© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

Wegbereiter
„Junges Deutschland“: Zum 225. Geburtstagdes politischen Publizisten Ludwig Börne
Pascal Schneider

Juda Löb Baruch, am 6. Mai 1786 im Ghetto der Reichsstadt Frankfurt am Main als Sohn eines in Wechselgeschäften erfolgreichen Handelsjuden geboren, trat 1818, kurz nach Taufe und Namenswechsel, als Ludwig Börne in die deutsche Literaturgeschichte ein.

Mitunter als „Vater des deutschen Journalismus“ zum Denkmal erhoben, verkannt als Zwillingsbruder Heinrich Heines, assoziiert mit dem publizistischen Kampf gegen das Zensurregime der Karlsbader Beschlüsse von 1819, geschmäht als Deutschen- und Christenhasser, idealisiert als Wegbereiter der bürgerlichen Revolution von 1848, stieß Börne erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf nennenswerte Resonanz als ein zur Identifikation einladender Heros aus der „Frühzeit der deutschen Demokratie“ (Ludwig Marcuse).

Im ideologisch unterlegten und angeheizten, zwischen beiden deutschen Staaten ausgetragenen Wettbewerb der Börne-Rezipienten hatten die DDR-Germanisten zunächst die Nase vorn. 1959 erschien in der Bibliothek Deutscher Klassiker eine zweibändige Werkauswahl mit den feuilletonistischen „Schilderungen aus Paris“ (1822/24) und dem Herzstück von Börnes politischer Pamphletistik, den 1832 bei ihrem Erscheinen sofort verbotenen „Briefen aus Paris“, die unverhohlen dazu aufriefen, die gekrönten Häupter „mit einem Satz“ zu beseitigen.

Auf den Vormärz-Agitator Börne konzentriert sich 1962 denn auch Helmut Bock in der ersten umfassenden Biographie des 1837 in Paris verstorbenen „Nationalschriftstellers“. Unübersehbar markierte die mit marxistischem Sermon durchtränkte, gleichwohl gründliche Arbeit die Grenzen der DDR-Rezeption unter SED-Vorzeichen. Hatte Erzvater Marx Börne doch nur den Protagonisten der „kleinbürgerlichen Demokratie“ zugerechnet, die fälschlich glaubten, schon die Ablösung der Monarchie durch die Republik werde die materielle Not des Proletariats beheben und die soziale Frage lösen. Damit befand sich der wackere Ritter der Feder aber automatisch „in einer minder fortschrittlichen Strömung“ gegenüber dem Begründer des „wissenschaftlichen Kommunismus“, der das welthistorische Heil eben nicht von der Republik, sondern von der Diktatur des Proletariats erhoffte.

Ein zusätzlicher Makel ergab sich aus Börnes Liaison mit dem christlichen Sozialismus des Abbé Lamennais, dessen Sensationserfolg „Paroles d’un croyant“ (1834) er ins Deutsche übersetzte und dessen Vision einer brüderlichen, gleichen und gerechten Gesellschaft er anhing. Eine Sozial-utopie, die nicht wie die marxistische „gesetzmäßig“ auf den Klassenkampf vertraute, sondern, wie dies der Börne-Biograph Willi Jaspers (1989) scharf gesehen hat, auf das „Diesseitswunder“ eines Bewußtseinswandels wartete. Der eintreten müßte, wenn – typische Journalistenhybris und seltsame Antizipation der Habermas-Illusionen über den „herrschaftsfreien Diskurs“ – die öffentliche Meinung nur intensiv genug mit publizistischen Mitteln durchgeknetet werde.

Als die dogmatisch eingeengte Börne-Aneignung in der DDR schon Züge einer Pflichtübung annahm, setzte die Konkurrenz in der Bundesrepublik zum Überholmanöver an. 1964 erschien die von Inge und Peter Rippmann edierte, noch heute gebräuchliche, fünfbändige Ausgabe der Schriften Börnes. Der Brecht-Experte Walter Hinderer schickte ihr 1969 eine Auswahlausgabe in der um demokratische Traditionspflege bemühten „sammlung insel“ hinterher. 1967 war auch Ludwig Marcuses Biographie von 1929 wieder greifbar. Populär wurde Börne dadurch zwar nicht, aber seitdem ist er eine feste Größe wenigstens im germanistischen Forschungsbetrieb.

Zu neuer Lesbarkeit haben ihm solche Hebammendienste allerdings nicht verholfen. Das ist das Schicksal des mit dem Zeitgeist verheirateten, für den Tag und die Stunde schreibenden Autors, dessen Texte mit den Ereignissen, denen sie ihre Entstehung verdanken, in Vergessenheit geraten. Zumal auch die vielgerühmte stilistische Brillianz Börnes, seine angeblich durch soviel Witz und Satire fesselnde Prosa heute bei der Lektüre erheblich an Glanz verloren hat.

Man greife heute im 225. Geburtsjahr ihres Urhebers wieder einmal zu seinem „Schwanengesang“ (Heinrich Heine) und politischen Vermächtnis, der erst 1837 erschienenen Abrechnung mit Wolfgang Menzel, dem Literaturpapst seiner Zeit. Mit endlosen Zitaten aufgefüllt, mit so umständlichen wie drögen Widerlegungen in die Breite gehend, den Emanzipationskatechismus von Fortschritt und gesellschaftlicher Befreiung tibetanisch herunterbetend, ist „Menzel der Franzosenfresser“ inzwischen allein von antiquarischem Reiz.

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