© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

Erschreckendes Unwissen über die Vergangenheit
Die deutsche Jugend nach dem Mauerfall / Würzburger Politik-Studenten untersuchen die „Post-Mauer-Generation“
Alexander Bagus

Jede Zeitenwende – und als solche darf man die friedliche Revolution 1989 begreifen – produziert eine Generation, die mit den Geschehnissen davor wenige bis gar keine Berührungspunkte hat. An der Universität Würzburg haben sich unter der Leitung des Politologen Thomas Cieslik Politikstudenten der „Post-Mauer-Generation“ angenommen.

Mittels einer eigenen Erhebung werteten sie knapp 600 Fragebögen ihrer Kommilitonen über den Ost-West-Konflikt, über die Einstellung zu den USA und Rußland, zu Zukunfts- und Konfliktfragen sowie zu ihren Vorstellungen über deutsche Außenpolitik aus. Auch wenn die Untersuchung, die sich mit anderen Studien wie der von Klaus Schroe-der „Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern – ein Ost-West-Vergleich“ aus dem Jahr 2008 (JF 41/08) deckt, nicht als repräsentativ gewertet werden darf, so kommen die jungen Politologen in acht Aufsätzen zu bemerkenswerten Ergebnissen, aus denen sie ihre eigenen Schlüsse ziehen.

Als erschreckend muß das Unwissen dieser Jugend über die eigene, insbesondere auch jüngere Vergangenheit gelten. Michael Christl führt dieses auf unzureichend ausgebildete, aber auch ideologisch voreingenommene Lehrkräfte sowie veraltete Lehrbücher zurück. Konsequent wird daher eine bessere Lehreraus- bzw.- fortbildung, Nutzung externer Ansprechpartner wie Zeitzeugen und Institutionen sowie eine Aktualisierung und komplette Neuerstellung von Schulbüchern neben bundesweiten Aufklärungskampagnen gefordert.

„Zivilmacht oder Zentralmacht?“ Dieser Frage geht Franziska Fritz nach und untersucht zwei besondere Fälle außenpolitischen Handelns der Bundesrepublik, nämlich Irak und Afghanistan. Fritz kommt zu dem Ergebnis, daß gerade die deutsche Position in bezug auf den dritten Golfkrieg als das Agieren einer Zentralmacht zu werten sei, die Afghanistanpolitik dagegen vielmehr als das Handeln einer Zivilmacht – trotz bzw. gerade wegen des Bundeswehreinsatzes.

Natascha Stefanski konzentriert sich auf einen Vergleich von Demokratiedefizit, Ursachen und Auswirkungen in den neuen Bundesländern auf der einen sowie Polen, Tschechien und Ungarn auf der anderen Seite. Bei ihren Ausführungen merkt man deutlich die Schere im Kopf der Autorin: Auf die Gemeinsamkeiten von rechtsextremer sowie sozialistischer Ideologie kommt sie zu sprechen, ohne dabei aber entsprechende Rückschlüsse gemäß einer einheitlichen Totalitarismuskritik zu treffen.

Am Ende des Bandes sind wohl die beiden interessantesten Ansätze zu finden. In Anlehnung an den Begriff der „Entnazifizierung“ kritisiert Andrea Pflüger die nach dem Fall der Mauer verpaßte „Entsozifizierung“, verurteilt unter anderem die Schönmalerei und  Ostalgie, den „milden Umgang mit SED-Verbreche(r)n“ sowie das nicht erfolgte Verbot der SED. Sie schließt mit der Forderung nach mehr Aufklärung statt Verklärung sowie breiteren staatlichen Kampagnen gegen die umgreifende DDR-Geschichtsklitterung.

Lisa Marie Geisler wirft in dem abschließenden Aufsatz ihren Altersgenossen eine gewisse Schizophrenie vor und legt den Finger in eine offene Wunde: Frieden in Afghanistan soll die Bundesrepublik schaffen – aber bitte ohne Waffengewalt. „Der Frieden scheint der Post-Mauer-Generation (...) zu Kopf gestiegen zu sein.“ Auch wenn es durchaus Mängel gibt, auf die auch Cieslik in seiner Einleitung hinweist, ist gerade die Beurteilung der Sicht der Post-Mauer-Generation durch die eigenen Altersgenossen mit Blick auf die Zukunft interessant, denn diese Generation wird in nicht allzu ferner Zeit selbst die Entwicklung unseres Landes gemäß ihrer eigenen Prämissen gestalten.

Thomas Cieslik (Hrsg.): Die Post-Mauer-Generation. Wie die junge Generation Deutschlands Rolle in der Welt sieht. Verlag: epubli, Würzburg 2010, broschiert, 108 Seiten, 14,90 Euro

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