© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

Pankraz,
David Hume und das Gewohnheitstier

Letzten Samstag, den 7. Mai, erinnerten auch hierzulande einige Zeitungen an den 300. Geburtstag des schottischen Philosophen, Historikers und Nationalökonomen David Hume (1711–1776), den „Vollender des englischen Empirismus“, wie es übereinstimmend hieß, „den Wegbereiter der modernen Wissenschaft“, der – laut Kant – die Welt aus ihrem „dogmatischen Schlummer erweckt“ habe. Nun, wenn Pankraz den Herrn aus Edinburgh kennzeichnen müßte, würde er, bei allem Respekt, bescheidenere Lobsprüche ins Spiel bringen, etwa diesen: David Hume war das größte Gewohnheitstier aller Zeiten, ein Weltmeister der Gewöhnung.

Was primär da ist und was wir spontan „wissen“ können, konstatierte Hume, das sind die „äußeren“ Sinneseindrücke („impressions“) und die „inneren“ Erinnerungen und Vorstellungen („ideas“), also die Farben und Formen, die Geräusche und Gerüche, die Träume, Ängste und Wünsche. Ob den Impressionen eine unveränderliche „Substanz“ zugrunde liegt und den Ideen ein „Ich“, das sie denkt – das wissen wir nicht  und werden es auch nicht wissen. Wir halten es nur für möglich, vermuten es, nehmen es an, mit einem Wort: glauben es.

Nicht einmal  daß eines aus dem anderen hervorgeht, daß es Ursache und Wirkung gibt, können wir jemals wissen. Es gibt ja nur den Sinneseindruck des zeitlichen Hintereinanders,  nur dieser ist sicher. Daß bei einem Vorgang eines das andere „verursacht“, ist eine bloße Zugabe unseres Glaubens. Wir sprechen von Ursache und Wirkung, wenn die zeitliche Abfolge mit einiger Häufigkeit und Regelmäßigkeit passiert, d.h. wir gewöhnen uns lediglich an sie. Daß es wirklich Ursachen und Wirkungen gibt, setzen wir einfach gewohnheitsmäßig voraus.

Die sogenannten Newtonianer haben sich seinerzeit sehr über Hume lustig gemacht. Wenn ein Stein durch einen Fußtritt oder Handstoß in Bewegung gesetzt werde, so sei das doch kein bloß zeitliches Ereignis, sondern eindeutig eine Ursache-Wirkung-Mechanik, hieß es. Später bei der Erforschung chemischer Reaktionen wurde dann sogar die „innere“ Kausalität direkt sichtbar. Erden, Flüssigkeiten oder Gase, so sah man, veränderten sich von Grund auf, sobald man ihnen gewisse andere Stoffe beigab, sie schmolzen, verdampften oder verhärteten nicht nur, sondern wandelten sich in der molekularen Struktur. Was wollte man mehr?

Freilich, inzwischen hat sich die wissenschaftliche Lage eindeutig zugunsten von Hume weiterentwickelt. Es kamen Max Planck und Albert Einstein und Werner Heisenberg, es kamen Unschärferelation und Quantenphysik. Nach der herrschenden Quantentheorie gibt es gar keine unveränderliche Kausalität, gar kein ehernes Ursache-Wirkung-Verhältnis, nur Wahrscheinlichkeit. Ob Elementarteilchen sich so oder so verhalten, können wir nicht exakt voraussagen. An die Stelle blinden Kausalitätsvertrauens ist die Statistik getreten. Ein Ereignis einigermaßen treffend vorauszusagen, ist eine Sache des statistischen Kalküls.

Zwar lassen sich, wie Heisenberg gezeigt hat, Experimente ausführen, die uns erlauben, den Ort eines Körpers, eines „Teilchens“, mit großer Genauigkeit festzustellen, aber bei dieser Messung muß das Teilchen einer so starken äußeren Einwirkung ausgesetzt werden, daß eine große Unbestimmtheit seiner Geschwindigkeit die Folge ist. Die Natur entzieht sich der genauen Festlegung durch unsere mathematischen Messungen. Wir können nur noch vermuten, denn die von den Empiristen so gepriesene „elementare menschliche Beobachtung“ ist in jedem Falle eine „Störung“ der beobachteten Phänomene, verändert sie.

Hinzu tritt der Umstand, daß die Wissenschaft zunehmend keine eindeutigen Ursachen für bestimmte Wirkungen mehr benennen kann, daß sich die Ursachen gewissermaßen immer mehr auffächern. Früher kannte man Katalysatoren oder Fermente, die man einem Herstellungsprozeß beigesellte, um ihn zu beschleunigen oder zu optimieren. Für die modernste Technik aber gilt: Zahlreiche neuartige Gerätschaften im Mikro- und Nanobereich benötigen zur Herstellung ein riesiges Ensemble von Voraussetzungen, bei dem man gar nicht mehr von  „Ursache“ sprechen mag.

Sogenannte „seltene Erden“ müssen her, deren genaue Funktion man nur schwer (wenn überhaupt) durchschaut, die jedoch unbedingt notwendig sind, um das Gerät funktionell zu optimieren. In der Biologie und in der Medizin, wo man nicht von Katalysatoren, sondern von „Enzymen“ spricht, liegen die Dinge noch heikler. Enzyme sind Proteine, die biochemische Reaktionen „begleiten“ müssen, etwa die Verdauung oder das Kopieren und Transkribieren von DNA beziehungsweise RNA bei der Erbinformation. Dennoch spricht kein Biologe davon, daß Enzyme die „Ursache“ von Verdauung oder DNA-Kopie seien.

Die alte Weisheit der antiken Skeptiker (Arkesilaos, Sextus Empiricus und andere) bestätigt sich, nämlich daß alle kausalen Verhältnisse unendlich relativ sind, nichts „an sich“ Ursache oder Wirkung ist, sondern jedes von beiden nur mit Rücksicht auf ein anderes. David Hume hat das in seiner Zeit kraftvoll wiedererinnert. Es war ja das 18. Jahrhundert, das Jahrhundert der sogenannten Aufklärung, wo noch der kleinste Oberlehrer oder Salonlöwe vor Eifer beim Aufdecken angeblich wahrer Ursachen geradezu bibberte. Hume hat einen kräftigen Schluck klares Wasser in diesen Fusel gegossen.

Er, der „Vollender des Empirismus“, der Freund von Rousseau und Adam Smith, deckte zugleich die natürlichen Grenzen des Empirismus auf. Er hat  mit größter Gedankenschärfe daran erinnert, daß es hier auf Erden für uns sterbliche Menschen, speziell für Wissenschaftler und andere, die es gern genau nehmen, gar keine volle, dauerhafte Wahrheit und folglich auch keine definitive Aufklärung geben kann, daß jede Ursache, auch die kleinste, ein großes Geheimnis bleibt und wir uns nur daran gewöhnen und in der Gewöhnung einrichten können – bis zum Eintritt des Gegenteils.

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