© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/11 22. April 2011

Der Kampf ist in vollem Gange
Windparks auf hoher See sollen die deutsche Energiewende meistern / Suche nach Speicher für Ökostrom
Peter Schuster

Fast nirgendwo im Welt-Interview mit Duzfreund Thomas Schmid streift Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs nächster Regierungs­chef, die Mühen der Ebene, die auf ihn als Energiepolitiker warten. Stattdessen begeistert sich der „wertkonservative“ Grüne an der wolkigen Vision, in einer der stärksten Industrieregionen Europas demnächst eine „Zukunftswerkstatt für grüne Produktlinien“ einzurichten.

Kurz darauf prophezeite Spiegel online, in der grünen Zukunftswerkstatt werde es recht unharmonisch zugehen. Denn die nach dem Kernkraft-Moratorium der Bundesregierung klaffende Energielücke soll primär mit Windkraft geschlossen werden. Damit sieht die Spiegel-Crew gesellschaftliche Konflikte am Horizont, die denen um die Atompolitik zwischen Brokdorfer Wasserwerferschlachten und Wendländer Castor-Blockaden in nichts nachstünden. Führt die „Verspargelung“ der Landschaft durch Tausende von Windrädern wirklich zu neuen politischen Verwerfungen? Punktgenau in die hochkochende Debatte eingreifend, antwortet darauf eine Expertise von Stephan Bosch und Gerd Peyke (Geographische Rundschau, 4/11).

Die beiden Spezialisten für Geographie der Erneuerbaren Energien, am Augsburger Lehrstuhl für Humangeographie und Geoinformatik forschend, offerieren in dieser Zukunftsfrage die Kompetenz ihrer Disziplin, die bislang von den politikberatend dominanten Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften an den Rand gedrängt worden sei. Dabei wäre die Einbindung von „geographischem Know-how“ in die Entwicklung neuer Standorttheorien für die Umsetzung von Energiekonzepten unentbehrlich. Dafür treten sie mit ihrer Studie über Offshore-Standorte einen überzeugenden Beweis an.

Im Gegensatz zu Kretschmann und anderer Grünen-Prominenz, die diesen potentiellen Sprengsatz notorisch unterschätzen, gehen Bosch und Peyke realistisch davon aus, daß auf dem Boden des Grundgesetzes regenerative Energien auf enge räumliche Grenzen stoßen. Eine restriktive Regionalplanung und der Widerstand von Umweltschützern signalisieren „Flächenmangel im Binnenland“. Heimat- und Naturschützer beklagen immer lauter die lädierten „Maßstabbilder“. Windkraftanlagen überragen Bäume und Kirchtürme. Kulturhistorisch bedeutsame Landschaften verschwänden in monströsen „Spargelbeeten“.

Der „ursprünglich ästhetisch-psychologische Effekt“ einer dem Menschen Ruhe vermittelnden Landschaft werde vom permanenten Rotorenrauschen förmlich zermahlen. Womit auch ihr touristisches Potential zur Disposition stehe. Wolle man etwa die 400 Windkraftanlagen im ohnehin windarmen Bayern bis 2020 vervierfachen, wäre beispielsweise das „ungewohnte Landschaftsbild zwischen Ammersee und Starnberger See“ dem dort an 200 Meter hohe Windmeiler nicht gewöhnten Fremdenverkehr äußerst abträglich.

Liegt Deutschlands Energiezukunft also auf dem Wasser? Für Bosch und Peyke eine rhetorische Frage. Nord- und Ostsee weisen langsam abfallende Böden auf und laden damit zur Anlage von Windparks vor der Küste ein. Je weiter draußen, desto mehr Energie liefern sie, da die Windgeschwindigkeiten über dem Meer höher sind und der Wind konstant weht. Dieser Standortvorteil sei inzwischen weltweit erkannt.

In den nächsten zehn Jahren rechnet der Europäische Energieverband daher mit Wachstumsraten von jährlich 30 Prozent. Eine Spitzenposition nimmt dabei Großbritannien ein. Obwohl die Briten vom Fukushima-Menetekel unbeeindruckt an der Planung zwölf neuer Kernkraftwerke festhalten, forcieren sie den Ausbau ihrer Offshore-Infrastruktur. Unvorstellbare 29 Gigawatt Spitzenleistung – soviel wie zwei Dutzend AKW – soll die ab 2020 liefern.

Breite gesellschaftliche Akzeptanz dafür ist vorhanden, doch um die Windparks untereinander zu vernetzen und ans Festland anzubinden, fehlt es an Schiffen zur Verlegung von Seekabeln. Neun Kabelleger sind im ganzen EU-Raum verfügbar, benötigen täten die Briten aber 58, um ihre ambitionierte Energiestrategie zu realisieren.

Höhere Hürden haben die Deutschen zu nehmen. An ihrer Nordseeküste bremst der Nationalpark Wattenmeer den Expansionsdrang der Energieriesen, die in der Offshore-Technologie das Heft in der Hand haben. Zudem gelten auch in der Deutschen Bucht wie in der Ostsee Raumordnungspläne, die in „Ausschließlichen Wirtschaftszonen“ nur wenige Flächen für Windprojekte öffnen. Um solche lukrativen Standorte sei der Kampf der Konzerne in vollem Gange. Befeuert von 50 Millionen Euro, die die Bundesregierung seit 2007 für die Energiewende auf hoher See bewilligt hat.

Rückschläge sind im ersten Energiekonzept seit der Ölkrise (1973) einkalkuliert. Also auch jene gefährlichen Erosionen, die die Fundamente des 2010 ans Netz gegangenen Windparks Alpha Ventus, 45 Kilometer vor Borkum, binnen kurzem in Mitleidenschaft zogen. Solche technischen Herausforderungen seien ebenso zu meistern wie die Anpassung der Hafeninfrastruktur zwischen Husum und Emden oder die Suche nach festländischem Speicherraum für den Regenerativstrom. Vielversprechend seien zudem Projekte, die sich im Offshore-Areal mit der Windkraft kombinieren ließen und die die Kraft des Meeres direkt in Strom verwandeln.

Wellen-, Meeresströmungs- und Meereswärmekraftwerke befänden sich in der Erprobung, seien indes noch weit von industrieller Reife entfernt. Nur ein Gezeitenkraftwerk nach britischem Vorbild sei wegen zu geringen Tidenhubs in der Deutschen Bucht nicht machbar. Da es, wie Bosch und Peyke apodiktisch behaupten, angesichts der „starken Überschreitung der ökologischen Tragfähigkeit der Erde keine Alternativen zum Ausbau von Erneuerbaren Energien“ gäbe, scheinen unüberwindliche Hindernisse den angefahrenen Zug ins neue Energiezeitalter nicht mehr zu stoppen.

Foto: Offshore-Windpark: An der deutschen Nordseeküste bremst der Nationalpark Wattenmeer den Expansionsdrang der Energieriesen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen