© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

S. 11 WIRTSCHAFT

Hohe Risiken
Immobilienwirtschaft: Kurzsichtiges Milliarden-Geschäft zur Haushaltssanierung / Dresden klagt gegen das börsennotierte Wohnungsunternehmen Gagfah
Paul Leonhard

Mit ihrer Sozialcharta hat die Gagfah-Group „bundesweit Standards für einen sozialverträglichen Umgang mit Mietern gesetzt“. So liest es sich auf der Internetseite des führenden börsennotierten Wohnungsunternehmens: Man sehe „sich in besonderem Maße zu sozialem Handeln aufgerufen“ und setze dabei Maßstäbe. Und für die 1918 in Berlin gegründete ursprüngliche „Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten“ (Gagfah) hat dies sicherlich gestimmt.

Doch spätestens seit der Privatisierung der Gagfah und der Umwandlung in eine steuersparende luxemburgische Aktiengesellschaft (Société Anonyme) weht ein anderer Wind – vor allem für die Gagfah-Mieter. Zur Zeit sorgt das Immobilienunternehmen, das bundesweit etwa 165.000 Wohneinheiten mit mehr als 350.000 Mietern besitzt, in speziell in punkto Sozialcharta für negative Schlagzeilen. Schwerpunkt ist Dresden. Hier hat die Stadtverwaltung die der Gagfah gehörende Woba Dresden GmbH verklagt. Genaugenommen gibt es eine Klage gegen die Woba Südost über 510 Millionen Euro und gegen die Woba Nordost auf 570 Millionen Euro. Beim Weiterverkauf von Wohnungen soll die Sozialcharta nicht berücksichtigt worden sein. Der Stadtrat geht von 70 Fällen aus. Der genaue Inhalt der Klageschrift ist nicht bekannt.

2006 hatte Dresden seinen kompletten Bestand an kommunalen Wohnungen für 1,74 Milliarden Euro an den inzwischen angeschlagenen US-Finanzinvestor Fortress (der Mehrheitsaktionär der Gagfah) verkauft – das waren 48.000 Wohnungen und 1.300 Gewerbeeinrichtungen. Der durchschnittliche Preis für eine Wohneinheit betrug 35.800 Euro. Das Unternehmen selbst begründete sein Engagement mit den besonders guten Zukunftschancen Dresdens. Die hochverschuldete Großstadt war mit einem Schlag ihre 741 Millionen Euro hohen Verbindlichkeiten los (JF 19/11). Zusätzlich gewährte eine beschlossene Sozialcharta den Mietern weit über die rechtlichen Bestimmungen hinausgehenden Schutz. CDU-Finanzbürgermeister Hartmut Vorjohann sprach von der „sozialverträglichsten Variante zur Lösung der Haushaltsprobleme“.

Wohnungsmarktexperten rätselten dagegen, mit welchem Geschäftsmodell Fortress in Dresden schnelle Gewinne erzielen könnte. Die Sozialcharta schränkte übliche Profitquellen wie Wohnungsweiterverkäufe, Senkung der Personal- und Instandhaltungskosten oder Mieterhöhungen ein. Ausreichend Spielräume waren trotzdem vorhanden. Bis September 2010 wurden von der Gagfah, in ihr hatte Fortress ihre beiden Dresdner Gesellschaften integriert, rund 6.000 Wohnungen, die meisten in bester Innenstadtlage, verkauft und vertragsgemäß 1.633 in DDR-Neubaugebieten abgerissen. Damit habe man „unser Portfolio und unsere Kapitalstruktur“ optimiert, sagte Gagfah-Sprecherin Bettina Benner. Innerhalb von drei Jahren stieg die durchschnittliche Kaltmiete ganz legal um sieben Prozent.

Für Unruhe sorgte die im März 2010 von der Gagfah angebotene „Wohn-Flatrate“: Eine freiwillige Mieterhöhung sollte in den nächsten zwei Jahren vor weiteren Mieterhöhungen schützen. Experten rechneten schnell vor, daß sich das Angebot für die meisten Mieter nicht lohne, aber die Gefahr bestehe, daß so die Dresdner Vergleichsmieten insgesamt ansteigen. Klagen von Mietern zeigten auch, daß die Gagfah an Instandhaltungsmaßnahmen spart.

Nach Berechnungen von Stefan Kofner, Professor für Wohnungs- und Immobilienwirtschaft an der Hochschule Zittau-Görlitz, wurden diese „kontinuierlich auf ein Niveau von etwa acht Euro pro Quadratmeter und Jahr heruntergefahren, normal sind zwölf bis 15 Euro“. Voriges Jahr war das Unternehmen bundesweit bei 6,36 Euro angelangt. „Zum Erstaunen der Fachwelt schafft es die Gagfah, die laufenden aufwandswirksamen Instandsetzungen von niedrigstem Ausgangsniveau immer noch weiter zu senken“, konstatiert Kofner im Fachblatt Wohnungswirtschaft und Mietrecht (4/11). Wahrscheinlich werde im Sozialwohnungsbestand in nicht wenigen Fällen nicht einmal mehr die in der Kostenmiete vorgesehene Instandhaltungspauschale ausgeschöpft. Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund verwundert das nicht. „Für mehr Rendite gibt es zwei Möglichkeiten: Mehr rausholen oder weniger reinstecken“, sagte er dem Spiegel. Am Ende könnte die Insolvenz stehen, wie Peter Barthels, Chef des Mietervereins, bereits im September warnte. Mit seinen Verkäufen, speziell der Wohnungen am Altmarkt und an der Prager Straße, nehme sich das Unternehmen „die Basis für zukünftige Einnahmen und hohe Renditen“.

Die Einhaltung der Sozialcharta und die „ungenügende Instandhaltung“ der Bestände beschäftigen aktuell nicht nur das Dresdner Landgericht und die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, sondern auch den Bundestag. In einer Kleinen Anfrage fordern die Bündnisgrünen Aufklärung über die „fragwürdige Praxis“ der Gagfah.

Inzwischen mehren sich aber auch warnende Stimmen vor den Folgen eines gerichtlichen Sieges der Stadt gegen das Wohnungsunternehmen. Fortress werde aus der Woba alles rausholen, was da ist und sie dann ausbluten, so Barthels. Die Sozialcharta sei „von Anfang an ein zahnloser Papiertiger“ gewesen. Sollte die Gagfah oder eine ihrer Tochtergesellschaften in Insolvenzgefahr geraten, dann sei es nicht sicher, daß die Beteiligungsfonds von Fortress mit frischem Eigenkapital aushelfen werden, warnt Kofner. Experten gehen deswegen davon aus, daß sowohl Stadt wie Unternehmen auf eine Einigung vor dem Schiedsgericht setzen. Letztlich zeige der Fall Gagfah, so Kofner, exemplarisch die Risiken, die sich aus den Verkäufen öffentlicher und sozial gebundener Wohnungsbestände an Investoren ergeben können.

Vor allem hat aber die längst nicht ausgestandene Weltfinanzkrise das riskante Fortress/Gagfah-„Heuschrecken“-Konzept in Schwierigkeiten gebracht. Die Fortress-Aktie ist abgestürzt, die Gagfah erwirtschaftet seit mehreren Quartalen nur Verluste, die Dividendenzahlungen gehen zu Lasten des Eigenkapitals. Vergangene Woche erklärten Sprecher der Fondsgesellschaften DWS und Allianz Global Investors, alle Gagfah-Papiere verkauft zu haben.

Foto: Sanierter DDR-Plattenbau in Dresden: Die laufenden Gagfah-Einnahmen werden zu einem Großteil an die Aktionäre ausgeschüttet – für notwendige Erhaltungsinvestitionen bleibt zu wenig übrig. Rennomierte Fondsgesellschaften habe alle ihre Gagfah-Papiere längst verkauft.

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