© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

Für immer auf dem Highway
Richter und Anwälte zitieren seine Texte: Bob Dylan wird siebzig
Silke Lührmann

Adel verpflichtet: nicht zuletzt die Journalistin, die sich – inzwischen selber in die Jahre kommend – in regelmäßigen Abständen anläßlich der jeweils anstehenden Jubiläen genötigt sieht, ihren zählebigen Jugend-idolen Tribut zu zollen; die Höhe- und Tiefpunkte eines im gleißenden Rampenlicht gelebten Lebens abermals Revue passieren zu lassen und nach Worten zu ringen, um das tausendmal Gesagte zum tausendundersten Mal zu sagen.

Bei Bob Dylan, der sicherlich zum Adel seiner wenig noblen Zunft zählt, ist dies eine vergleichsweise dankbare Aufgabe, ist der Altmeister doch seinerseits eifrig dabei, die eigene Legende um- und weiterzuschreiben. Seit seinem 60. Geburtstag (JF 22/01) hat der Großvater aller heutigen Indie-Kids mit ihren bleichen Leidensbittermienen und hautengen Röhrenjeans vielerlei Aktivitäten entfaltet, um sicherzustellen, daß er ebendieser Enkelgeneration nicht etwa als jener Folk-Troubadour in Erinnerung bleibt, der er – wer weiß das mittlerweile noch so genau – vielleicht tatsächlich niemals war.

Während seine einstige Weggefährtin und Steigbügelhalterin Joan Baez bis heute zumindest eine Aura der Authentizität wahrt, verkörpert Dylan seit jeher die andere Seite dessen, was von den Versprechen und Hoffnungen der sechziger Jahre übrigbleibt: das Performative, Ludische – das Rimbaudsche „Ich ist ein Anderer“, das die Hauptrolle in Todd Haynes’ filmischer Dylan-Hommage „I’m Not There“ spielte (JF 10/08).

Der Oscar, den Dylan 2001 für „Things Have Changed“, seinen Beitrag zu Curtis Hansons Film „Wonder Boys“ gewann, begleitet ihn seither auf seiner Never-Ending Tour: Maskottchen, Statussymbol, Goldenes Kalb oder doch nur ein Souvenir vom Jahrmarkt der Eitelkeiten? Die Konzerte läßt er mit einer Lobpreisung eröffnen, die er aus einer Lokalzeitung geklaut hat: „Meine Damen und Herren, bitte heißen Sie den Poet Laureate des Rock’n’Roll willkommen. Die Stimme des Versprechens der Counterculture der sechziger Jahre. Den Mann, der die Folk-Musik zwang, mit dem Rock ins Bett zu gehen. Der in den siebziger Jahren Schminke anlegte und im Nebel der Drogensucht verschwand. Der wieder auftauchte mit Jesus im Schlepptau. Der Ende der achtziger Jahre schon als einer von gestern galt, und der Ende der neunziger Jahre plötzlich wieder in Fahrt kam und Sachen veröffentlichte, die zu den stärksten seiner Laufbahn zählen.“

Als ob überhaupt noch ein Beweis nötig wäre, zeigte die bittere Kontroverse, die im Blätterwald und im Cyberspace um sein Live-Debüt in China im vergangenen Monat ausgetragen wurde, daß Dylan noch lange kein Mann von gestern ist – ja, daß er womöglich schon lange mehr und zugleich viel weniger als ein Mann ist, nur mehr ein Mythos mit ungeklärten Urheberrechten. Die einflußreiche Kolumnistin der New York Times, Maureen Dowd, schlug sich – immer für eine Meinung und selten für eine Überraschung gut – auf die Seite derjenigen, die sich verraten und verkauft wähnten, weil Dylan den Auflagen des chinesischen Kulturministeriums zugestimmt und das Programm für seine beiden Konzerte in Peking und Schanghai zur Genehmigung vorgelegt hatte.

Daß die Generation, zu deren Sprachrohr Dylan wider Willen, wenn auch nicht ganz ohne eigenes Zutun immer wieder erkoren wird, seit jeher auf dem linken Auge blinder war als auf dem rechten – daß sich also die Wahrscheinlichkeit eines als ultimative Horrorvorstellung an die Wand gemalten vorzensierten Auftritts bei einer Veranstaltung der Tea-Party-Bewegung gegen Null bewegen dürfte –, stand dabei gar nicht zur Debatte. Vielmehr führten seine Verteidiger ins Feld, Dylan habe in wahrhaft subversiver Manier die Erwartungen beider Seiten unterminiert, indem er anstatt der indizierten Klassiker „The Times They Are a-Changin‘“ und „Blowing in the Wind“ mit der Gospel-Nummer „Gonna Change My Way of Thinking“ aus seiner christlichen Schaffensperiode aufmachte.

Dem ewigen Wandel, der sich beim oberflächlichsten Hinsehen als Konstante seines Œuvre offenbart, hat Robert Zimmerman aus Duluth in Minnesota in seinem siebenten Lebensjahrzehnt mehr denn je zuvor gehuldigt: als Drehbuchautor und Filmstar von Larry Charles’ „Masked and Anonymous“ (2003); als gefeierter Schriftsteller, nachdem 2005 der erste Band seiner als „Chronicles“ überschriebenen Memoiren erschienen war; als DJ der nostalgisch-bodenständigen „Theme Time Radio Hour“; als Maler, dessen Kunstwerke 2007 in Chemnitz und zuletzt in Kopenhagen zur Schau gestellt wurden. Eine 2007 veröffentlichte Studie wies ihn offiziell als denjenigen Musiker aus, dessen Texte am häufigsten von Richtern und Anwälten – bis hin zum Obersten Gerichtshof der USA – zitiert werden.

Damit nicht genug, kredenzte er der staunenden Fangemeine 2009 auch noch eine Sammlung kitschiger Weihnachtsschnulzen unter dem Titel „Christmas in the Heart“. Der altehrwürdige Jack Frost als verschrumpelter Santa Claus? Das konnte doch nur ironisch gemeint sein. War es nicht, wiegelte der vielfach und vielfältig Wiedergeborene in gewohnt kryptischem Interviewstil ab: „Diese Lieder sind Teil meines Lebens, genau wie die Lieder der Folk-Musik. Die muß man ebenfalls in ganz traditionellem Stil spielen.“

 Das letzte Wort zu Dylans Wirken und Schaffen, vom „Vermächtnis“ ganz zu schweigen, ist damit gewiß nicht gesprochen. Wem es letztlich zusteht – den Kulturwächtern, der Plattenfirma Columbia, die ihre Ansprüche bei jeder sich bietenden Gelegenheit geltend macht, den Fans, die die Dylanologie zur hohen Wissenschaft erhoben haben, oder etwa dem Objekt ihrer Begierden selber –, ist unwichtig. Denn der Rest ist ja nicht Schweigen, sondern Musik: insgesamt über sechzig Studio-, Live- und „Best of“-Alben, darunter die bislang neun Folgen der „Bootleg“-Serie. Ein guter Teil davon – allemal aber „Highway 61 Revisited“ (1965), „Blonde on Blonde“ (1966) und „Blood on the Tracks“ (1975) – gehört zum Unvergänglichsten, was die spätkapitalistische Spaß- und Wegwerfgesellschaft der Mit- und Nachwelt beschert hat.

 

Konzerte

Für zwei Freiluft-Konzerte kommt Bob Dylan in diesem Sommer auch nach Deutschland. Am 25. Juni spielt er im Mainzer Volkspark, am 26. Juni im Hamburger Stadtpark. Beginn ist um jeweils 19 Uhr. Restkarten gibt es ab etwa 70 Euro.

Foto: Bob Dylan: „Wenn du nichts mehr hast, dann hast du auch nichts mehr zu verlieren“ (Zeile aus dem Lied „Like A Rolling Stone“, geschrieben 1965)

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