© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

„Frankreichs Traum, Europa zu führen“
Éric Zemmour ist einer der populärsten französischen Rechtsintellektuellen. Er kommentiert regelmäßig in TV, Radio und Zeitungen. Eine Kampagne sollte ihn stoppen.
Hans Dänisch

Herr Zemmour, die „Zeit“ bezeichnet Sie als Frankreichs „Reaktionär vom Dienst“. Lächeln Sie – oder erheben Sie Protest?

Zemmour: Ich protestiere. Ich protestiere, weil der Begriff „Reaktionär“ aus Sicht der Politischen Korrektheit jemanden bezeichnet, der rassistisch ist. „Vom Dienst“, nun gut – ich verteidige eben meine Überzeugungen.

Was sind Sie dann?

Zemmour: Ich will all diese Abstempelei im Sinne der Politischen Korrektheit eigentlich gar nicht akzeptieren. „Rassist“, „Faschist“, „Extremist“ – es sind die Linken, die stets auf derartige Worte zurückgreifen. Aber wenn, dann bin ich Gaullist. General de Gaulle war der letzte, der Frankreich seine wahre Rolle zurückgegeben hat.

Der Titel Ihres jüngsten Buches zeigt eine große Trikolore, die jedoch nicht das Wappen der Französischen Republik, sondern der kaiserliche Adler des napoleonischen Empire ziert. Was wollen Sie damit sagen?

Zemmour: Frankreich wollte tausend Jahre lang das Erbe Roms antreten und Europa führen. Deshalb wollte es imperiale Größe erreichen.

Das Erbe Karls des Großen …

Zemmour: Genau. Und dieses Erbe wollten die französischen Könige aufnehmen und nach ihnen Napoleon. Das ist für Frankreich eine wesentliche  Gedankenrichtung. Aber seit dem 18. Jahrhundert haben sich die geschichtlichen Voraussetzungen grundsätzlich geändert. Frankreich wurde zurückgedrängt und so zu klein, um seiner Berufung zu entsprechen. Daher sein Bestreben nach einem größeren Staatsgebiet. Dazu gehörten Belgien und das deutsche Rheinland. Und deshalb auch wurde für General de Gaulle das Europa der Sechs so wichtig. Denn für ihn – und für mich auch – bedeutet das Europa der Sechs, also die frühe EU, eigentlich Frankreich. 

Das räumen Sie so unverblümt ein?

Zemmour: General de Gaulle dachte, daß Frankreich in diesem Rahmen wieder zu dem werden würde, was es vor Waterloo war, nämlich eine der führenden Mächte der Welt – denn das ist das ideelle Frankreich.

Ihr Buch trägt – übersetzt – den Titel „Französische Melancholie“. Was verursacht Ihre Wehmut?

Zemmour: Es geht um das Scheitern dieses französischen Traumes, des Traumes von einem französischen Imperium, einem französischen Rom. Das nährt die französische Melancholie, die Beziehung des Franzosen zur modernen Welt. Dabei geht es nicht um Kapitalismus, die Industrialisierung, auch nicht um den Liberalismus. All das sind irrtümliche Interpretationen, oberflächliche Standpunkte. Für die Franzosen gibt es diese Fragen nicht, sie lieben all das nicht, sie identifizieren sich nicht damit, auch nicht mit dem angelsächsisch-britischen oder amerikanischen System, die ihnen fremd sind. Es bedeutet für sie ein großes Unglück, daß sie in einem System leben, das sie nicht als ihr eigenes betrachten.

Aber Sie haben die EU doch eben als ein französisches Projekt beschrieben.

Zemmour: Ja, denn nach 1945 haben die französischen Eliten für Europa einen neuen Anführer gesucht, sie fanden diesen in den Vereinigten Staaten, die Linke dagegen in der Sowjetunion. Gleichzeitig hat die französische Elite Europa entwickelt, es war ihr letzter imperialer Traum. Denn schließlich mußte sie erkennen, daß Frankreich militärisch, wirtschaftlich, demographisch nicht mehr die Mittel hatte, Europa zu führen, seinen Großmachttraum zu verwirklichen. Und sobald man dieses Euro-pa für England und für die Länder Mitteleuropas öffnete, war Schluß mit dem französischen Projekt. Nun scheint die EU einem Europa Deutschlands immer ähnlicher zu werden. Für Deutschland ist es jetzt das Wesentliche, seine Position in diesem neuen Gebilde zu festigen. Dabei sind die deutschen Interessen in erster Linie wirtschaftliche, sie liegen im Export, einer euroasiatischen Strategie und der deutschen Position in dem Kampf um die Modernisierung. Im Grunde ist der tausendjährige französische Traum aber schon viel früher gescheitert. Wenn nicht, wäre es unser Schicksal gewesen, Europa zu führen. Aber es war eigentlich schon 1815 vorbei. Und damit entstand dann Deutschland. Denn hätte Frankreich damals gesiegt, hätte es Deutschland nie gegeben. Doch so war es nicht und daraufhin hat Deutschland versucht, Frankreich nachzuahmen ...

Das „deutsche Großmachtstreben“ als „kausaler Nexus“ zur französischen „Gloire“?

Zemmour: Von da an wollte Deutschland Europa dominieren, und das führte zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg. Es ging damals um die Herrschaft über Europa. Diese Kriege haben also tatsächlich schon 1815 begonnen, weil, wie ich eben sagte, die Deutschen die französische Wachablösung angetreten haben. Heute sind die französischen Eliten bereit, auf alles zu verzichten, was früher im französischen Traum enthalten war. Statt dessen gibt es diese Faszination, die von Deutschland für die französischen Eliten ausgeht. Das erklärt die heutige Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem früheren Feind. Und auch die französische Linke arbeitet heute mit Deutschland zusammen, weil Deutschland Europa den Römischen Frieden gesichert hat, wie es Frankreich in früheren Zeiten gemacht hatte.

Bleibt Ihnen nur die Melancholie, oder haben Sie auch eine Zukunftsvision?

Zemmour: Heute schwebt die Euro-Zone in höchster Gefahr, Griechenland war ja nichts weiter als nur der Anfang. Und wie Sie in meinem Buch wohl gelesen haben, wo ich das am Beispiel Belgiens nachweise, könnten verschiedene Autonomiebewegungen in mehreren Ländern zu einer Explosion führen. Das gilt auch für Spanien und für Italien. Zusammengefaßt bin ich der Meinung, daß die europäische Situation bei weitem nicht so stabil ist, wie allgemein angenommen. Entscheidend aber ist, daß das heutige EU-Gebilde nicht mehr dem Wesen der Franzosen entspricht, der Durchschnittsfranzose erkennt sich darin einfach nicht mehr. Dies führte zu einer Vertiefung der Kluft zwischen den französischen Eliten und dem französischen Volk.

Man sagt, Sie trauen sich auszusprechen, was Franzosen, die rechts stehen, sonst nur zu denken wagen. Doch selbst linke und liberale Medien räumen ein, daß Sie das mit hoher Qualität tun. Was ist es eigentlich, was Sie auszusprechen wagen?

Zemmour: In Frankreich herrscht heute eine Tyrannei der Politischen Korrektheit, es ist quasi eine neue Religion. Sie erwähnen die französische Rechte, aber die Konfrontation geht heute von der Linken aus. In meinem Buch erkläre ich, daß Frankreich ein Kulturkonzept ist, das auf dem Prinzip der Assimilation gründet. Man hat die römische Kultur übernommen, die Sprache, die Sitten, das Recht … Das wurde auch als französische Kultur im Ausland akzeptiert. Aber in den letzten dreißig Jahren haben die Linken und die Linksextremen dieses Modell übergangen, sie wollen es unbedingt des „Neokolonialismus“ überführen. Das hat dazu geführt, daß die hier lebenden Fremden die Assimilierung ablehnen. Aber das französische Volk hat nie auf sein Modell der Assimilation verzichtet. Tatsache ist, daß die große Mehrzahl der Fremden, besonders der jungen Fremden, nicht assimiliert sind. Deswegen funktioniert es nicht so, wie es in der Vergangenheit funktioniert hat, etwa mit Italienern oder Spaniern. Es sind also tatsächlich gar nicht die französischen Eliten, die rassistisch sind. Diese haben vielmehr gelernt, zu schweigen. Sie sind verängstigt, sie sondern sich ab, und so entstehen Stadtteile, die normale Franzosen nicht mehr besuchen und wo die Jugendlichen nicht mehr Französisch sprechen können. So haben sich Ghettos gebildet, in denen Fremde, besonders Afrikaner, hausen. Ich versuche all das zu erklären, zu erläutern. Und der französische Leser, das lesende Volk, ist mit mir einverstanden.

Sie sind wöchentlich auf „France 2“ im Fernsehen, täglich mit einer eigenen Sendung im Radio – doch trotz Ihrer Popularität hat Ihr Hausblatt, der altehrwürdige, konservative „Figaro“, eine der führenden Tageszeitungen in Frankreich, bei der Sie Kolumnist sind, im letzten Jahr versucht, Sie nach kritischen Äußerungen über Einwanderer und Kriminalität, die für erhebliche Aufregung gesorgt haben, zu entlassen. 

Zemmour: Das Vorgehen des Figaro hat eigentlich das Problem beleuchtet, mit dem die französische Rechte konfrontiert ist: sie soll sich dem Diktat der französischen Linken unterwerfen. Ziel ist, daß sich das Wahlvolk von der politischen Rechten und ihren Medien entfernt. Trotzdem löste die Maßnahme des Figaro gegen mich Aberhunderte von Protesten aus, die allesamt damit drohten, ihre Abonnements zu kündigen. Das war es, was mir Schutz gewährt hat. Das war großartig und rührend zugleich.

Es waren Ihre Leser, die Sie gerettet haben?

Zemmour: Absolut.

In Deutschland hätten Sie nicht überlebt.

Zemmour: Nun, ich kenne die Lage in Deutschland nicht so genau. Aber ich habe den Eindruck, daß die Political Correctness und der Terror der Linken bei Ihnen weniger stark sind als bei uns ist.

Wie kommen Sie darauf?

Zemmour: Ich weiß nicht, aber ich meine mich zum Beispiel daran zu erinnern, daß ihr Bundeskanzler Kohl einen Schriftsteller wie Ernst Jünger einmal persönlich besucht hatte. Nicolas Sarkozy hat dagegen etwa Jean Raspail nie besucht.

Der Schriftsteller Jean Raspail gilt in Deutschland als Doyen der kulturellen Reaktion in Frankreich, gerade erlebt sein prophetischer Roman „Das Heerlager der Heiligen“ dort eine Renaissance. Welche Bedeutung hat Raspail für Sie?

Zemmour: Raspail hat in der Tat mit „Heerlager der Heiligen“ eine prophetische Vision zu Papier gebracht. Er hat schon vor dreißig Jahren all das vorausgesagt, was bis jetzt eingetreten ist. Wirklich, ein durch und durch prophetisches Buch! Dennoch ist er in Frankreich heutzutage weitgehend marginalisiert und von der französischen Intelligenzija, die ihn als „Rassisten“ einstuft, ostrakisiert. Er hat sogar Schwierigkeiten, im Figaro seine Ansichten darzustellen.

Was trennt Sie inhaltlich eigentlich einerseits von Sarkozy und andererseits von Jean-Marie bzw. Marine Le Pen? Denn bei dem Begriff „französische Rechte“ kennt das deutsche Publikum meist nur diese Pole.

Zemmour: Monsieur Sarkozy hat die Präsidentschaft mit einem Diskurs gewonnen, der deckungsgleich war mit meinen Ansichten. Etwa dem Kampf gegen die Politische Korrektheit, gegen den Geist der Achtundsechziger, den Multikulturalismus. Aber seine Wahlkampagne enthielt auch eine Dosis „Modernismus“, sprich: eine Dosis Liberalität nach dem angelsächsischen Muster. Er wollte Frankreich dieses Modell einer modernen Rechtspolitik angelsächsischen Ursprungs verpassen. Kurz, eigentlich gibt es zwei Sarkozys: Der erste zielte auf die Stimme des Wahlvolkes und der zweite wollte die bürgerlichen Eliten anziehen, deren Ziel es ist, Frankreich nach amerikanischem Muster umzumodellieren. Nachdem er die Präsidentschaft 2007 gewonnen hatte, wurde deutlich, daß er das US-Modell in Frankreich nicht verwirklichen konnte, zumal dieses Modell in diesem Augenblick zu explodieren begann. Um wenigstens bei der Masse der Wähler seine Glaubwürdigkeit zu erhalten, mußte er aber in Sachen Anti-Political-Correctness, Anti-Multikulturalismus, Einwanderung und Innere Sicherheit punkten. Das hat die Medien in einen Schockzustand versetzt. Daher hat er wiederum den Rückzug angetreten. Das Wahlvolk aber hat das kaum verstanden, hat die Gefahr nicht erkannt und betrachtete sein Vorgehen somit als ein Scheitern. Beim letzten Wahlgang hat das rechte Wahlvolk dann seinen Ärger darüber klar zum Ausdruck gebracht.

Man ist zu Hause geblieben oder hat Front National gewählt.

Zemmour: Nun, was den Front National betrifft, das ist eine etwas komplizierte Materie. Man muß sagen, daß Jean-Marie Le Pen schon Anfang der achtziger Jahre die Gefahren und den Ernst der Lage erkannt hat. Das ist ein großes Verdienst. Es ging ja um die Substanz der verschiedenen Klassen der französischen Gesellschaft. Es ging um Menschen, es ging um Kapital, es ging um diese neue Welt, in die wir eintreten. Aber er selbst war ein Mann des vorangegangenen Zeitalters, er hat den Zweiten Weltkrieg erlebt, er hatte um sich nicht wenige Leute, die noch immer unter dem Zeichen der alten Konfrontationen standen, aus der Zeit des Weltkrieges oder des Algerienkrieges. Diese Leute haben seine ursprüngliche Botschaft vergiftet. Daher konnte er von der extremen Linken verteufelt werden. Und obendrein ist in den Achtzigern ein Augenblick eingetreten, in dem die sozialistische Linke – auch die in Deutschland – mit der Modernisierung ins Bett gegangen ist und gleichzeitig in Le Pen die ideale Zielscheibe entdeckte. Somit haben sie „Rassismus“ und die „faschistische Gefahr“ in den Mittelpunkt der politischen Debatte in Frankreich gestellt, obwohl Le Pen weder Rassist noch Faschist ist.

Herr Zemmour, müßte Ihrem Buch nicht bald ein zweiter Teil folgen, Titel: „Abendländische Melancholie“?

Zemmour: Nun, wie treffend ... aber einstweilen versuchen Sie doch bitte in Deutschland einen Verleger für mein Buch zu finden.

 

Éric Zemmour gilt als einer der bekanntesten wie umstrittetsten rechtsintellektuellen Journalisten Frankreichs. Er ist Kolumnist einer der führenden Tageszeitungen, des Figaro, kommentiert zudem täglich in der Radiosendung „Z comme Zemmour“ und im Fernsehen in den Talkshows „On n‘est pas couché“ und „Ça se dispute“. Als er 2010 äußerte, Einwanderer würden zu Recht „stärker von der Polizei überwacht, denn die Mehrzahl der Drogenhändler sind Schwarze oder Araber“, betrieb der Figaro seinen Rauswurf, vor dem ihn geballter Leserprotest (siehe Protestplakat oben) rettete. Zemmour wurde 1958 geboren, ist algerischer Abkunft und jüdischer Konfession. 2010 erschien sein Buch „Mélancolie française“.

Foto: Die Trikolore weht im Triumphbogen, dem Altar der Nation: „In meinem Buch geht um das Scheitern des Traums von einem französischen Rom ... Dann hätte es Deutschland nie gegeben“

 

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