© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Harter Machtpoker im Kreml
Rußland: Ein Jahr vor den Parlamentswahlen bringen Medwedew und Putin ihre Truppen in Stellung / Medwedew plädiert für radikale Veränderungen
Alexander Rahr

Premierminister Wladimir Putin und Präsident Dmitri Medwedew wollen offensichtlich beide bei den Präsidentschaftswahlen in Rußland im kommenden Jahr antreten. Sie müssen sich jedoch untereinander auf eine einheitliche Kandidatur einigen, um die Elite und Bürokratie des Landes nicht zu spalten. Für Präsident Medwedew ist es besonders demütigend, daß er seine Kandidatur ohne Putins Erlaubnis nicht öffentlich bekannt geben darf. Jetzt muß er Putin davon überzeugen, daß er der modernere Politiker ist und für den Westen akzeptabler sei. Immerhin benötigt Rußland für die Erneuerung seiner Wirtschaft die Unterstützung des Westens.

Putin wird Medwedew dagegenhalten, daß seine Sympathiewerte viel höher sind als die von Medwedew. Außerdem argumentiert Putin, daß er der eigentliche Stabilitätsanker des politischen Systems des Landes sei. Sein Weggang aus der Politik würde Rußland destabilisieren und zu Macht- und Umverteilungskämpfen führen.

Beide, Medwedew und Putin, versuchen nun ihre Truppen für die Präsidentschaftswahlen in Stellung zu bringen. Putin hat eine neue Russische Volksfront ins Leben gerufen, die moderate nationalistische und an Stabilität interessierte liberale Parteien an die Kremlpartei Einheitliches Rußland anbinden und somit das Wählerpotential erweitern soll. Alleine auf die Partei Einheitliches Rußland zu bauen, ist für Putin heute nicht genug. Er muß, wenn er antritt, die Präsidentschaftswahlen in der ersten Wahlrunde für sich entscheiden, wie es ihm in den Jahren zuvor gelungen war. Ansonsten leidet seine Autorität. Medwedew hat bislang noch keine eigene Partei erschaffen, hofft aber, nach Putins Verzicht, auf die Unterstützung seiner Wahlkampagne durch die Kremlpartei und die neue Volksfront.

Es scheint, als ob Präsident Medwedew einen Schulterschluß mit den mächtigen Oligarchen sucht. Im Gegensatz zu Putin, kann er sich durchaus vorstellen, den Oligarchen Michail Chodorkowski zu begnadigen. Medwedew hat einen anderen Oligarchen, Michail Prochorow, offensichtlich ermuntert, die Führung einer zersplitterten demokratischen Partei zu übernehmen, die seine liberale Agenda unterstützt. Im Streit zwischen dem von Putins treuen Vasallen Igor Setschin kontrollierten staatlichen Ölkonzern Rosneft und dem von den Oligarchen um Michail Friedmann kontrollierten Joint Venture TNK-BP um Ölförderung in der Arktis hat sich Medwedew auf die Seite der Oligarchen – gegen Setschin – gestellt. Setschin mußte sein Amt als Vorsitzender des Aufsichtsrates von Rosneft räumen. Diese Entmachtung Setschins war Medwedews größter Coup in der Personalpolitik überhaupt.

In seiner langen Pressekonferenz am 18. Mai erklärte Medwedew, die gegenwärtige Regierung müsse nach den Präsidentschaftswahlen radikal verändert werden. Mit dieser Kernaussage hat er zwar die Sympathien der demokratischen Kräfte in Rußland gewonnen, andererseits die Geheimdienste und konservative Parteien in Rußland gegen sich aufgebracht. Medwedews Signal ist klar: In seiner zweiten Präsidentschaft wird er das alte Putin-System abbauen. Es bleibt ein Rätsel, wie Medwedew Putin angesichts dieser Äußerungen dazu überreden will, 2012 die Macht in Rußland abzugeben.

Der Westen würde sich über eine zweite Amtszeit des liberalen Medwedew mehr freuen als über eine Rückkehr des Ordnungspolitikers Putin in den Kreml. Die Einflußmöglichkeiten des Westens auf diese grundlegende Entscheidung in Rußland sind aber gering. Die gegenwärtigen Herrschaftseliten favorisieren eindeutig Putin. Medwedew will die Entscheidung über den Kandidaten für 2012 forcieren. Putin will die Kandidatenkür auf die Zeit nach der Parlamentswahl Anfang Dezember verschieben. Die Nervosität in beiden Lagern steigt.

 

Alexander Rahr ist Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums – Kompetenzzentrum für Rußland, Ukraine, Belarus und Zentralasien in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).  www.dgap.org

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