© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Die Feinde des Barocken
Hauptstadt: Die Bundesstiftung Berliner Schloß präsentiert den Planungstand des Wiederaufbaus
Wolfgang Saur

Den aktuellen Planungsstand zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses präsentierte letzte Woche Frank Stella auf dem 4. Forum der Bundesstiftung Berliner Schloß – Humboldtforum. Manfred Rettig, Vorstandssprecher, Jörg Stuhlemmer, seines Zeichens Architekt, und Detlef Krug vom Baumanagement führten das Werkstattgespräch, bevor sich der Diskussionsabend zum Plenum hin öffnete. Die Stiftung, als Dachorganisation und Koordinationsstelle 2009 gegründet, amtiert als eigentliche Bauherrin des Schloßbaus. Sie arbeitet mit Fördervereinen zusammen, um so die benötigten 80 Millionen Euro für die historische Fassadengestaltung aufzutreiben. 552 Millionen Euro stellt der Bund zur Verfügung.

2002 hatte eine internationale Expertenkommission den Schloßkubus in historischer Gestalt empfohlen. Vor allem seine drei barocken Fassaden im Norden, Süden und Westen und der Schlüterhof sollten rekonstruiert werden. In jahrelangen Meinungsschlachten wurden nach der Beschlußfassung des Bundestages dieses Ergebnis, interne Baustruktur, Stilformen, Nutzungskonzepte und die neu zu gestaltende, spreeseitige Ostfront debattiert. Am Ende haben sich Architekt und Bauträger statt modernistischer Pirouetten, sprich: Architekturcollage, östlich für einen strengen Querriegel mit gerasterten Fensterbändern und Loggien in klassischer Sachlichkeit entschieden.

2012 sollen die Vorarbeiten beginnen. Die Grundsteinlegung des Schloßbaus ist für 2013 vorgesehen; 2014 der Hochbau und die Fertigstellung 2017/18. Der Einzug soll 2019 erfolgen.

Präsentiert wurde jetzt die neueste Planung, die das Projekt seiner internen Struktur nach durchformt, ästhetisch und funktionell definiert. So wird der Schlüterhof als historischer Platzraum gestaltet, künftiger Ort für Freiluft-Großveranstaltungen. Der mittige Langhof, das Schloßforum, sieht eine loggiengesäumte Passage quer durchs Gebäude vor – gleich den Uffizien in Florenz. Westlich davon entsteht die überdachte Agora, die als zentraler Hauptraum den gesamten Komplex erschließt. Bekanntlich soll das Schloß Forumscharakter erhalten, die Museumsinsel zu einem Kosmos der Weltkulturen ergänzen und der Ort zum Kristallisationspunkt sozialer Begegnung, der Unterhaltung und des Wissens ausgestaltet werden. Dies Konzept verschmilzt die alte, humanistische Idee Friedrich Wilhelms IV. mit der heutigen multikulturellen Globalutopie.

Leidenschaftliche Anfragen und hitzige Diskussionsscharmützel verdeutlichten den Wunsch großer Teile des Publikums, die historische Topographie wenigstens in Teilen zurückzuholen. In diesem Sinn auch die nachhaltigen Plädoyers für die Rossebändiger der Lustgartenterrasse und den Begasbrunnen vorm Marstall. Im Meinungssystem der Hauptstadt polarisieren diese Strömung freilich schrille Gegenkräfte, auch heute noch. Verschwunden sind die Feinde des barocken Berlin noch lange nicht.

Grünen-Politikerin wurde niedergebrüllt

So drängte sich die Stadtplanungsexpertin der Grünen, Franziska Eichstädt-Bohlig, wortreich hervor, um ihre Architekturcollage erneut zu propagieren. Dies vor dem Hintergrund ihres polemischen Grundsatzpapiers 2008: „Mit dem Votum für eine Schloßreplik im Herzen Berlins hat sich der Bundestag 2002 von (…) der weltoffenen Moderne abgewandt und dem zeitgenössischen Bauen sein Mißtrauen ausgesprochen. Eben noch glücklich über die architektonisch mutige Berliner Republik, ist die Mehrheit im Bundestag nun getrieben von der Sehnsucht nach Geborgenheit in preußisch-barocker Baukultur.“

Von dieser rot-grünen Ablehnungsfront vollends entnervt, wurde Eichstädt-Bohlig regelrecht ausgepfiffen und niedergebrüllt; bitter die Kälte und Indifferenz der Stadt moniert.

Nicht zuletzt macht sich der Unmut an der Rathausbrücke fest. Ein Wettbewerb entschied 1999, die Behelfskonstruktion durch einen Neubau zu ersetzen. Den Zuschlag erhielt Walter Noebel. Sein Entwurf sieht eine in uferseitigen Betonpylonen aufgehängte Stahlkonstruktion vor: ohne Flußpfeiler und die seitliche Plattform für das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten. Die noch an der Ästhetik des Palasts der Republik orientierte Konstruktion konterkarierte das Bürgerforum mit einem traditionellen Entwurf (Maier/Schubert), zumal der 2010 erzwungene Baustopp neue Spielräume eröffnet.

Ob nun Kurfürstenbrücke, gesichtslose Ostfassade oder „Runde Ecke“: daß es sich nicht um Seniorennostalgie handelt, das Engagement vielmehr Bürger jeden Alters erfaßt, zeigt eine repräsentative Umfrage des Forums unter 14- bis 19jährigen: Sollten auch Innenräume rekonstruiert werden? Immerhin votierten 81 Prozent dafür, wenigstens zehn Prozent der Raumsubstanz originalgetreu einzurichten.

Realisieren läßt sich das finanziell heute (noch) nicht. Gleichwohl ist Frank Stella optimistisch. Bürgerschaftliche Dynamik wird letztlich entscheiden, wie weit und tief das alt-neue Denkmal Teil unseres Lebens wird.

Hermann Parzinger: Das Humboldt-Forum. „So viel Welt mit sich verbinden als möglich“. Aufgabe und Bedeutung des wichtigsten Kulturprojekts in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Hrsg. von der Stiftung Berliner Schloß, Broschüre, Berlin 2011.

Als PDF-Datei unter: www.sbs-humboldtforum.de

Hartmut Ellrich: Das Berliner Schloß – Geschichte und Wiederaufbau. Imhof Verlag, Petersberg 2008, gebunden, 204 Seiten, Abbildungen, 9,95 Euro

Fotos: Modell der überdachten Agora im geplanten Berliner Stadtschloß: Ort sozialer Begegnung, der Unterhaltung und des Wissens, Modell des geplanten Berliner Stadtschlosses: Verschmelzung mit der multikuturellen Globalutopie

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