© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Gefahr für den Industriestandort Deutschland
Dokumentation: Auszüge aus dem Redemanuskript des RWE-Vorstandschefs Jürgen Großmann, gehalten am 25. Mai beim CDU-Wirtschaftsrat in Berlin
Jürgen Großmann

Die Energiewende bedeutet eine gewaltige wirtschaftspolitische Zäsur, die uns Deutsche in Kontrast zu unseren europäischen Partnern setzt. Meine positive Grundeinstellung zur Kernenergie kennen Sie. Doch ich höre vor allem aus Ihrer Partei, daß die Messe gelesen sei. Lassen Sie mich deshalb nur über die Energiewende sprechen. (…)

Was hätte Ludwig Erhard angesichts einer solch historischen Aufgabe getan? Ich vermute, er hätte alle Beteiligten an einen Tisch geholt. Gemeinsamkeit – das ist und bleibt der Kern der sozialen Marktwirtschaft. Die Industrie garantiert, heute wie damals, den Wohlstand der Deutschen. Bezahlbare sichere Energie ist für eine gesunde Industrie lebenswichtig. Die Energie-Industrie ist es schließlich, die die Energiewende maßgeblich realisieren wird.

Wir bauen die Off-Shore-Windparks, wir konzipieren neue Netze, wir halten hohe Reservekapazitäten vor, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Doch für Erneuerbare müssen neue Stromspeicher her. Wie groß die nötigen Speicherkapazitäten sind, zeigt der hypothetische Blick ins Jahr 2030. Wenn bis dahin dreißig Prozent des deutschen Stroms aus Wind erzeugt werden, muß für eine einzige windfreie Woche das Siebzigfache der heute in Deutschland zur Verfügung stehenden Pumpspeicherkapazität bereitstehen. Das ist natürlich utopisch, zeigt aber: Bei aller Sympathie für Biogas-Bauern im Wendland und bürgernahe Stadtwerke – sie allein werden es nicht richten können. Die Energie-Industrie, und zwar Groß und Klein, sichert die Energiewende. (…)

Kohleverstromung sichert heimische Arbeitsplätze

Die Energiewende ist zu schaffen, wenn drei Dinge umgesetzt werden:

1. Sie muß in ein Gesamtkonzept eingebunden sein, das im Falle unvorhersehbarer Veränderungen flexibel genug ist.

2. Sie muß wirtschaftlich vernünftig sein, also der Überprüfung mittels Grundrechenarten standhalten.

3. Sie muß Gegensätze vereinen. Wir brauchen ein Klima des Miteinanders – denn eine solch historische Mission, die mit der deutschen Einheit zu vergleichen ist, die kann nur gutgehen, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. (…)

Ich habe größten Respekt vor dem Erfindungsreichtum der Menschen unseres Landes. Aber mir fehlt die Phantasie, wie wir in nur zehn Jahren Verkehr, Stromnetze, Kraftwerkspark und Klimaschutz den derzeitigen Erwartungen gemäß schlagartig modernisieren und bezahlen sollen. (…) RWE verfügt über modernste, effiziente Kohleverstromungstechnologien, und mit der heimischen Braunkohle liegt ein wettbewerbsfähiger Energieträger direkt vor unserer Haustür. Doch der Wind weht anders. (…)

Wer Solarpanele auf dem Dach hat, gehört zu den Guten, auch wenn er damit kaum sein iPad geladen bekommt. Unsere heimische Braunkohle hat dagegen einen schweren Stand. Dabei sichert sie allein im rheinischen Revier 40.000 Arbeitsplätze – die Wertschöpfung findet vollständig in Deutschland statt. Daß wir an ihrer Klimaverträglichkeit arbeiten müssen, wissen wir. Nicht umsonst forschen wir an der Wirbelschichttrocknung zur Erhöhung der Wirkungsgrade. (…)

Stellen wir dagegen flugs auf Gas um, steigt erstens der Strompreis, weil Gas vergleichsweise teuer ist, und, nebenbei, auch ein fossiler Brennstoff. Und zweitens gehen der deutschen Wirtschaft viele Milliarden Euro verloren. Der Wert der 2010 nach Deutschland eingeführten Erdgasmengen belief sich auf mehr als 20 Milliarden Euro. Soziale Marktwirtschaft darf meines Erachtens durchaus auch einen Anteil von nationalem Interesse verfolgen, sprich: eine hohe Wertschöpfung in Deutschland. Die Russen sehen das auch so: Gazprom-Chef Aleksej Miller hat am Ostermontag angekündigt, bis Dezember den Preis je 1.000 Kubikmeter auf etwa 500 Dollar anzuheben, von jetzt 352 Dollar. Das sind um die 45 Prozent. (…)

Widerstände gegen unverzichtbare Stromtrassen

Leider sind die Beispiele für gemeinsame Kraftanstrengungen aller Beteiligten nicht der Normalfall. Statt dessen stoßen wir allenthalben auf Widerstände. Zum Beispiel die „Interessengemeinschaft Vorsicht Hochspannung“, die in Thüringen gegen eine Trasse mobil macht, die Windstrom – ja Windstrom! – von Nord nach Süd transportieren soll.

Oder der Widerstand gegen Erdkabel. Unsere 380 Kilovolt-Pilotstrecke kam allerdings nicht wegen wütenden Bürgern ins Stocken, sondern weil die Bundesregierung schlicht die politischen Vorgaben geändert hat, etwa die Mindestabstände zur Wohnbebauung. Wir müssen mit der Planung für diese Strecke wahrscheinlich noch mal von vorne beginnen. Dabei waren wir schon sehr weit. Gleichzeitig beobachten wir, daß die Politik die Lösung vieler Probleme in der Dezentralisierung der Energieversorgung sieht.

Stadtwerke sind in! Festmachen kann man dies an der Diskussion um die Zukunft von KWK-Anlagen. Die erzeugen Strom und Wärme, was aber nur effizient ist, wenn die Wärme gebraucht wird. Die CO2-Bilanz ist gerade bei kleinen Anlagen ziemlich traurig. Dezentralisierung hat unbestreitbar Vorteile, aber bringt auch Probleme, vor allem in punkto Wirtschaftlichkeit. Womit wir wieder bei dem Bild „Energiepreise als Brotpreise der Industrie“ sind. (…)

Wer die Wende wirklich will, muß in Energiefragen ganz konsequent nach Effizienzkriterien entscheiden. Es geht nicht um große oder kleine Anlagen, sondern darum, Bestehendes und Neues möglichst klug zusammenzufügen. Denn bei dem, was vor uns vorliegt, haben wir weder Geld noch Zeit noch Energie zu verschenken.

 

Jürgen Großmann ist Vorstandsvorsitzender der RWE AG sowie Alleingesellschafter und Eigentümer des Stahlunternehmens Georgsmarienhütte Holding GmbH.

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