zeitung, die in bezug auf Antisemitismus „vorbildlich“ agiere, seien gleichzeitig bei Muslimen „alle Dämme offen“. Bax sprach von einer „Zäsur“ im Umgang der Medien mit Sarrazins Buch, zumal ganz Deutschland bei Antisemitismus zu Recht sensibel reagiere: „Warum ist Martin Hohmann aus der CDU ausgeschlossen worden? Wir wollten keine Debatte über Tätervölker – aus gutem Grund.“

Vielleicht hat Bax ja auch bemerkt, daß selbst auf dem taz-Medienkongreß scheinbar tatsächlich „alle Dämme offen“ sind. Denn bei einem Verkaufsstand der Kulturzeitschrift Lettre International, der auf dem Kongreß aufgebaut wurde, legte das Verkaufspersonal eine ganz besondere Ausgabe aus: Heft Nummer 86 beinhaltet das legendäre Interview mit Thilo Sarrazin, in dem dieser unter anderem mit Aussagen über „Kopftuchmädchen“ Aufsehen erregte.

Bis zur Mittagszeit sei sie allerdings keine einzige Ausgabe des Hefts losgeworden, klagt die Verkäuferin. „Bis auf die fünf Seiten ist es aber eine wirklich gute Ausgabe!“, beruhigt die junge Dame – und distanziert sich damit von einem Teil ihres eigenen Produkts. Aber liegt die Ausgabe nicht eher deshalb auf dem Tisch, weil sie auf Käufer hofft, die es genau umgekehrt sehen? „Inklusive des Interviews mit Thilo Sarrazin“, so weist ein Werbeschild auf dem Tisch auf den wohl wichtigsten Kaufgrund hin.

Foto: Neues Logo, alte Ideen: Größte Neuerung des Medienkongresses war das neue Logo, mit dem die  „taz“ seit dieser Woche erscheint

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