© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

Der Flaneur
Neue Kombinate
Harald Harzheim

Daß Berlin voll ist von Kunstgalerien, sagt wenig über das Kunstinteresse der Berliner. Viele entpuppen sich nämlich als getarnte Nachtclubs, deren „Vernissagen“ purer Vorwand für Partys sind. Angefüllt mit Teenagern, die sich wenig für den Müll an den Wänden, um so mehr für den DJ interessieren. Jüngst ließ eine Galerie sogar das Kunst-Feigenblatt vollständig fallen und startete „Vernissagen“ mit leeren Wänden, bekannte sich ironisch zur eigentlichen Intention: Club-Kultur.

Da ist es naheliegend, noch einen Schritt weiter zu gehen und im internen Shop der „Club-Galerie“ auch Szenekleidung anzubieten. In diesem Geiste rüstet manch alte Galerie derzeit auf, während Neueröffner gleich mit solcher Kombination starten. Darin ähnlich dem Nachtkiosk, der nebenbei noch Bäckerei, Internetcafé oder gar Videothek enthält. Es sind solche Neukombinationen, mit denen einzelkämpferische Ladenbesitzer versuchen, ihren Platz zu halten.

Dazu zählt auch die Synthese aus Deko-, Trash- und Spielzeugladen. Allein in Berlin-Friedrichshain, in Nachbarschaft zu den Club-Gallerie-Klamottenläden, eröffneten jüngst zwei solcher Verkaufsstellen mit den schönen Namen „The Snake Castle“ (Das Schlangenschloß) und „Freak out“ (Durchknallen). Die dort feilgebotenen Trash-Artikel können nicht als Nachfolge des klassischen Kitsches gelten, leben sie doch von totaler Ironisierung, von erwachsener Lust am Infantilen: So finden sich im „Freak out“ Plastik-Zombies als Fingerpuppen oder, noch besser, Buddha-Figuren mit Reptilien- und Gorillaköpfen.

Auch dies ein Kombinat, ein purer Scherzartikel. Aber wer weiß? Vielleicht wird ein Archäologe in einigen Jahrtausenden diese Buddha-Figuren finden, sie für Gottheiten des 21. Jahrhunderts halten und wilde Spekulationen über ihre Kulte anstellen? Vielleicht helfen die Ruinen der umliegenden Clubgalerien seiner Phantasie dabei auf die Sprünge.

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