© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

Zwist unter Freunden
Provinzlärm in Oberschwaben: Verläßt die Kustodin des Jünger-Hauses ein leckes Schiff?
Sebastian Hennig

Wer die liebliche oberschwäbische Landschaft zwischen Donau und Alb durchwandert, dem erschließt sich ohne weiteres, wie diese Gegend zur geliebten Wahlheimat eines Mannes werden konnte, der in der Natur wie in einem Buch gelesen und in weltläufiger Zurückgezogenheit aus der Lektüre noch und noch Naturbilder gezogen hat. Baron Friedrich Schenk von Stauffenberg lud Ernst Jünger 1950 auf sein Schloß nach Wilflingen. Bald danach fand Jünger seinen endgültigen Wohnsitz in der ehemaligen Oberförsterei unmittelbar gegenüber dem Schloß. Was man heute dort noch sehen kann, ist die Stätte einer fortgesetzten „Inneren Emigration“, ein Mantel aus Büchern, Kunstwerken, Freundschaftszeugnissen und Fundstücken, der die feindliche Strahlung bricht.

Dichter und Lenker aus ganz Europa besuchten den Kriegshelden und Prosa-Autoren dort in seiner Klause, aber auch jede Menge glühende Verehrer und eigenwillige Propheten stellten sich ein. Die rege Reisetätigkeit nach Wilflingen war wohl nicht zuletzt die Reaktion auf die zunehmende Verwandlung der Behausung Jüngers von einem Refugium in einen spirituellen Magneten.

Zwei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau Gretha verbindet er sich 1962 mit der Literaturwissenschaftlerin Liselotte Lohrer, einer Gefährtin, die über die notwendige Beherztheit und Sachkenntnis verfügte. Die 1997 gegründete Ernst-Jünger-Stiftung übernahm nach seinem Tod das Haus als eine öffentliche Gedenkstätte für die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger. Frau Jünger bewohnte bis zu ihrem Ableben im vergangenen Jahr noch die Räume im Dachgeschoß. Aus ihrem Privatvermögen überbrückte sie während der zwölf Jahre die Differenz zwischen den tatsächlichen Aufwendungen und den Mitteln der Stiftung. Der vererbte sie schließlich einen Betrag, durch den sich das Vermögen beträchtlich vermehrte. Erst dadurch war die Erhaltung und der Betrieb des Jünger-Hauses auf lange Zeit sichergestellt.

Außerdem bestimmte sie Monika Miller-Vollmer auf Lebenszeit zur unkündbaren Kustodin der Einrichtung. Miller-Vollmer (Jahrgang 1962) unterstützte seit 1990 die Jüngers und bezeichnet ihre Stellung mal als „Mädchen für alles“, mal als die einer Haustochter. Der Schriftsteller Thomas Hettche zitierte sie in einer Reportage für die FAZ im Dezember 2007 anläßlich einer Führung durch die Jünger-Gedenkstätte mit dem Satz: „Vielleicht war ich so eine Art Tochtersatz.“ Jedenfalls genoß Monika Miller das besondere Vertrauen zumal von Liselotte Jünger und führte seit der Eröffnung 1999 die Besucher durch das Jünger-Haus. In jenem Jahr fand auch das erste Symposium des Freundeskreises der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger statt.

Jünger selbst hielt gar nichts von einem organisierten Freundeskreis. Auch hier haben ihn seine lebenslangen Beobachtungen scharfsichtig gemacht. Denn es handelt sich bei den jährlich im Kloster Heiligkreuztal stattfindenden Treffen im wesentlichen um eine Symbiose von der Art der ektotrophen Mykorrhiza: Hier siedeln in einer Lebensgemeinschaft akademische Pilze auf den Wurzeln höherer Pflanzen, ohne mit den Pilzfäden in die Zellen der Wurzel einzudringen. Studiendirektor Georg Knapp (Jahrgang 1954) vom Gymnasium in Riedlingen, der seit 1994 für die Jüngers als Schreibkraft tätig war, ist der umtriebige Organisator und vigilante Moderator der Veranstaltungen.

Zum Zeitpunkt der Wiedereröffnung des Jünger-Hauses Ende März ist die Kustodin erst aus dem Freundeskreis ausgetreten und hat unmittelbar darauf auch bei der Stiftung gekündigt. Sie betrachtet es als unerträgliche Zumutung, eine umfrisierte Authentizität jenes Hauses vertreten zu müssen, in dem sie zwei Jahrzehnte eine bevorzugte Stellung innehatte.

Worum geht es? Georg Knapp verantwortet in Zusammenarbeit mit Thomas Schmidt vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach ein Faltblatt, das schon heute eine Trophäe für Kuriositäten-Sammler ist, ähnlich den Einzelstücken von verdruckten Briefmarken, deren sich vor dem Einstampfen der Auflage fanatische Sammler zu versichern wissen. Miller-Vollmer hat alle Faltblätter nur in handschriftlichen Korrekturen ausgegeben. Der dümmste und offenbarste einer ganzen Reihe von Fehlern und Zweideutigkeiten besteht in der falschen Jahresangabe für die Verleihung des „Pour le Mérite“. Jünger erhielt die Auszeichnung nicht 1917, wie in dem Prospekt vermerkt, sondern im September 1918. Die Fehldatierung eines für Jüngers Entwicklung und die Aura seiner Persönlichkeit so bedeutenden Ereignisses hätte ausreichen müssen, diesen Zettel umgehend zu kassieren.

Solche Oberflächlichkeiten sind allerdings symptomatisch für das aufgeblasen wichtigtuerische und gleichzeitig im Kern völlig uninteressierte Museumswesen unserer Tage. Wie der Faltplan einer Nationalgalerie steht im Zentrum der Drucksache eine schematische Darstellung mit numerierten Zimmern. Der Legende sind dann die bestenfalls fragwürdig aufgebrezelten Bezeichnungen oder schlimmer historisch verfälschenden Zuordnungen zu entnehmen. Warum ist das Arbeitszimmer neuerdings ein „Studio“? Die Benennung Studio fand allenfalls für die persönlichen Räume Liselotte Jüngers Anwendung. Die (Selbst)ernennung Georg Knapps als Sekretär in Nachfolge Armin Mohlers, Albert von Schirndings und Heinz Ludwig Arnolds trägt groteske Züge.

Nach Miller-Vollmers Bekunden war „ab 1962 mit Liselotte Jünger kein Sekretär mehr vonnöten“; sie sei verärgert über die Titelanmaßung von Georg Knapp. Miller-Vollmer weiter: „Ernst Jüngers Arbeitszimmer war nie ein ‘Studio’ und Liselotte Jüngers Arbeitsplatz, das Archiv, wurde zur Schreibstelle degradiert. Das grenzt an Ehrabschneidung, weil Liselotte Jünger sich immer noch als Marbacherin fühlte und ab Mitte der 1960er Jahre die Korrespondenz Ernst Jüngers vorausschauend nach Marbacher System im Archiv ablegte.“

Warum wurde das Faltblatt nicht gemeinsam mit der Kustodin erarbeitet oder zumindest mit ihr vor Drucklegung abgesprochen? Und warum hat der Stiftungsvorstand der Ernst-Jünger-Stiftung bei der Kreissparkasse Biberach, Georg Stickel, nicht diplomatisch zwischen den Positionen scholastischen Hochmutes und emotionalen Sendungsbewußtseins vermittelt?

Wer selber einmal eine Angelegenheit von überregionalem Anspruch in der Provinz öffentlich zu verfechten hatte, der kann durch individuellen Analogieschluß nachfühlen, was hier passiert ist. Jünger selbst wäre vermutlich eine zwar „unwissenschaftliche“, aber begeisterte Besorgung seiner häuslichen Hinterlassenschaft lieber gewesen.

Foto: Monika Miller mit Ernst Jünger in der Großen Bibliothek in Wilflingen (1997): Mit Liselotte Jünger war ab 1962 kein Sekretär mehr vonnöten

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