© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Geschichtspolitik
Kotau in Königsberg
Thorsten Hinz

Wer in der DDR aufgewachsen ist, erinnert sich: Zu den runden Jubiläen des 8. Mai, der offiziell als „Tag der Befreiung“ begangen wurde, schmückten Plakate mit der Zeile „Dank Euch, Ihr Sowjetsoldaten“ die Häuserwände und Litfaßsäulen. Mit Kranzniederlegungen an sowjetischen Ehrenmälern erreichte das Unterwerfungsritual des „Brudervolks“ seinen Höhepunkt.

Eine Tradition, die der Außenminister des wiedervereinten Deutschland fortsetzt. Vergangene Woche traf er sich in Königsberg (Kaliningrad) mit seinen russischen und polnischen Amtskollegen. „Vor Beginn der offiziellen Gespräche gedachten die drei Außenminister am ‘Mahnmal der 1.200 Gardisten’ der bei Einnahme der Stadt im Zweiten Weltkrieg gefallenen sowjetischen Soldaten“, heißt es in einer Meldung des Auswärtigen Amtes. Eine Kranzniederlegung Westerwelles für deutsche Kriegstote fand nicht statt, so teilte das Ministerium auf Nachfrage mit.

Was sich in St. Petersburg, Kiew oder Minsk selbstverständlich gehört, stellt in der ehemaligen Hauptstadt Ostpreußens eine Obszönität dar. Der Besetzung durch die sowjetischen Truppen am 9. April 1945 folgten willkürliche Erschießungen, Gewaltmärsche, Vergewaltigungen, bestialische Folterungen. Hunger und Seuchen komplettierten die Qualen. Von den 110.000 Deutschen, die sich am Tag der Kapitulation in der Stadt befanden, lebten 1948 noch knapp 15.000.

Westerwelle ist kein Zyniker oder böser Mensch. Er hat bloß die Lehrsätze der bundesdeutschen Klippschule verinnerlicht. Die zwei wichtigsten sind die sakrale Sonderstellung des Holocaust und der Vorrang des Befreiungsmotivs. Deutsche Kriegsopfer hingegen sind selber schuld an ihrem Leiden oder als Kollateralschäden zu verbuchen. Ernst Nolte, der im Historikerstreit vor 25 Jahren politisch, nicht aber als Wissenschaftler unterlag (siehe Seite 19), meinte 1995, daß die Vergangenheitsbewältiger „durch die Wiedervereinigung ihres besten Trostes beraubt“ worden seien, der Teilung des Landes als adäquater Sühne für den Holocaust. Würden die Westdeutschen den Eindruck gewinnen, daß die Mitteldeutschen nur am Wohlstand, nicht aber am geistig-moralischen Inventar der Bundesrepublik inklusive der Vergangenheitsbewältigung interessiert seien, könnte das auf eine neue mentale Teilung hinauslaufen.

Es ist viel schlimmer gekommen: Die „kritische Geschichtsaufarbeitung“ des Westens und das antifaschistische Unterwerfungsritual der offiziellen DDR haben sich zu einem antifaschistischen Geschichtskonsens vereint, der den würdelosen Auftritt Westerwelles in Königsberg überhaupt erst möglich machte. Als Kommentar genügen zwei Worte: Pfui Teufel!

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