© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

Bruderstreit beigelegt, viele Probleme bleiben
Palästina: Die angekündigte Einigung zwischen Fatah und Hamas ist eine Folge der Umbrüche in der Nahostregion
Günther Deschner

In der letzten Aprilwoche haben sich die rivalisierenden Palästinenser-Organisationen Fatah und Hamas überraschend auf die Bildung einer Einheitsregierung und die Vorbereitung von Wahlen geeinigt. Beide hätten „erste Absichtserklärungen unterzeichnet und alle Streitpunkte geklärt“, meinten ihre Sprecher. Der Durchbruch wurde in Kairo erzielt. Führende Vertreter beider Seiten würden bereits in Kürze zur offiziellen Unterzeichnung eines Versöhnungsabkommens eingeladen, erklärten ägyptische Stellen, die vermittelt hatten.

Beobachter sehen in diesem neuerlichen Anlauf zu einer innerpalästinensischen Versöhnung vor allem eine Folge der regionalen Umbrüche, von denen die gesamte Nahostregion erfaßt worden ist. Das Ende des Mubarak-Regimes, das sich jahrelang zum Partner der israelischen Blockade des Gazastreifens gemacht hatte, die Neuorientierung der ägyptischen Außenpolitik und der Druck der palästinensischen Straße werden als Auslöser des politischen Tauwetters zwischen Hamas und Fatah betrachtet.

Ägypten ist nun wieder ein für beide Seiten glaubwürdiger Vermittler, die Hamas muß um die Zukunft ihres Sponsors Syrien bangen, und Fatah-Präsident Abbas muß erkennen, daß er seit Jahren von Israel und den USA an der Nase herumgeführt worden ist. In Ramallah sieht er sich seit Wochen Massendemonstrationen ungeduldiger junger Palästinenser gegenüber, und seit den auf Wikileaks veröffentlichten US-Depeschen weiß er, daß er von Israels Außenminister als „schwach, korrupt und nicht mehr relevant“ bezeichnet wird – eine günstigere Konstellation für einen innerpalästinensischen Ausgleich hat es lange nicht mehr gegeben.

Seit der Gründung des Staates Israel vor mehr als 60 Jahren sind die den Palästinensern verbliebenen Gebiete gespalten: in den Westteil, den schmalen dichtbevölkerten Gazastreifen am Mittelmeer, und das an Jordanien grenzende Westjordanland. Eine unter palästinensischer Hoheit stehende Landverbindung zwischen den beiden Teilen gibt es nicht. 

Als wäre die Situation so noch nicht abstrus genug, ist seit Juni 2007 auch die Verwaltung der Palästinensergebiete gespalten: Im Westjordanland herrscht die vom Westen unterstützte Fatah unter Mahmud Abbas, im Gazastreifen die Hamas. Die Beziehungen zwischen den beiden Rivalen hatten sich nach den letzten Wahlen 2006 rapide verschlechtert. Die bei den Wahlen siegreiche Hamas hatte 2007 die alleinige Kontrolle im Gazastreifen übernommen.

Anders als die Hamas versteht sich die Fatah als nicht religiös geprägte Organisation. Hatte sie anfangs auf den bewaffneten Kampf zur Befreiung der seit 1967 von Israel besetzten palästinensischen Territorien gesetzt, strebte sie später den direkten Dialog mit Israel für eine politische Lösung an. Die 1987 im Gazastreifen mit dem Wohlwollen der israelischen Besatzungsmacht gegründete Hamas begreift sich als „islamische Widerstandsbewegung“. Von ihrem früheren Maximalziel, einem Palästina auf dessen gesamtem historischen Gebiet, also unter Beseitigung Israels, ist die Hamas 2007 zugunsten der Forderung zur Einrichtung eines Palästinenserstaates in den Grenzen von 1967 abgegangen.

Der Bruderstreit scheint beigelegt, doch viele Probleme bleiben: Die Annäherung der verfeindeten Brüder stößt in Israel, aber auch bei palästinensischen Experten wie dem Politologen Hani Habib auf Skepsis. Es habe, so Habib, immer wieder unterzeichnete Einigungen – 2007 in Mekka, 2008 in Sanaa – und sogar Regierungsbildungen gegeben, die wieder zusammengebrochen seien.

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