© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Terror Marke Eigenbau
Linksextremismus: Die jüngsten Anschläge haben eine neue Qualität erreicht / Sicherheitsexperten sind besorgt
Felix Krautkrämer

Es ist noch nicht lange her, da vermeldete Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) zufrieden, die linksextreme Gewalt in der Hauptstadt sei rückläufig. Vor allem bei den politisch motivierten Brandstiftungen habe es einen deutlichen Rückgang gegeben, was unter anderem auf den starken „Repressions- und Präventionsdruck der Berliner Polizei“ zurückzuführen sei.

Rund drei Monate vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus hätte also alles so schön sein können, doch dann verübte vergangene Woche eine Gruppe Linksextremisten einen Brandanschlag auf die Berliner S-Bahn (JF 22/11), und Körtings Sommermärchen fand ein jähes Ende. Seitdem muß sich der Innensenator fragen lassen, wie es den Brandstiftern – Polizeigewerkschafter sprechen von „Linksterroristen“ – unter den Augen der Sicherheitsbehörden gelingen konnte, die halbe Hauptstadt lahmzulegen. Zumal der Anschlag, zu dem sich eine Gruppe mit dem Namen „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ bekannte, nicht die erste Attacke militanter Atomkraftgegner auf die Berliner S-Bahn war. Erst im vergangenen November setzten Linksextremisten mehrere S-Bahn-Kabel in Neukölln in Brand. Die Folge waren massive Beeinträchtigungen im gesamten öffentlichen Nahverkehr.

Hinzu kommt, daß sich Körting mit der in jüngster Zeit wieder aufflammenden Serie von Brandanschlägen auf Fahrzeuge konfrontiert sieht. Seit einigen Wochen brennen in der Hauptstadt beinahe wieder jede Nacht mehrere Autos. Über fünfzig solcher politisch motivierten Brandstiftungen, bei denen mehr als achtzig Fahrzeuge beschädigt oder zerstört wurden, zählte die Polizei bereits in diesem Jahr. Zumeist handelt es sich bei den angegriffenen Autos um hochwertige Marken wie Mercedes-Benz oder BMW. Häufig trifft es aber auch Fahrzeuge von in der Szene verhaßten Firmen wie Siemens, Deutsche Bahn oder die Post-Tochter DHL. Der Logistiker gerät immer wieder ins Visier, weil er auch Transportaufgaben für die Bundeswehr übernimmt.

Doch die Gewalt der linken „Kiezterroristen“ richtet sich längst nicht nur gegen Fahrzeuge. Auch Farbanschläge und Steinwürfe gegen Immobilienbüros, Ordnungsämter, Arbeitsagenturen und Bankfilialen sind keine Seltenheit. Selbst vor Angriffen auf Polizeiwachen schrecken die linksextremistischen Gewalttäter nicht zurück. Im April attackierten sechs Vermummte ein Polizeirevier im Stadtteil Friedrichshain mit mehreren Brandsätzen. Ein Putzmann, der zu dem Zeitpunkt den Eingang der Wache reinigte, entging den Flammen nur um Haaresbreite. Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt deshalb wegen versuchten Mordes. Zu der Tat bekannten sich die „autonomen Gruppen“. Diese sind auch für die seit einigen Monaten im Internet kursierende Broschüre „Polizeibericht Berlin 2010“ verantwortlich. Ausführlich wird darin über Ausrüstung, Fahrzeuge, Standorte und Einsatztaktiken der verschiedenen Berliner Polizeieinheiten berichtet und auf Schwachstellen der von Bereitschaftspolizisten getragenen Körperschutzausstattung hingewiesen. Auch findet sich ein Verzeichnis ziviler Dienstfahrzeuge der Polizei („Zivikarren“) samt deren Kennzeichen. Es sind genau solche Publikationen, die den Sicherheitsbehörden zunehmend Sorge bereiten. Als PDF im Internet für jedermann herunterzuladen, liefern Untergrundhefte wie prisma (prima radikals info sammelsurium militanter aktionen) oder das Szene-Organ Interim detaillierte Anleitungen für verschiedenste Anschlagstechniken und -möglichkeiten – vom Bau eines Molotowcocktails bis zum Umsägen von Strommasten.

Vor allem in Berlin scheinen die sogenannten „Bastelanleitungen“ auf fruchtbaren Boden zu fallen. So verübten Linksextremisten in den vergangenen beiden Jahren mehrere Anschläge mit aus Gaskartuschen gefertigten Sprengsätzen („Gasakis“). Die passende Bauanleitung war zuvor unter anderem in der Interim erschienen. Wie ernst die Behörden die Szene-Blätter nehmen, zeigen mehrere Razzien in verschiedenen „Infoläden“, bei denen die Polizei Ausgaben der Interim beschlagnahmte. Ein Verfahren gegen den Ladenbetreiber wegen „Beihilfe zur Anleitung von Straftaten“ wurde von der Berliner Staatsanwaltschaft aber wegen „Geringfügigkeit“ eingestellt. Die „Infoläden“ spielen in der Szene eine wichtige Rolle. Neben der Verbreitung von Informationsmaterialien, dienen sie auch der internen Kommunikation, als Briefkasten für die verschiedenen Gruppen und nicht zuletzt der Finanzierung von Aktionen. Eine solche Anlaufstelle existiert in nahezu jeder gößeren deutschen Stadt, wodurch sich linksextremistische Organisationen auf ein gut funktionierendes und relativ abgeschirmtes Netz stützen können. Sorge bereitet Sicherheitskreisen allerdings auch die zunehmende Gewaltbereitschaft in Teilen der linksextremen Szene. „Die Diktion hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschärft“, heißt es. Dies führe zwar nicht zu mehr linksextremen Straftaten, „aber die Qualität der Anschläge ist eine andere“.

Und potentielle Täter gibt es viele: Etwa 2.300 Linksextremisten gibt es laut dem Berliner Verfassungsschutz in der Hauptstadt. Bis zu 1.100 von ihnen werden als gewaltbereit eingestuft. Neben Anschlägen von Kleingruppen und Einzeltätern kommt es auch immer wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen der autonomen Szene, an denen sich mehrere hundert Linksextremisten beteiligen.

BKA warnt vor weiteren Anschlägen

Als die Berliner Polizei Anfang Februar ein besetztes Haus in Friedrichshain räumte, kam es zu massiven Krawallen. Eingeschlagene Schaufenster, demolierte Bankfilialen und über 60 verletzte Polizisten waren die Folge. In zahlreichen anderen Städten kam es zu gewalttätigen Solidaritätsprotesten. Im Hamburger Schanzenviertel griffen Linksextremisten Polizisten mit Leuchtmunition und Flaschen an. Auch hier gab es zahlreiche zerstörte Schaufenster.

Beim Bundeskriminalamt weiß man nicht erst seit dem jüngsten Anschlag auf die Berliner S-Bahn, welche Gefahr von Linksextremisten für die innere Sicherheit ausgeht. In einem internen Lagebild zur „politisch motivierten Kriminalität“, aus dem der Focus Anfang der Woche zitierte, heißt es, die linksextreme Szene zeichne sich durch eine „hohe Grundaggression“ und eine „niedrige Hemmschwelle zur Gewaltanwendung“ aus. Das Risiko von Anschlägen, bei denen Menschen verletzt oder getötet werden könnten, sei relativ hoch. Zwar schließe man gezielte Tötungsaktionen derzeit eher aus, dennoch warnte das BKA, bei Anschlägen gegen „herausragende Persönlichkeiten“ aus Politik und Wirtschaft würden die Täter „Personenschäden billigend in Kauf nehmen“.

Foto: Eskalierende Gewalt der „Kiezterroristen“: Militante Linke haben in Berlin ein Auto angezündet. Neben Anschlägen von Einzeltätern kommt es immer wieder zu Ausschreitungen.

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