© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Frisch gesungen
Der Braunschweiger Domkantor Gerd-Peter Münden will das Volkslied retten und geht dazu in die Schule
Philippa Durst

Volksmusik à la Musikantenstadl ist nicht jedermanns Sache. Nicht zuletzt, weil die Zuhörer spüren, daß es auf der Bühne bei den Kastelruther Spatzen, den Wildecker Herzbuben und Konsorten nicht authentisch zugeht, wenn Playback im Hintergrund läuft. Ihre volkstümlichen Adaptionen haben mit den klassischen Volksliedern von Goethe und Eichendorff wenig gemeinsam.

Der heutige Volksschlager steht eher in der Tradition des Gassenhauers aus dem Biedermeier. Spuren des versunkenen Kulturgutes sind auch in den heutigen Faschingsliedern, Fangesängen auf den Tribünen und in den Bierzelten zu finden. Zwischen Rock, Pop und Hip-Hop wurde das alte getragene Volkslied in kulturelle Randbezirke ergrauter Kirchen- und Männerchöre abgedrängt. Es fristet ein lautloses, eher verschämtes Dasein in Schulbüchern, Bibliotheken und Notenblättern.

Das war so, bis vor drei, vier Jahren. Damals – 2007 – startete das Projekt „Klasse! Wir singen“. Initiator Gerd-Peter Münden, Chorleiter und Domkantor in Braunschweig, möchte das Volkslied wieder zu einem lebendigen Zeitvertreib machen. Sein Liederfest richtet sich deshalb besonders an Kinder und Jugendliche. Als Autor diverser Libretti für Kindermusicals und Chor versucht er, Schulklassen für altes Liedgut zu begeistern, den Tatendrang von Kindern zu kanalisieren, indem er sie gemeinsam singen läßt – mit enormem Anklang.

Anfangs hatte Münden nur mit tausend Teilnehmern gerechnet, 28.000 kamen dann tatsächlich in die Braunschweiger Volkswagen-Halle. Seither laufen überall in Niedersachsen ähnliche Veranstaltungen. Allein zwischen Februar und Mai dieses Jahres 83 Konzerte in neun Städten mit 135.000 Teilnehmern. Eine Ausweitung auf ganz Deutschland ist nicht ausgeschlossen.

Daß das Musizieren den Kindern ungeahnten Spaß macht, liegt auch an Mündens unkompliziertem Konzept des Singens mit drei Sinnen, wobei Sehen, Hören und Bewegen miteinander koordiniert werden. Das gibt dem bloßen Melodie-Absingen eine spielerische Erlebniskomponente. Plötzlich entdecken Kinder etwas, womit sie ihre Freizeit gesund und fröhlich gestalten können. Münden: „Es ging mir darum, den Kindern Lust auf Singen, auf die eigene Stimme,  zu machen und ihnen einen Kanon von Liedern zu vermitteln, die für unsere deutsche Kultur prägend sind.“

Der 45jährige Kantor hat die Erfahrung gemacht, daß Heimatlieder wie „Kein schöner Land“ oder Abendlieder wie „Der Mond ist aufgegangen“ bei den Kindern genauso gut ankommen wie Rockiges und Poppiges. Besonders gefällt ihm die große Begeisterungsfähigkeit der kleinen Sänger. Für Kontinuität sorgt, daß die Teilnehmer des Projektes 2007 und 2011 über ein gemeinsames Repertoire verfügen.

Die Früchte seiner Arbeit kann Münden bereits ernten. So berichteten Eltern, daß ihre Kinder im Urlaub mit ihren kleineren Geschwistern seine Lieder angestimmt hätten. Diesen Erziehungserfolg erklärt sich der Musiker so: „Im Liederfest sind die Kinder unendlich stolz auf ihre Leistung, die im Alltag wenig positive Rückmeldung auf Ihr Tun bekommen.“ Übrigens: Die Aktion trägt sich finanziell über den Verkauf von Liederfest-Fanartikeln zum Teil selbst, eventuelle Gewinne dienen der Förderung des Projektes in Schulen. Solche Aktionen lassen, wenn sie sich verstetigen, Hoffnung keimen, daß das deutsche Volkslied nicht aus dem Kanon der Überlieferung verschwindet.

 www.klasse-wir-singen.de

Foto: Gerd-Peter Münden probt mit Gymnasiastinnen aus Hannover: Lockerungsübungen sollen verhindern, daß die Kehlen überstrapaziert werden

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