© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

Schneller als die Amerikaner
Wehrdienst: Bei der Artillerie zur Hochzeit der Nachrüstungsdebatte Anfang der achtziger Jahre / JF-Serie, Teil 4
Curd-Torsten Weick

Nachrüstung? Nato-Doppelbeschluß? Mittelstreckenraketen in Deutschland? Hochzeit der Friedensbewegung? Von wegen. Die große Politik zählte nicht beim Eintritt in die Freiherr-von-Fritsch-Kaserne in Hannover-Bothfeld im Jahr 1982. Statt dessen ein neues Leben mit sechs höchst unterschiedlichen Charakteren und Lebensläufen auf einer Stube. Beinah jeden Abend gab es New York Ripper und schmuddelige „Erotikfilme“ bis zum Abwinken. Kaum war der letzte Schrei verklungen, hallte es auch schon durch den Flur: „Batteriiiiiiiiiiiiiiie aufsteehhhn!“ Drei Monate Grundausbildung bei der 4. Batterie des Feldartilleriebataillons 11 waren kein Honigschlecken. Umgebracht hat es aber auch niemanden – Hauptsache die Frisur saß. Haarnetze gab es nicht mehr. Denn die Frisuren der frühen achtziger Jahre waren viel kürzer als die in den siebziger Jahren und länger als heute.

Ein Tag war wie der andere: Formalausbildung, Sport, Ausbildung am G3, Waffenputzen und jeden Abend der obligatorische Stubendurchgang: „Achtung! ... Melde ... belegt, ..., bereit zum Stubendurchgang.“ Nachrüstung? Eher war es schwierig, in Uniform an den Sozialpalästen vorbeizukommen. Es drohten Pöbeleien und Prügel.

Nach drei Monaten war dann alles vorbei. Grundausbildung ade. Aus einem Schlaffi, der keine „Murmel“ über 20 Meter schleppen konnte, wurde ein Zweimurmelschlepper. Auch die Rödelbahn machte zusehends Spaß.

Zwölf Monate Ladekanonier K3 an der sagenumwobenen Feldhaubitze FH 70, Kaliber 155. Absitzen vom Siebentonner, Haubitze abkoppeln, aufbauen, tarnen, „Stellungswechsel!“. Das ganze von vorn. Aktion pur. Doch dann – rumstehen, warten, von einem Fuß auf den anderen, dann wieder rumstehen und warten. Das Leben eines schnöden Kanoniers kann so schön öde sein. Die vielen Sauerländer, die im ungeliebten Lummerland Dienst schieben mußten, feierten dann abendlich ihr Dasein mit Warsteiner und „Eibrötschen“, während der zusammengewürfelte Rest von der Maria in der Cola schwärmte. Als Heimschläfer schonte ich meine Leber, mußte dafür aber schon um fünf aufstehen. Was tut man nicht alles fürs Vaterland.

Zum Schluß saß die Sache. Wir waren ein eingespieltes Team, das Rohr glühte und die US-Boys sahen beim morgendlichen Wettschießen ziemlich blaß aus. Blaß sahen wir dann auch aus, als nicht Sommer, sondern Singen befohlen wurde. „Dank“ an Manfred Wörner. Per Dekret befahl der neu installierte Verteidigungsminister das Singen und der Feierabend verzögerte sich. Freitag nachmittag ging es mit dem stimmgewaltigen „Hauptfeld“ auf den Dachboden: „Wildgänse rauschen durch die Nacht mit schrillem Schrei nach Norden; Unstete Fahrt habt Acht, habt Acht, die Welt ist voller Morden.“ Danach: „Es hat die deutsche Artillerie; Der alte Fritz erschaffen“. Oft wurde zwar nicht gesungen, doch die Texte saßen noch Jahre später.

Quintessenz der 15 Monate: Den Kalten Krieg gewonnen, 15 Monate verloren. Als Dank des Vaterlandes blieben mir ein Paar Stiefel, Taschentücher, das geliebte Halstuch und die Hundemarke. Am Ende mein Gruß an den West-Berliner Arzt, der mir aus vollem Herzen dankte, daß ich für ihn die Freiheit Berlins verteidigt hatte und an Thomas und Arndt, die im Januar 2010 die Ruinen der Freiherr-von-Fritsch-Kaserne besucht und die traurigen Fotos im Internet unter www.m136.de veröffentlicht haben.

Name: Curd-Torsten Weick

Dienstzeit: 10/1982 – 12/1983

Dienstgrad: Gefreiter

Einheit: Feldartillerie

Garnison: Hannover

Foto: Curd-Torsten Weick (mit Helm) im Kreise seiner Kameraden vor einer Feldhaubitze: Wehrdienst ohne Haarnetz

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