© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

Leben mit Gewalt, Drogen und Knast
„Gangsta-Rap“ und Jugendkriminalität: Während rechtsextreme Musikinhalte erfolgreich ausgegrenzt werden, feiert das „Gangsta-Genre“ fröhliche Urständ
Lion Edler

Ich war betrunken und aggressiv“, erklärte der 18jährige der Polizei. Er habe „einfach Streit gesucht“, sagte er lapidar. So erläuterte Torben P.  seinen brutalen Überfall auf ein Zufallsopfer im Berliner U-Bahnhof Friedrichstraße, bei dem er über Ostern einen 29jährigen bewußtlos trat. Weil eine Videokamera alles aufzeichnete, kommt es zur gesellschaftlichen Schockwirkung, und kurz darauf wieder einmal zu einer Grundsatzdebatte über Jugendgewalt in Deutschland. In der Erregung erkennen manche einen neuen Mitschuldigen für Verrohung und Gewaltbereitschaft: Rapper mit gewalthaltigen Texten.

Für die einen ist es eine überfällige Debatte über das Transportieren menschenverachtender Wertvorstellungen, für die anderen eine Suche nach Gründen für die exzessive Gewalt. Mal sind es die Computerspiele, mal der Drogenmißbrauch, dann wieder der Gangsta-Rap. Dazwischen gibt es die Mittelposition, wonach vulgärer Unterschichten-Rap zwar keine Hauptursache für Gewalt ist, jedoch im entscheidenden Moment aufputschend wirken kann, wenn die Konsumenten bereits ein gewaltbereites Wertegefüge haben.

Rap-Kritiker verweisen auf die Tatsache, daß der U-Bahn-Schläger Torben P. ein Anhänger des Berliner Rappers Taktloss war, dessen Texte zum Thema Gewalt zuweilen eindeutig sind. „Ich schlag euch alle kaputt“, heißt es in dem Song „Vorhang auf“, den er gemeinsam mit dem Interpreten MC Basstard produzierte. Und weiter: „Bin ich mit euch fertig, seid ihr nur noch Asche und Schutt.“ Kollege MC Basstard gibt im selben Lied zu Protokoll: „Zuerst schlacht’ ich deinen Bauernvater, danach verspeis ich Schaf und Rind.“

 Grund genug, zu fragen, ob solche Texte etwas mit der Gewalttat im U-Bahnhof zu tun haben könnten. Zumal die familiäre Situation von Torben P. nicht in das übliche soziale Raster von Kriminellen paßt: der Täter Abiturient, der Vater Jurist, die Familie bewohnt eine Eigentumswohnung, besitzt ein Boot.

In den letzten Jahren kam es nach brutalen Fällen von Jugendgewalt wiederholt zu Debatten um den Einfluß gewalthaltiger Rap-Texte. Auch ein Täter des Mordfalls am S-Bahnhof Solln, Markus S., der 2009 den Geschäftsmann Dominik Brunner zu Tode trat, hörte Lieder der US-Rapper Tupac Shakur, Eminem und Snoop Dogg. Verräterisch hierbei war ein Handy-Mitschnitt der Gewalttat, in welchem die Täter gegen das Opfer genau die Fäkalsprache benutzen, die in einschlägigen Rap-Texten üblich ist: „du Bastard“, „du Motherf***er“, pöbelte er in Richtung des wehrlosen Opfers. Als Markus S. wegen räuberischer Erpressung im Gefängnis saß, tätowierte er sich die Worte „Hip Hop“ in den Unterarm. Während der Gerichtsverhandlung wegen des Mordes lachte er, als Obduktionsbilder des Opfers gezeigt wurden – und schrieb Rap-Texte.

Bei einem weiteren Mordfall im letzten Jahr, bei dem in Hamburg ein 19jähriger von einem 16jährigen afghanischstämmigen Jugendlichen mit einem Messer umgebracht wurde, geriet Rap ebenfalls ins Schlaglicht. Nach der Tat kursierte im Internet ein Video der Gruppe „Neustädter Jungs“, in dem auch der Täter im Hintergrund zu sehen ist, und bei dem der Liedtext exakt zur Tat  paßte: „Nachts auf der Straße kriegst du ein Messer in den Bauch“, war da unter anderem zu hören. Die Hamburger Polizei sah in dem Film allerdings keine größere Bedeutung. Es handle sich bei den im Video gezeigten Personen „nicht um eine feststrukturierte Gruppe“, sondern um „normale Jungs, die mal mit dem einen, mal mit dem anderen herumhängen“, so eine Polizeisprecherin gegenüber stern.de.

 Auch im Fall einer brutalen Prügelattacke im September 2010 in Berlin berichteten Medien darüber, daß sich die vier jungen Täter direkt vor der Tat mit aggressiver Hip-Hop-Musik aufgeputscht hätten. Vier Fälle von schweren Gewalttaten, die für Rap-Kritiker einen Zusammenhang zwischen Gewaltbereitschaft und Rap-Texten nahelegen. Andererseits fragen sich Gegner dieser These, ob nicht eher umgekehrt die Gewaltbereitschaft von bereits sozial auffälligen Jugendlichen dazu führt, daß diese entsprechende Texte hören. „Was war zuerst da? Das Huhn oder das Ei?“ fragt Autor Joe Swanson daher im Internetforum „Gute Frage“ zur Debatte um Gewalt-Rap. „Schwere Frage“, findet er, „aber gab es Jugendgewalt und Kriminalität erst seit Rap?“ Die Frage erscheint um so berechtigter, wenn man bedenkt, daß in drei der vier genannten Gewalttaten nicht nur Rap, sondern auch Alkohol im Spiel war. Doch um diesen dreht sich die öffentlichte Diskussion weniger – ist es also nur eine Scheindebatte?

Für Klaus Farin, Leiter des Berliner Archivs der Jugendkulturen, ist die Sache klar. Niemand werde „zum Gangster, weil er Gangster-Rap hört, niemand zum Sexisten durch sexistische Musik (oder zum Nazi, weil er Rechtsrock hört)“, sondern weil die Musik seiner Lebenseinstellung entspreche. „Lebenseinstellungen entstehen durch Menschen, nicht durch Medien“, faßt Farin seinen Standpunkt zusammen. In einer Anhörung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) ging Farin außerdem der Rolle der Musikindustrie nach, die im Zusammenhang mit Gewalt-Rap immer wieder diskutiert wird. Laut Farin verkaufe die Industrie „schlicht alles, was sich verkaufen läßt“, allerdings „mit einer löblichen Ausnahme: Rechtsextreme Musik“ werde „von der Musikindustrie inklusive privaten TV- und Radiosendern zu 100 Prozent ausgegrenzt.“

Fast alle als frauenfeindlich oder Kriminalität verherrlichend diskutierten Rapper hätten jedoch bei kleineren Plattenfirmen begonnen, und die Mehrzahl sei dort noch immer. Die Künstler würden erst von der Industrie eingekauft, wenn sie bewiesen hätten, daß sie eine ausreichende Zahl von Käufern gewinnen könnten. Bei der Verwandlung in massenkompatiblen Rap werde die Musik jedoch durch die Industrie entschärft, „abschreckende provokative Kanten“ würden geschliffen.

Doch provokative Kanten gibt es bei den kleinen Plattenfirmen und vor allem im Internet genug. So fährt das deutsche Rap-Format Aggro.TV (www.aggro.tv) seit 2009 auf dem Internetportal YouTube die Videoreihe „Halt die Fresse“. Alle, die bereits Rang und Namen haben oder ihn erst beanspruchen, geben sich hier ein Stelldichein. Die Reihe ist überaus erfolgreich – über 120 Videos sind zu sehen – und die Klicks sprechen für sich. Über vier Millionen klickten auf die Gewalttiraden des kurdischstämmigen Rappers „Haftbefehl“ (bürgerlich Aykut Anhan), über drei Millionen auf das „Automatikk“-Projekt der Brüder Ayhan und Gökhan Gökgöz. Nicht zu vergessen „Memo“ (bürgerlich Mehmet Ergün Faydaci), der „West-Berliner-Atzenkeeper“ „MC Bogy“ (Moritz Cristopher) oder der iranischstämmige, ebenfalls vorbestrafte „Sinan G“ – alle zeigen sich provokant und beschwören das Leben mit Gewalt, Drogen und Knast.

Was tun? „Das Gehirn akzeptiert irgendwann die Gewalt“ schrieb die im letzten Jahr verstorbene Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die im Umgang mit arabischen und türkischen Jungkriminellen Maßstäbe setzte, in ihrem Buch „Das Ende der Geduld“ und fragte: „Kann man den Vertrieb dieser Machwerke nicht so hoch besteuern, daß mit ihnen kein wirtschaftlicher Erfolg mehr erzielt wird? Wer stundenlang gewalttätige Rap-Videos sieht, sich Killerspielen aussetzt, um dann bekokst mit seiner Gruppe loszuziehen, wird jedenfalls schwerlich einen friedlichen Abend verbringen.“

 

Gangsta-Rap und Jugendschutz

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM) hat seit einigen Jahren ein Auge auf manche deutsche Gangsta-, Porno- und Battle-Rapper. Bis 2003 hatte sich die Behörde nach eigenen Angaben „nur vereinzelt“ mit Hip-Hop-Medien befaßt. Dies änderte sich dann durch starke mediale Aufmerksamkeit für Interpreten des „neuen deutschen Battle-Rap“, bei dem Rapper sich mit Liedern  Wortgefechte liefern. Bis Ende 2010 hat das Gremium insgesamt 94 Hip-Hop-Alben indiziert. Mehrere Gründe werden hierfür benannt: „Zu Gewalt anreizende Texte und eine durchgängige Gleichgültigkeit gegenüber Gesetzesverstößen“, „die positive Darstellung des Drogenkonsums“, „ausländerfeindliche, rassistische Aussagen“ sowie „die Herabwürdigung der Frau zum sexuell willfährigen Objekt“.

 www.bundespruefstelle.de

Fotos: Der kurdischstämmige Rapper „Haftbefehl“ (o.), Mehmet Ergün Faydaci alias „Memo“ (r.o.) und „Sinan G“ posen mit ihren finster dreinblickenden Kumpels auf www.aggro.tv: Trotz Jugendschutz erfolgreich, Brutaler Überfall in der Berliner U-Bahn im April 2011: Ein wirres Gemisch von Videospiel-, Gangsta-Rap-, Drogen- und Alkoholkonsum

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