© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Nach Kreisky, Palme und Brandt kam nicht mehr viel
Viel Polemik, wenig Analyse: Der Politologe Franz Walter über die Perspektiven der SPD in der deutschen Parteienlandschaft
Markus Brandstetter

Mit der SPD geht es abwärts. Die Anzahl der Mitglieder hat sich von 1975 bis heute halbiert, bei den Bundestagswahlen ist die Partei unter 25 Prozent gefallen, und in Baden-Württemberg haben die Grünen die SPD bereits abgehängt. Wie ist es dazu gekommen? fragt der Göttinger Politologe Walter, seit fernen Teeny-Tagen selbst Parteimitglied und der offizielle SPD-Beobachter des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.

Walter datiert den Anfang vom Ende der SPD auf das Jahr 1973, in dem Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung zu Ende gingen und die Sockelarbeitslosigkeit begann. Zwei Ursachen sieht er dafür: Zum einen habe sich die ehemals proletarisch-homogene Klientel der SPD gespalten in Emporkömmlinge und Zurückgebliebene. Die Emporkömmlinge gingen auf Gymnasien und Universitäten, kauften Mittelklassewagen und Reihenhäuser und erhoben Leistung, Fleiß und Tüchtigkeit zur Maxime. Ihre Mitproletarier endeten am Dauertropf des Sozialstaates. Während die Emporkömmlinge anfingen, CDU und FDP und später die Grünen zu wählen, landeten die Zurückgebliebenen politisch entweder ganz links oder ganz rechts. Am Schluß stand die SPD ohne genuine Wählerbasis da.

Der zweite Fehler war es, sich vom Keynesianismus zu verabschieden. Damit gaben die Sozialdemokraten ihre wirtschaftspolitische Kompetenz preis und redeten dem Neoliberalismus das Wort. Diese Bewegung gipfelte im Schröder-Blair-Papier von 1999 und der Suche nach dem Dritten Weg. Der sollte die Sozialdemokraten zwischen dem ausufernden Sozialstaat und Hingabe an den Monetarismus hindurchlotsen. Dieser Idee gilt seine ganze Verachtung. Anstatt harte Regeln für die Kapitalmärkte aufzustellen, hätten Engholm, Lafontaine und Schröder in „Orgien der Marktgläubigkeit“ den „Kotau vor dem Gegner“ vollführt.

Nachdem die Schuldigen in Deutschland identifiziert sind, stellt Walter fassungslos fest, daß es Sozialdemokraten woanders nicht besser geht. In ganz Europa haben sie in den letzten vierzig Jahren die Hälfte ihrer Mitglieder und genauso viele Wählerstimmen eingebüßt. Warum wird nicht gesagt, denn Walter will nicht analysieren, sondern polemisieren. Damit sind die Gründe für den Niedergang der Sozialdemokratie dann schnell gefunden: Kreisky, Brandt und Palme sind lange tot – und seitdem kam nicht mehr viel. Die neuen sozialdemokratischen Führer haben weder Seele noch Klassenbewußtsein, noch Programm.

Zurück nach Deutschland: Walter weiß, daß die wahren Gegner der SPD nicht außerhalb der Partei stehen, sondern mittendrin. Gerhard Schröder zum Beispiel war eine „virtuose Kämpfernatur“, aber „prinzipienlos“. Franz Müntefering ist „schmallippig, rechthaberisch“ und „kann nicht führen“. Und die Strategen in der zweiten Reihe (Hubertus Heil und Olaf Scholz) glauben sowieso nur noch an Ich-AGs, Elite-Universitäten, Hartz IV und den freien Markt. Der Partei selbst geht es nicht besser als den Bonzen. Der Apparat ist undemokratisch, der Führungsstil mies. Entscheidungen werden fern der Basis getroffen. Kleine Leute und einfache Mitglieder interessieren niemanden. Die Funktionäre sind „ausgezehrt, erschöpft und demoralisiert“.

Wie soll es in dem Zustand weitergehen? In Zukunft, sagt Walter, wird die SPD nicht mehr allein regieren können, allenfalls koalieren gehe noch. Und wie und mit wem? Indem sich die Partei nach allen Seiten, hauptsächlich nach links, als allianzfähig erweist. Dann könne sie weiter mitregieren und linke Inhalte in die Politik hineintragen. Und von wo kommen die linken Inhalte her? Natürlich aus dem frühen 20. Jahrhundert, als sowieso alles viel schöner und die Partei der „sorgende Samariter der kleinen Leute“ war. Fazit: Rhetorik statt Analyse, Häme statt Perspektiven. Und ganz klar: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde.

Franz Walter: Vorwärts oder abwärts? Zur Transformation der Sozialdemokratie. Edition Suhrkamp, Frankfurt/M. 2010, broschiert, 140 Seiten, 12 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen