© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

Ein Wesen aus Leidenschaft und Abenteuer
Der Wissenschaftsautor Sam Kean enthüllt die dunklen Seiten des Periodensystems / Tantal-Hunger der Industriestaaten steigt
Gerd Fassbinder

Zum Besuch ins „Reich der Elemente“ lädt Sam Keans Buch ein, das es trotz seiner spröden naturwissenschaftlichen Thematik im vorigen Jahr auf die US-Bestsellerlisten schaffte. Es liefert sachlich knappe Informationen zu den physikalisch-chemischen Eigenschaften der Elemente wie Atombau, Elektronenkonfiguration oder Schmelzpunkt.

Sie sind eingebunden in wuchernde, aus dem reichen Wissen des Science Magazine-Journalisten gespeiste Plaudereien und kurzweilige Anekdoten, die anhand des Periodensystems mit der Ordnung der vermeintlich toten Dinge vertraut machen. In 19 Kapiteln behandelt Kean jeweils fünf bis acht Elemente. Exemplarisch für seine synthetische, Natur- und Kulturwissenschaften verzahnende Darstellung steht das Kapitel „Elemente im Krieg“.

Vom Kampfstoff Brom, der auch im Tränengas enthalten ist, schlägt er die Brücke zu Fritz Habers Ammoniaksynthese. Unentbehrlich für die Sprengstoffproduktion, wäre ohne diese Erfindung des Berliner Chemikers der Krieg für Deutschland im Herbst 1914 rasch verloren gewesen – infolge Munitionsmangels. Haber kreierte auch den bromhaltigen Kampfstoff Weißkreuz und entwickelte auf Chlorbasis Grünkreuz und Senfgas. Ähnlich vom Feind gefürchtet worden sei das Riesengeschütz „Dicke Bertha“, gehärtet aus Molybdänstahl. In den 1930er Jahren wurde Molybdän abgelöst von Wolfram, so daß Kean den Faden weiter spinnt zu den Kalamitäten der deutschen Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg. Ihr Hauptlieferant, das neutrale Portugal, weltweit führender Exporteur von panzerbrechendem Wolfram, stoppte erst 1944 unter alliiertem Druck seine Lieferungen ins Großdeutsche Reich. In den Kontext von Bürgerkrieg und Völkermord bettet Kean auch die im Mineral Coltan enthaltenen Übergangsmetalle Niob und Tantal ein. Hitze- und korrisionsbeständig, sind sie wichtige Bausteine bei der Herstellung von Mobiltelefonen.

Nach 1990 stieg daher der Tantal-Hunger der Industriestaaten rapide an, den Kongos reiche Vorkommen befriedigten. Die Coltan-Dollars begünstigten jedoch den Genozid an der Grenze zu Ruanda und eröffneten dem damaligen Zaïre den Weg ins Chaos. Wer das Periodensystem nur aus seinem Chemieunterricht kennt, sollte es sich von Sam Kean einmal als „Pandämonium aus Leidenschaft, Abenteuer, Verrat und Besessenheit“ nahebringen lassen.

Sam Kean: Die Ordnung der Dinge – Im Reich der Elemente. Verlag Hoffmann&Campe, Hamburg 2011, gebunden, 446 Seiten, 22 Euro

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