© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

„Kampf gegen Rechts“
Der Feind in uns
Thorsten Hinz

Rechtsparteien und rechte Diskurse können nirgendwo in Europa auf Gleichberechtigung pochen. In Deutschland, wo ein staatlich subventionierter „Kampf gegen Rechts“ geführt wird, sind sie faktisch unmöglich. Nationale, konservative, rechtsbürgerliche Positionen werden hier mit dem Nationalsozialismus in einen Topf geworfen. Haben wir es mit Mißverständnissen und intellektuellem Versagen zu tun? Oder mit einer logischen Entwicklung, die angestoßen wurde, um die Formulierung und Vertretung legitimer Positionen dauerhaft zu unterbinden?

Der „Kampf gegen Rechts“ nimmt zum einen den KPD-Plan zur Herstellung der „antifaschistischen Volksfront“ aus den 1920er und 1930er Jahren auf. Das strategische Ziel bestand darin, das Bürgertum in der Umarmung zu ersticken und den Antifaschismus in eine proletarische Revolution zu überführen. Dieser Plan wurde in der DDR verwirklicht. In der Bundesrepublik wurde an Stelle der politisch-ökonomischen eine Kulturrevolution in Gang gesetzt. Nun, da beide Teilstaaten ein Ganzes bilden, ist der „Antifaschismus“ zur Staatsideologie geworden.

Zugleich stellt der „Antifaschismus“ ein internationales Phänomen dar. Mit dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland ist er in das Selbstbild zahlreicher Länder eingegangen. Das macht für Deutschland die Situation doppelt kompliziert, denn die Anti-Hitler-Koalition richtete sich neben dem Nationalsozialismus auch gegen das Deutsche Reich.

Die Verknüpfung von ideologischen mit machtpolitischen Intentionen blieb nach 1945 wirksam. Bis heute werden ausländische Begehrlichkeiten (aktuell Entschädigungsfragen und Euro-Transfers) direkt oder indirekt mit dem Faschismus-Rekurs untermauert und von inländischen Antifaschisten unterstützt. Diese können sich dafür im „Kampf gegen Rechts“ auf die Besorgnisse des Auslands berufen.

Bei der „Interpretation des Rechtsradikalismus-Problems“ in der Bundesrepublik agierte von Anfang an „‘das Ausland’ (...) als der sichtbare Dritte in diesem von Exekutive und Judikative dominierten Geschehen“, schreibt der Zeitgeschichtler Norbert Frei. Die Notwendigkeit des am 19. November 1951 eingereichten Verbotsantrags gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP), die vor allem in Niedersachsen alte Parteigänger des Nationalsozialismus versammelte, begründete Innenminister Robert Lehr (CDU) 1951 ausdrücklich mit dem außenpolitischen Schaden, den die SRP anrichte.

Ohne den Druck der drei Westalliierten, so Norbert Frei, hätte die Bundesregierung auf den Antrag vermutlich verzichtet und darauf vertraut, daß die Partei mit der ökonomischen Konsolidierung der Bundesrepublik von selbst verschwinden würde. Im Oktober 1952 verkündete das Verfassungsgericht das Verbot der SRP, unter anderem weil sie mit der NSDAP „wesensverwandt“ sei.

Um den rechten Flügel im Regierungslager zu beschwichtigen, ließ die Bundesregierung am 23. November 1951 den Verbotsantrag gegen die KPD beim Verfassungsgericht folgen. Formal war damit dem antitotalitären Konsens Genüge getan. Inhaltlich und motivisch aber hatte der zweite Antrag eine kompensatorische Funktion gegenüber der antifaschistischen Ursprungshandlung. Ausländischer Druck lag nicht vor. Und während mit der Sozialistischen Reichspartei kurzer Prozeß gemacht wurde, dauerte das Verfahren gegen die KPD bis 1956.

Es waren enorme juristische Schwierigkeiten zu überwinden, die mit der staatsrechtlichen Ausgangslage zusammenhingen. Die KPD  konnte nämlich anführen, daß sie sich die antifaschistischen Bestimmungen des Potsdamer Abkommens zur inneren Neuordnung Deutschlands zu eigen gemacht habe, die auch für das Grundgesetz maßgeblich seien. Weiterhin sei ihre Lizenzierung auch durch die Westalliierten erfolgt und ein Verbot durch die Bundesrepublik daher illegal.

Für die in der Tradition deutscher Rechtssouveränität sozialisierten Richter war damit ein wunder Punkt berührt, auf den sie im Verbotsurteil vom August 1956 pikiert reagierten: „In der Völkerrechtslehre ist umstritten, ob unter besonderen Voraussetzungen durch völkerrechtliche Abmachungen einem am Vertragsabschluß nicht beteiligten Staat verbindliche Auflagen gemacht werden können.“ Doch bereits im folgenden Satz wich das Gericht „dieser Frage“ – der Gretchenfrage nach der Selbst- oder Fremdbestimmung – mit dem Hinweis aus, sie bedürfe an dieser Stelle keiner Erörterung. Karlsruhe behalf sich mit einem politisch-historischen Exkurs, der die nach 1945 erfolgte Entfremdung zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten betonte.

Das von den Westmächten für Deutschland vorgesehene Gesellschaftsmodell sei sehr bald kein antifaschistisches, sondern ein „freiheitlich-demokratisches“ gewesen. Daher sei die „Staatsordnung des Grundgesetzes (...) in vollem Umfang von den Zonenbefehlshabern der drei westlichen Besatzungszonen gebilligt worden (...)“.

Eine entscheidende Gemeinsamkeit zwischen der Argumentation des Gerichts und der der KPD wird hier erkennbar: Beide bezogen sich auf verbindliche Vorgaben der Siegermächte: die Richter notgedrungen, die KPD emphatisch, um ihren Antifaschismus qua Siegerrecht zu sanktionieren. Nur bestand die KPD darauf, daß auch die Moskauer Interpretation für die Bundesrepublik eine normative Wirkung entfaltete, während die Richter sie auf die Westmächte beschränkten. Doch war dies lediglich ein taktischer Unterschied, während die Differenz zur SRP prinzipieller Natur war.

In Peter Furths 1957 erschienener Dissertation über die „Ideologie und Propaganda der Sozialistischen Reichspartei“ wird als „wesentlicher Kritikpunkt an der SRP“ herausgestellt, daß die Partei „die Lage des Besiegten für etwas hielt, das überwunden werden müsse“. Auch hätte die Vorgeschichte der beiden Weltkriege gezeigt, „daß der Widerstand gegen die von der Gewohnheit sanktionierte, scheinbar naturwüchsige nationale Solidarität die große Mehrheit des Volkes überfordert“.

Diese Deutung dürfte die Intention der Verbündeten beim SRP-Verbot exakt erfaßt haben. Ein deutsches Nationalbewußtsein war aus Prinzip ein Störfaktor, den es zu beseitigen galt. Der Kampf gegen nationalsozialistische Restspuren – oder anders gesagt: das „Rechtsradikalismus-Problem“ (Norbert Frei) – war das Mittel dazu. Latent blieb der „Antifaschismus“ wirksam, er wurde vom Antikommunismus beziehungsweise Antitotalitarismus nur zeitweilig überlagert.

Das bestätigte sich auch in der sogenannten „Naumann-Affäre“ 1953. Im Januar des Jahres waren sechs ehemalige NSDAP-Mitglieder durch britische Sicherheitsoffiziere verhaftet worden. Man warf ihnen vor, eine „Wiederergreifung der Macht“ anzustreben und dazu die nordrhein-westfälische FDP zu unterwandern. Der bekannteste unter ihnen, Werner Naumann, war Staatssekretär im Propagandaministerium gewesen. Die Briten sprachen vom „Gauleiter-Kreis“. Ihr Eingreifen vorbei an den bundesdeutschen Organen begründeten sie mit den alliierten Vorbehaltsrechten.

Ein britischer Geheimbericht räumte ein, daß von der Gruppe keine Gefahr für den Bestand des Grundgesetzes ausging. Vielmehr fürchtete London, daß ihr Erfolg die Bevölkerung mit einem „kompromißlosen Nationalismus infizieren“ würde. Bei den Verhafteten handele es sich um „rücksichtslose Realisten“, die bereit seien, errungene politische Macht „gegen das gesamte Konzept der europäischen Einheit und westlichen Verteidigung einzusetzen, sollten sie der Ansicht sein, daß das in ihrem Interesse liegt. Der ‘Gauleiter-Kreis’ stellt eine Verschwörung gegen den Buchstaben und den Geist der Bonner Verträge von 1952 dar.“

Gemeint waren der Deutschland-Vertrag und die Zusatzverträge zwischen Bonn und den Westalliierten, die der Bundesrepublik eine Teilsouveränität zugestanden und sie im Gegenzug auf die Westbindung und die anhaltende Stationierung ausländischer Truppen festlegte. Die Gegner der Verträge – unter anderem die SPD – sahen darin ein Hindernis für die Wiederherstellung der deutschen Einheit. Die Überlegungen des Naumann-Kreises klangen vergleichsweise moderat. Ein Volk ohne Souveränität brauche Stresemänner, hieß es in den Aufzeichnungen Naumanns, und Adenauer sei „im Augenblick nicht die schlechteste Lösung“.

Den Briten ging es darum, die Entwicklung außenpolitischer Alternativen zu unterbinden beziehungsweise zu kriminalisieren und die Unterordnung Deutschlands dauerhaft zu sichern. Der Bundesgerichtshof setzte Naumann bald auf freien Fuß und lehnte das wegen Bildung einer „verfassungsfeindlichen Vereinigung“ und „Geheimbündelei“ geforderte Hauptverfahren gegen ihn ab. Aber das politische Ziel der Aktion war erreicht, nämlich das bürgerlich-nationale Lager nachhaltig einzuschüchtern und auf Kurs zu bringen. Norbert Frei ist zuzustimmen, wenn er schreibt, die Naumann-Affäre bedeutete „letztlich das endgültige Aus für alle Hoffnungen auf eine große Sammlungspartei rechts von der Union“. Allen Versuchen „einer Reorganisation der Rechten“ sei damit definitiv der Boden entzogen worden.

 Als bleibende Folge von Niederlage und Besatzung ergibt sich die Unmöglichkeit, grundlegende Interessen wie den Erhalt der Volkssouveränität und des demokratischen Nationalstaates einzufordern und zu vertreten. An die Stelle der Volkssouveränität treten Fremdinteressen, die als universalistische Prinzipien („Menschenrechte“, „Europäische Einigung“, „Westliche Wertegemeinschaft“ und so weiter) getarnt sind und die auch die Auslegung des Grundgesetzes bestimmen.

Das „demokratische Regime“ verkümmert zur „bloßen Selbstverwaltung“, wie Josef Schüßlburner in seinem neuen Buch „Konsensdemokratie“ darlegt. Wer ein deutsches Eigeninteresse am Selbsterhalt formuliert, zieht eine „innerstaatliche Feinderklärung“ auf sich, die auf eine Feinderklärung gegen Volk und Nation hinausläuft. Dazu sind keine äußeren Besatzungsmächte mehr nötig. Deutsche Institutionen und Funktionsträger haben deren Haltung und Funktion übernommen und verinnerlicht.

Der „Kampf gegen Rechts“ richtet sich in Wahrheit also gegen die Wahrnehmung legitimer nationaler Interessen. Seitdem der Ostblock kollabiert und der Antikommunismus damit außenpolitisch funktionslos geworden ist, stößt der „Antifaschismus“ auch innenpolitisch auf keinen nennenswerten Widerstand mehr und ergreift sämtliche Parteien.

Die KPD ist in Gestalt der PDS/Linkspartei in die politische Arena zurückgekehrt, wo ihre internationalistische Ideologie sich bestens in das gegen die deutsche Volkssouveränität gerichtete Konzept der politischen Klasse einfügt. Weil die Volkssouveränität rechts vom „Antifaschismus“ steht, ist der „Kampf gegen Rechts“ für die Politiker inzwischen die natürlichste Sache der Welt.

 

Thorsten Hinz, Jahrgang 1962, war Kulturredakteur der JUNGEN FREIHEIT und ist heute freier Autor. 2004 erhielt er den Gerhard-Löwenthal-Preis. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über den Fall Helmut Metzner („Die Struktur des Verrats“, JF 3/11).

Thorsten Hinz: Die Psychologie der Niederlage. Über die deutsche Mentalität, Edition JF, Berlin 2010, gebunden, 224 Seiten. Das Buch erklärt, warum die deutsche Seele seit dem Zweiten Weltkrieg einem Niederlage-Denken verhaftet ist und bleibt.  

Foto: Rote Sichel in der Deutschlandkarte: Der Siegeszug des „Antifaschismus“ begann in der Nachkriegszeit– von den Besatzungsmächten induziert, von den deutschen Behörden willig vollstreckt

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