© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Rückkehr zur Landesverteidigung
Bundeswehrreform: Mit den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien rückt der Schutz der Heimat wieder in den Mittelpunkt
Karl Feldmeyer

Am 3. März übernahm Thomas de Maizière (CDU) das Amt des Verteidigungsministers. Elf Wochen ließ er sich Zeit, bis er seine Konzeption für eine Bundeswehr vorstellte (siehe auch Seite 5), die sich – chronisch unterfinanziert – seit langem in einer Schieflage befindet. Sie wurde durch den überraschenden und leider erfolgreichen Vorstoß seines Vorgängers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), die Wehrpflicht zu suspendieren, verschärft. Binnen weniger Tage fiel das Credo zur Wehrpflicht, zu dem sich bis dahin alle Politiker beider Unionsparteien, die Kanzlerin und zu Guttenberg eingeschlossen, bekannt hatten. Das zeigt einmal mehr, daß man sich nicht auf das verlassen darf, was sie versichern.

 Die Erwartung, de Maizière würde   zumindest versuchen, diese schwerwiegende Fehlentscheidung rückgängig zu machen, war von Anfang an unbegründet, was der Minister bereits kurz nach seinem Amtsantritt auch klar sagte. Das wäre ihm angesichts der Haltung der Kanzlerin und der Regierung insgesamt auch nicht möglich gewesen. Somit bleibt es dabei, die Wehrpflicht auszusetzen und eine Freiwilligenarmee mit 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten aufzubauen. Zu ihnen soll sich noch eine  bislang unbekannte  Zahl von freiwillig dienenden Soldaten mit einer Dienstzeit von bis zu 23 Monaten (bei 24 Monaten beginnt der Status des Soldaten auf Zeit) gesellen. Ursprüngliche Planungen, die von 15.000 Freiwilligen ausgingen, sind angesichts fehlender Bewerber überholt. Jetzt geht der Minister von 5.000 plus X aus. Obere Begrenzung  des Gesamtumfangs der Bundeswehr sollen 185.000 Soldaten sein. Der Kern  der Armee soll aus 50.000 Berufs- und 60.000 Zeitsoldaten bestehen.

Auf dieser Grundlage basieren alle Aussagen und Entscheidungen, die der Minister in seiner Grundsatzrede in der vergangenen Woche und in den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien vorgenommen hat. Sie überzeugen in Form und Inhalt durch logische Stringenz und eine für Politiker ungewöhnlich klare und sachliche Sprache. De Maizière weicht von den Plänen zu Guttenbergs in wichtigen Fragen wie der Zuständigkeit des Generalinspekteurs für die Militärpolitik ebenso ab wie von den Richtlinien, mit denen sein Vorgänger Peter Struck (SPD) 2003 den im Grundgesetz festgelegten Verteidigungsauftrag der Bundeswehr marginalisiert hatte.

De Maizières Richtlinien stellen den Auftrag der Bundeswehr vom Kopf wieder auf die Beine. In den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien steht der  Auftrag zur Landes- und Bündnisverteidigung wieder dort, wo er hingehört: An erster Stelle. Er verbindet ihn mit dem Auftrag zum Heimatschutz. Erst danach folgen die Aufgaben Konfliktverhütung, Krisenbewältigung, Kampf gegen den internationalen Terrorismus sowie Beteiligung an Aufgaben der Verteidigungspolitik der EU und andere.

De Maizière geht es dabei offenkundig um die Stärkung des Selbstverständnisses der Bundeswehr als das Instrument der Bundesrepublik zur Wahrung deutscher Sicherheitsinteressen und nicht als die Feuerwehr der Vereinten Nationen oder anderer internationaler Organisationen. Er tut dies, ohne die Selbstverpflichtung der Bundesrepublik zu internationaler Solidarität auch bei bewaffneten Konflikten in Zweifel zu ziehen. Im Gegenteil, er will den Umfang deutscher Verbände, die für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen, von derzeit etwa 7.000 auf 10.000 Soldaten steigern.

Die Hervorhebung des Vorrangs der Landes- und Bündnisverteidigung ist wichtig, auch wenn er – wie de Maizière ebenfalls klarstellt – keine Auswirkungen für Umfang und Struktur der Bundeswehr haben soll. Denn, so stellt der Minister fest, „die wahrscheinlicheren Aufgaben der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung bestimmen die Grundzüge der neuen Struktur der Bundeswehr. Die dafür verfügbaren Kräfte erfüllen im Wesentlichen auch die Anforderungen für die Landes- und Bündnisverteidigung sowie des Heimatschutzes der Bundeswehr“.

Daß dem neuen Verteidigungsminister das Selbstverständnis der Armee wichtig ist, belegen auch Klarstellungen wie: „Die Befähigung zum Kampf als höchster Anspruch an Personal, Material und Ausbildung ist der Maßstab für die Einsatzbereitschaft … Vom Soldaten wird verlangt, seinen Auftrag tapfer  unter Einsatz seines Lebens im Kampf durchzusetzen“, einschließlich äußerster Folgen, nämlich Tod und Verwundung, wie er ausdrücklich betont. Das sind Worte, die seine Vorgänger kaum je aussprachen und die für den Ernst und die Nüchternheit sprechen, mit der sich de Maizière seiner Aufgabe stellt.

 Was de Maizière zu den Fähigkeiten sagt, die die Bundeswehr aufrechterhalten oder erwerben muß, hat politische Brisanz; besonders angesichts der Entscheidung, ihren Umfang abzusenken und ihre Mittel zu kürzen. Die Sicherheit Deutschlands könne nicht nur von Konflikten in Europa bedroht werden, sondern angesichts der globalen Vernetzung auch durch Konflikte in entfernten Regionen, stellt er zutreffend fest. Deshalb müßten die Streitkräfte an diese veränderten Anforderungen angepaßt werden. „Krisen und Konflikte können jederzeit kurzfristig und unvorhergesehen auftreten und ein schnelles Handeln auch über große Distanzen erforderlich machen“, lautet ein Schlüsselsatz.

Das steht in direktem Gegensatz zu der These, mit der bislang der Abbau der Bundeswehr gerechtfertigt wurde, nämlich der langfristigen Vorhersehbarkeit von militärischen Konflikten, die Zeit gebe, um sich für den Ernstfall zu rüsten. Diese Illusion hat de Maizière nicht. Daß unter den heutigen technischen Bedingungen Konflikte überspringen und Kettenreaktionen auslösen können, ist unbestritten. Stellt man seine Feststellung daneben, die Bundeswehr müsse angesichts der anhaltenden und unvorhersehbaren strategischen Unwägbarkeiten auch künftig über ein breites militärisches Fähigkeitsspektrum verfügen, dann zeigt sich, wie tief die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist, die de Maizière nun gestalten soll. Wenn er aus dem, was er gesagt hat, angemessene Konsequenzen zieht, dann wird sich die Bundeswehr erheblich verändern. Ob ihm dazu die Zeit bleibt, wird sich zeigen.

Foto: Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) in der vergangenen Woche an Bord der Fregatte Brandenburg: Wahrung deutscher Sicherheitsinteressen statt Feuerwehreinsätze für die Vereinten Nationen?

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