© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Deutsch-polnische Kraftprobe
Minderheitenstatus: Warschaus Verhandlungserfolg
Hans-Joachim von Leesen

Was Beobachter befürchteten, ist eingetreten: Die Bundesregierung hat der polnischen Regierung zugesagt, den in Deutschland lebenden Polen nahezu dieselben Rechte einzuräumen, wie einer nationalen Minderheit. Danach wird Deutschland in Berlin ein Dokumentationszentrum für Kultur und Geschichte der „Polenstämmigen in Deutschland“ einrichten sowie ein ebenfalls von der Bundesrepublik finanziertes „Interessenbüro“ polnischer Organisationen. Berlin soll außerdem eine Strategie für mehr Polnischunterricht als Muttersprache entwickeln.

Dafür hat Polen sich verpflichtet, nicht etwa die Verfolgung der deutschen Minderheit in der Zwischenkriegszeit wissenschaftlich zu untersuchen, sondern lediglich die Verfolgung, die die Deutschen „unter der kommunistischen Diktatur“ erlitten haben. Die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza schreibt, angesichts der deutschen Zugeständnisse würden die Polen in Deutschland jetzt „fast wie eine Minderheit“ behandelt.

Als die polnische Seite vor drei Jahren, damals noch vom Polnischen Westinstitut vorgetragen, forderte, Deutschland solle die in seinen Grenzen lebenden Polen als nationale Minderheit anerkennen, wies der Beauftrage der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Christoph Bergner (CDU), das Ansinnen zurück, weil sie die Voraussetzungen dafür, wie zum Beispiel, daß Minderheiten seit Generationen in dem betreffenden Gebiet ansässig sein müssen, nicht erfüllen (JF 10/10). Jetzt unterzeichnete er zusammen mit seinem polnischen Amtskollegen nach monatelangen Verhandlungen, von denen die deutsche Öffentlichkeit nichts erfuhr, eine Erklärung, in der eben solche an sich den Minderheiten vorbehaltenen Vorrechte den in Deutschland lebenden Polen zugebilligt werden sollen.

Die Bundesregierung dürfte sich hüten, offiziell diese Polen als „Minderheit“ zu bezeichnen, denn sie erfüllen kaum eine der EU-weit anerkannten Bedingungen für die Anerkennung. Die Zahl dieser Polen schwankt zwischen einer und vier Millionen. Es handelt sich um Polen, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vor allem ins Ruhrgebiet eingewandert sind, von denen sich allerdings mittlerweile kaum jemand als Mitglied einer polnischen Minderheit fühlt.

Außerdem zählen Polen auch deutsche Spätaussiedler dazu, von denen viele aus Polen ausgewandert sind, weil sie keine Polen sein wollen, sowie polnische Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland in Sicherheit brachten. Bisher haben sie alle sich noch nie in der Öffentlichkeit als nationale Volksgruppe zu erkennen gegeben oder artikuliert. Der noch existierende „Bund der Polen“ soll weniger als eintausend Mitglieder haben.

Zwar gibt es keine völkerrechtlich anerkannte Definition für nationale Minderheiten, doch hat sich nicht zuletzt durch die zähe Arbeit der „Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen“ (FUEV), des Zusammenschlusses der, wie sich die Vereinigung offiziell nennt, „autochthonen nationalen Minderheiten/Volksgruppen in Europa“, durchgesetzt, daß bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden müssen, um zu den Minderheiten zu gehören. Danach ist als nationale Minderheit eine Gemeinschaft zu verstehen, die „im Gebiet eines Staates geschlossen oder in Streulagen siedelt, deren Angehörige Bürger dieses Staates sind, deren Angehörige über Generationen beständig in den betreffenden Gebieten ansässig sind“, sogenannte „Autochthonen“, sowie solche, „die durch ethnische, sprachliche oder kulturelle Merkmale von den übrigen Staatsbürgern unterschieden werden können und gewillt sind, ihre Eigenarten zu bewahren“.

Wie die übrigen Mitglieder der Europäischen Union, von denen die meisten Staatsbürger fremder Länder in ihren Grenzen aufweisen und restriktiv sind mit der Anerkennung von Minderheiten, auf die deutsche Ausweitung des Minderheitenbegriffes reagieren, bleibt abzuwarten. Noch spannender wird es allerdings sein, welche Folgerungen andere Ausländer in Deutschland wie zum Beispiel die Türken aus der neuen Entwicklung ziehen.

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