© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Václav Klaus setzt auf antideutsche Karte
Vertreibung: Auf dem Sudetentag wird die unterschiedliche Haltung von Tschechen und Slowaken zur eigenen Schuld deutlich
Gernot Facius

Auf Václav Klaus ist Verlaß. Im negativen Sinn. Der tschechische Präsident nutzt jede Gelegenheit, um den ehemaligen deutschen Mitbewohnern der böhmischen Länder seine Verachtung ins Gesicht zu schreien. Pfingsten hat der Polterer auf der Prager Burg wieder eine Probe seiner Brachialrhetorik abgeliefert. Den Appell der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), endlich ein klares Wort des Bedauerns über die Vertreibung zu sagen, konterte Klaus mit dem – haltlosen – Vorwurf, ausgerechnet kurz nach dem Jahrestag des NS-Massakers von Lidice (1942) eine Entschuldigung zu verlangen, sei Ausdruck von außerordentlicher Gefühllosigkeit und Unbelehrbarkeit.

Wer will es dem SL-Sprecher Bernd Posselt verdenken, daß er sich auf dem 62. Sudetendeutschen Tag in Augsburg an die Zeit von vor 1989 erinnert fühlte, in der solche Töne an der Tagesordnung waren? Posselt war bei einem seiner jüngsten Besuchen in Tschechien bewußt erst nach Lidice gefahren, um der Menschen zu gedenken, die umgebracht wurden, „nur weil sie Tschechen waren“, ehe er später, nach einem Gedenken der in Theresienstadt getöteten Juden, in Aussig deutscher Opfer tschechischen Terrors gedachte. Klaus scheint das zu ignorieren, so wie er frühere und aktuelle sudetendeutsche Bemühungen um die Schaffung eines zukunftsweisenden europäischen Volksgruppenrechts übergeht. Er spielt lieber weiter die antideutsche Karte. Dabei hatte der SL-Bundesvorsitzende Franz Pany seinen Appell an Klaus in diplomatische Watte verpackt: „Wenn es Briten und Iren gelingt, einen Neuanfang nach acht Jahrhunderten Leidensgeschichte zu unternehmen, müßte es doch auch Deutschen und Tschechen gelingen, die Dämonen des 20. Jahrhunderts endlich zu bannen.“

In der tschechischen Gesellschaft, unter Historikern, Publizisten und Professoren, ist ein Geist des Wandels zu spüren, das Thema Vertreibung ist hier nicht mehr tabu. Es entstehen Erinnerungsorte. Journalisten, die über Greuel an Deutschen berichten, werden nicht mehr mundtot gemacht. Die TV-Dokumentation „Töten auf tschechisch“ ist zwar im Lande umstritten. „Entscheidend ist aber“, resümiert Franz Pany, „sie wurde gezeigt und hat eine Diskussion ausgelöst, die nicht mehr anzuhalten ist.“ Nur „oben“, bei maßgeblichen Politikern gehen noch die Gespenster der bleiernen Nachkriegszeit um. Man verweigert weiter den direkten Dialog mit den Vertriebenen. Ministerpräsident Horst Seehofer brachte es moderat auf den Punkt: In Tschechien bestünden immer noch Rechtsauffassungen zur Vergangenheit, die nicht in die moderne Zeit paßten, er meinte die Beneš-Dekrete über die Entrechtung der Sudetendeutschen. Noch in diesem Jahr will er ein zweites Mal (nach seiner Dezember-Visite 2010) an die Moldau reisen, wieder begleitet von Repräsentanten der sudetendeutschen Volksgruppe. Die Erwartungen hat er allerdings – wie die SL – heruntergeschraubt. Er habe von Anfang an gewußt, daß „das kein ganz einfacher Weg wird“. Die Dreier-Koalition von Petr Nečas ist gebeutelt von Dauerquerelen, also alles andere als stabil, und wird, wie Pany sagte, „kujoniert von einem Präsidenten, der so europa- wie deutschfeindlich eingestellt ist“. Niemand habe die Hoffnung gehegt, daß die Tschechen die Beneš-Dekrete zerreißen würden, die diesem Lande unwürdig seien und die politische Kultur in der Tschechischen Republik immer noch vergifteten.

Daß die SL den ehemaligen slowakischen Staatspräsidenten Rudolf Schuster, einen Karpatendeutschen, mit ihrem Europäischen Karlspreis auszeichnete, war eine Demonstration – gegen den Betonkopf Václav Klaus. Auch Preßburg hat die Frage der Beneš-Dekrete nicht gelöst. Aber Schuster und andere führende slowakische Politiker haben seit 1989/90 systematisch mit der Karpatendeutschen Landsmannschaft zusammengearbeitet. In der Tradition von Schuster hat der gegenwärtige Staatspräsident 2011 zum Jahr der Karpatendeutschen proklamiert.

Bernd Posselt lud das tschechische Staatsoberhaupt dazu ein, doch eines der beiden verbleibenden Jahre seiner Amtszeit, 2012 oder 2013, zum Jahr der Sudetendeutschen zu erklären: „Wenn er das nicht tun sollte, kann ich ihm nur sagen, dann wird er in dem Bewußtsein aus dem Amt auszuscheiden haben, daß hoffentlich möglichst bald ein Nachfolger den Mut und die Größe findet, diesen Schritt zu tun.“

Wenn auch in Preßburg noch nicht alle Gespenster der Vergangenheit in die Schreckenskammer gesperrt sind, so präsentiert sich doch die Slowakei insgesamt offener gegenüber den früheren deutschen Mitbürgern als das offizielle Tschechien.

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