© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Die Strippenzieher aus Gütersloh
Thomas Schuler präsentiert erhellende Erkenntnisse über den Einfluß der Bertelsmann-Stiftung auf die große Politik
Karlheinz Weissmann

Als Thomas Schulers „Bertelsmannrepublik Deutschland“ erschien, nutzte die FAZ die Gelegenheit, um im großen Stil darauf aufmerksam zu machen. Das hätte eine breite Debatte über das Buch wie das behandelte Thema in Gang setzen können. Das war aber nicht der Fall, und das ist erklärungsbedürftig. Denn Schuler hat viele Indizien dafür zusammengetragen, daß sich hier eines der weltgrößten Medien- und Dienstleistungsunternehmen über eine von ihm abhängige Stiftung direkten Einfluß auf die Politik und indirekten auf zentrale Bereiche des gesellschaftlichen Lebens verschafft.

Was den ersten Punkt betrifft, stellt Schuler eine Faktenreihe zusammen, die vor allem die Verschränkung zwischen Bertelsmann und der Politischen Klasse deutlich werden läßt. Unabhängig von der Parteizugehörigkeit hat man sich der Bundes- und verschiedenen Landesregierungen als Berater zur Verfügung gestellt. Von der Positionierung eigener Leute im Umfeld der Entscheidungsträger (der bekannteste Fall: Werner Weidenfeld) über die personelle Wechselbeziehung zwischen Politik und Stiftungsführung (Horst Teltschik, der ehemalige Vizekanzleramtschef und enge Berater Kohls, wurde 1991 Geschäftsführer der Stiftung), die Einflußnahme auf hohe Würdenträger (Schuler macht das mindestens für Schröder, Herzog, Rau und Köhler plausibel) bis zum Entwurf politischer Gesamtkonzepte (unter anderem Hartz IV oder die Reorganisation des Universitätsaufbaus über „Hochschulräte“) und zur Bildung quasistaatlicher Hybridinstitutionen (so das Centrum für Hochschulentwicklung als „heimliches Bundesbildungsministerium“) reicht ein breites Spektrum.

Die Einflußnahme Bertelsmanns wird vor allem im Bereich der Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen spürbar und in der Bildungspolitik. Zwar ist die Entwicklung in Deutschland noch nicht so weit gediehen wie in Großbritannien, wo eine ganze Region ihre Verwaltung privatisiert hat. Aber wer sich fragt, woher eigentlich im letzten Jahrzehnt die Favorisierung „integrierter“ Schulformen und „kompetenz-orientierten“ Unterrichts, der Glaube an „Standards“ und „Evaluation“ und „Rankings“ in Schule wie Hochschule kam, wie sich die Etablierung privater Universitäten einerseits, die Durchsetzung von Studiengebühren andererseits erklärt, der wird von Schuler auf Modelle hingewiesen, die von der Bertelsmann-Stiftung konzipiert wurden.

Der Verfasser betont dabei, daß man es nicht einfach mit einer Marotte des Stifters Reinhard Mohn zu tun habe, der von der Idee objektivierter Leistungsmessung fasziniert war und dem offenbar nie jemand klargemacht hat, daß die Definition einer „Leistung“ in verschiedenen Bereichen menschlicher Tätigkeit ein heikles Problem ist; er hat auch eine Erklärung für die Energie und Unbeirrbarkeit parat, mit der Stiftung wie Unternehmen (beider Interessen sind in vielen Fällen kaum zu trennen) nach Mohns Tod die entsprechenden Ziele weiterverfolgen: Es geht im Kern darum, einen der großen Wachstumsmärkte des 21. Jahrhunderts zu erschließen.

Deutlicher: In dem Maß, in dem sich das staatliche Schul- und Hochschulsystem unfähig zeigt, seine zentralen Aufgaben zu erfüllen, wird eine Mittelschicht, die über die finanziellen Möglichkeiten verfügt und ein waches Interesse am Fortkommen ihrer Kinder hat, bereit sein, Bildung zu kaufen; und in dem Maß, in dem der Staat sich aus der Administration zurückzieht oder Leistungen an private Anbieter überträgt, wird die Kommerzialisierung dieses Bereichs drastisch vorangetrieben und von Spezialanbietern ein Kundeninteresse befriedigt, das im Grunde erst künstlich erzeugt wurde. Es sind damit aber nur zwei zentrale Themen angesprochen, ein drittes wäre ohne Zweifel der Versuch der Bertelsmann-Stiftung, auf die staatliche „Medienreform“ zuzugreifen, um eine Gesetzgebung zu erreichen, die für die zum Konzern gehörenden Sender (RTL, RTL 2, Super RTL, Vox, n-tv) nützlich, mindestens aber nicht schädlich wäre. Schuler kann zwar nicht beweisen, aber doch plausibel machen, daß es der „größten und einflußreichsten operativen Stiftung in Deutschland“ gelungen ist, zu einem Faktor von erheblichem politischen Gewicht zu werden. Das Vorbild dafür war die amerikanische Ford Foundation, die in den sechziger Jahren das traditionelle Konzept der Unterstützung bestehender Institutionen aufgab und stattdessen ein neues Selbstverständnis – geprägt durch die Begriffe des „activist“ oder „socially conscious“ – entwickelte, das heißt direkt auf die Umgestaltung der Gesellschaft einzuwirken versuchte.

Schuler versäumt es leider, die dahinterstehende Zielsetzung genauer zu klären. Der Verweis auf das Gewinnstreben des Konzerns oder der Familie Mohn oder auf den „Neoliberalismus“ genügt nicht. Eher muß man von einem Versuch sprechen, die Demokratie auf sanftem Weg in eine Timokratie  (Herrschaft der Besitzenden) zu überführen, wobei das Gerede über „Offenheit“, „Selbstbestimmung“ und „Transparenz“ nur der Verschleierung von Herrschaftsinteressen dient. Dieser Schritt der Analyse wäre notwendig, um der Analyse eine Schlüssigkeit zu geben, die über das journalistische Interesse an Entlarvung oder die Befriedigung einer eher naiven linken Weltsicht hinausgeht. Wichtiger als eine solche intensivere Form der Auseinandersetzung wäre nur der Widerstand gegen das, was Stiftung und Politik und Stiftungspolitik vorantreiben wollen, denn dieser Widerstand ist bis heute verblüffend gering.

Thomas Schuler: Bertelsmannrepublik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik. Campus  Verlag, Frankfurt am Main 2010, gebunden, 304 Seiten, 24,90 Euro

Foto: Angela Merkel zwischen Reinhard Mohn, Brigitte Mohn, Liz Mohn und Gunter Thiele (v.l.n.r.) auf einer Veranstaltung der Bertelsmann-Stiftung 2007: Quasistaatliche Hybridinstitution

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