© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Noch zum 75. Todestag Oswald Spenglers: Bemerkenswert, aber weitgehend unbekannt ist die Spengler-Debatte der ersten Nachkriegszeit. Die hatte selbstverständlich nicht die Intensität der Auseinandersetzung mit dem „Untergang des Abendlandes“ nach dem Ersten Weltkrieg, hing auch mit der Frage der Beurteilung von Toynbees Geschichtsphilosophie zusammen, die man entweder als müden Abklatsch oder als willkommene Entschärfung betrachtete, aber vor allem suchte man nach einer großen Deutung des deutschen und des europäischen Schicksals. Viel Neues bot die Auseinandersetzung nicht. Auf zwei Stellungnahmen sei jedoch hingewiesen, weil sie interessanterweise von Remigranten kamen, beide jüdischer Herkunft, beide marxistisch geprägt, der eine Haupt, der andere Dissident der Frankfurter Schule: Theodor W. Adorno und Franz Borkenau. Adorno erhob 1950 in einem Essay zuerst die Forderung, man müsse ein Ende machen mit Spengler, dessen Gefährlichkeit nicht in seiner Zyklentheorie, sondern in seiner Beschwörung der „wahren Geschichte“ liege; die Gesellschaft sollte aber nicht von ihrer Tatsächlichkeit, sondern von ihrer utopischen Potentialität her gedeutet werden. Dagegen vertrat Borkenau die These, daß die intellektuelle Linke endlich zugeben müsse, daß Spengler mit seiner Auffassung vom gesetzmäßigen Aufstieg und Niedergang der Hochkulturen im Recht gewesen sei; es bleibe nur die Hoffnung nach dem Untergang, daß man entscheidende Bestände durch das Transitorium retten könne. Borkenau starb früh und hatte keinen nennenswerten Einfluß auf die Geistesgeschichte der Bundesrepublik, wie anders Adorno.

Die Erregung über die US-amerikanische Führungsspitze, die die Tötung Bin Ladens beobachtet, ist übertrieben. Immerhin wurde darauf verzichtet, die Leiche des Outlaws in einer Auslage zu präsentieren oder sich mit ihr ablichten zu lassen, wie im alten Westen üblich.

„Jede Kultur hat ihren eigenen Code“ (Sloan).

Was an Spenglers Denken in der deutschen Bildungsschicht nachwirkte, war neben der Geschichtsphilosophie die Forderung nach politischem Realismus. Ende 1961 konnte Paul Sethe, einer der einflußreichsten Journalisten, in einem Leitartikel der Zeit ganz selbstverständlich schreiben, daß man – angesichts von Mauerbau und der großen Entspannung zwischen den Supermächten und über die Köpfe der Deutschen hinweg – genötigt sei, die Illusionen in bezug auf die Wiedervereinigung zu begraben. Das habe auch damit zu tun, daß die Deutschen, wenn es um ihre nationale Existenz gehe, ein recht erbärmliches Bild abgäben, der „kalten Wirklichkeit“ nicht gewachsen seien. Über einen anderen als den eingeschlagenen Weg sei zwar räsoniert worden, aber „... zu einer solchen Politik hätte ein Volk gehört, das seit dem Waffenstillstand anders hätte erzogen werden müssen als die Bevölkerung der Bundesrepublik. Dieses Volk hätte ‘in Form’ sein müssen, wie Oswald Spengler es ausgedrückt hat, mit einem lebendigen Bewußtsein für seine geschichtliche Aufgabe, bereit zum Verzicht, zum Opfer, vielleicht zum letzten Wagnis. Wie aber hätte es gelingen können, eine Nation zum äußersten Entschluß mitzureißen, die daran gewöhnt ist, daß alles immer besser und besser geht ...?“

Es wäre interessant zu erfahren, ob die Alltagsbeobachtung zutrifft, daß das Zeichentalent schwindet. Jedenfalls gab es früher anders als heute unter Kindern und Jugendlichen immer den einen oder anderen, der früh – und ohne Anleitung – zu zeichnen begann. Solche Fähigkeit galt zwar schon im Kunstunterricht der siebziger Jahre wenig und seither immer weniger, aber der Betreffende durfte doch der Bewunderung der Nichtskönner und dann noch sicher sein, daß man irgendwo berufliche Verwendung für ihn fände. Damit ist es aus. Noch eine Nebenfolge des iconic turn und Konsequenz der beliebigen Produzierbarkeit und Reproduzierbarkeit des Bildes.

Man kann neben Adorno und Borkenau noch Ludwig Marcuse nennen. Marcuse sah in Spengler vor allem den „Wahrsager“ und würdigte ihn Mitte der fünfziger Jahre in einer Reihe mit anderen großen Propheten der kommenden Katastrophen: Marx, Burckhardt, Nietzsche. Was er hervorhob, war die Konsequenz der Einsicht Spenglers: „Das Heilsame ist die Kritik an allen Anbetern aller ‘Merseburger Zaubersprüche’ des 20. Jahrhunderts: der verrenkten Mythen, der geheimniskrämerischen Psychologien, der archaischen Theologien. Als Gegengift war Spengler ein bedeutender, heilsamer Arzt.“ Marcuse teilte übrigens mit Adorno und Borkenau die Abstammung, die Vertreibung ins Exil und den Entschluß zur Rückkehr. Man darf ihn vor allem nicht mit dem anderen – Herbert – Marcuse verwechseln, er war und blieb Nietzscheaner, 1967 nahm er (neben Armin Mohler) den ersten Adenauerpreis in Empfang.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am  27. Mai in der JF-Ausgabe 22/11.

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