© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Los von Bonn
Zwanzig Jahre nach der Abstimmung muß Berlin endlich alleiniger Regierungssitz werden
Detlef Kühn

Die Deutschen hatten es nie leicht mit ihrer Hauptstadt. Solange das Heilige Römische Reich Deutscher Nation existierte, war der Sitz des Kaisers, also Wien, das offizielle Zentrum der Macht. Da das Reich aber nur ein Fürstenbund war (der Völkerrechtler Samuel von Pufendorf nannte es im 17. Jahrhundert ein Monstrum), entwickelten sich die Residenzen der unterschiedlich mächtigen Fürsten oder die Freien Reichsstädte mitunter zu Nebenhauptstädten von Bedeutung.

Für Augsburg mit den Fuggern als Finanzmagnaten, für die Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck mit ihren mächtigen Kaufleuten im Fernhandel über Nord- und Ostsee galt das ebenso wie für das Berlin der aufstrebenden Militärmacht Preußen, das Dresden der kunstsinnigen sächsischen Kurfürsten und sogar das beschauliche Weimar, das sich mit dem benachbarten Universitätsstädtchen Jena unter dem Einfluß von Goethe, Schiller und Herder zur heimlichen Hauptstadt des Geistes in Deutschland entwickelte.

Klarheit in dieser Gemengelage schufen erst die Einigungskriege des 19. Jahrhunderts mit der Entscheidung für die kleindeutsche Organisation des Deutschen Reiches. Wien beschränkte sich von nun an auf die Rolle der Hauptstadt des Habsburgerreiches mit seinen vielen Völkern. Berlin als Hauptstadt Preußens entwickelte sich in wenigen Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg auf nahezu allen Gebieten zur unbestrittenen Metropole und Hauptstadt Deutschlands: Nicht überall geliebt, aber dafür wirtschaftlich, industriell, politisch-militärisch, wissenschaftlich und kulturell erfolgreich.

Berlin war dabei immer auch ein Symbol. Die Siegermächte strebten 1945 nicht ohne Grund danach, die Hauptstadt des Deutschen Reiches unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Sowjets, die anfangs auf ein zwar amputiertes, aber möglichst kommunistisches, für sie jedenfalls ungefährliches  Gesamtdeutschland setzten, bestimmten Berlin zur Hauptstadt ihres Satellitenstaates DDR. Die Westmächte sahen es ganz gern, daß der Regierungssitz „ihrer“ Deutschen an den Rhein verlegt wurde, bestanden aber dennoch darauf, ihre Positionen in den Westsektoren Berlins im Kalten Krieg dauerhaft zu sichern. Die maßgeblichen deutschen Politiker im Westen widerstanden immerhin der Versuchung, Frankfurt am Main zur Hauptstadt der Bundesrepublik zu machen und entschieden sich für das gemütliche Universitätsstädtchen Bonn als provisorischen Sitz von Regierung und Parlament. Frankfurt als frühere Freie Reichsstadt hätte doch zu sehr nach Akzeptanz der absehbaren Teilung Deutschlands ausgesehen.

Als sich 40 Jahre später die von den Deutschen in der DDR erstrebte Wiedervereinigung abzeichnete, die die meisten Westdeutschen kaum noch zu erhoffen gewagt hatten, stand unvermittelt auch die Hauptstadtfrage wieder im Raum. Die Reaktion im politischen Bonn war verräterisch: Der damalige Oberbürgermeister, der noch im Sommer 1989 Michail Gorbatschow auf die Stellvertreterfunktion Bonns für Berlin hingewiesen hatte, hätte sich nur einige Wochen später am liebsten selbst die Zunge aus dem Hals geschnitten ob seiner Unvorsichtigkeit. Selbst gestandene Bundespolitiker wie Erich Mende oder Rainer Barzel, die die Fahne der Wiedervereinigung stets geschwenkt hatten, wollten jetzt von einem zügigen Umzug von Regierung und Parlament nach Berlin nichts mehr wissen. Wer damals in Bonn die Einhaltung alter Versprechungen anmahnte, konnte auf den Politpartys schnell vereinsamen. Sie haben doch auch ein Haus hier, hieß es dann oft. Wollen Sie das denn alles aufs Spiel setzen?

1991 gab es dann doch eine knappe Mehrheit im Bundestag für Berlin, die vor allem dem  Abstimmungsverhalten von PDS und FDP zu verdanken war. Union und SPD waren dagegen tief gespalten. Der weiter hinhaltende Widerstand gegen Berlin führte erst acht Jahre später zum Umzug des Bundestages in den Reichstag und der Verlegung wenigstens von Teilen der Regierung in die Hauptstadt. Bonn wurde Bundesstadt; seine finanziellen Interessen wurden großzügig geregelt. Fast die Hälfte der Ministerialbeamten blieb in Bonn, zum Ausgleich der Verluste wurden nachgeordnete Bundesbehörden auch aus Berlin abgezogen.

Im Ergebnis bietet Bonn jetzt 15.000 Arbeitsplätze mehr als vor der Wiedervereinigung. Kein schlechtes Geschäft! Berlin kann von einer vergleichbaren Entwicklung nur träumen. Die Aufteilung der Bundesministerien auf zwei Quasihauptstädte bringt bürokratische Reibungsverluste mit sich. Von den vielen vermeidbaren Dienstreisen profitieren nur die Fluggesellschaften.

Schwerer wiegt aber die negative Symbolik, die national und international  von dem nur halbherzigen Bekenntnis der deutschen politischen Klasse zu ihrer Hauptstadt ausgeht. Sie beweist, was auch in der Europapolitik festzustellen ist: Die Deutschen haben ein problematisches Verhältnis zu ihrem Nationalstaat, der nun seit 20 Jahren wieder in der Mitte Europas existiert. Für unsere Nachbarn, die alle an ihrem Nationalstaat festhalten, sind die Deutschen damit ein unkalkulierbares Problem. Einerseits freut man sich über deutsche Transferleistungen, andererseits ist man beunruhigt, weil man das Verhalten der Deutschen nicht als normal empfinden kann und Ansteckungsgefahr befürchtet. Ein klares Bekenntnis zu einer in jeder Beziehung leistungsfähigen deutschen Hauptstadt Berlin (und nicht nur zu ihrer angeblichen „Weltoffenheit“) wäre ein gutes Signal.

Angesichts einer hier herrschenden antinationalen politischen Klasse ist damit jedoch nicht zu rechnen.

 

Detlef Kühn war bis zur Auflösung der Behörde 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben.

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