© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Moralische Vernichtungskriege
Kollateralschaden im Historikerstreit: Der Historiker Andreas Hillgruber im Visier des Feuilleton-Lynchmobs um Jürgen Habermas
Felix Krautkrämer

Es wird mir immer ein Rätsel bleiben, wie sich einige Historiker-Kollegen, anstatt den in der Historie dilettierenden Agitator in die Schranken zu verweisen, ganz oder teilweise den ‘Argumenten’ von Habermas anschließen konnten“, schrieb im Mai 1987 ein zutiefst verletzter Andreas Hillgruber in einem Dokumentationsband über den Historikerstreit. Die Beleidigungen, Schmähungen und Diffamierungen waren an dem Kölner Historiker nicht spurlos vorbeigegangen – auch weil er als Wissenschaftler der „alten Schule“ den polemischen Angriffen seiner durch und durch politisierten Gegner nicht gewachsen war.

Hillgruber, 1925 im ostpreußischen Angerburg geboren, hatte ein Jahr zuvor im Siedler-Verlag ein kleines Bändchen mit dem Titel „Zweierlei Untergang: Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums“ publiziert, in dem er sich in zwei Essays mit dem Zusammenbruch der deutschen Ostfront 1944/45, der anschließenden Vertreibung der Deutschen sowie dem „Mord an den Juden im Machtbereich des nationalsozialistischen Deutschlands“ beschäftigte. Hillgruber wies darauf hin, daß die deutsche Ostfront mit ihrem Abwehrkampf eben nicht nur das Morden in den Konzentrationslagern verlängerte, wie Norbert Blüm einmal betont hatte, sondern vor allem Millionen von Ostdeutschen vor den „Racheorgien der Roten Armee, den Massenvergewaltigungen, den willkürlichen Morden und den wahllosen Deportationen“ zu bewahren und ihnen die Möglichkeit zur Flucht zu verschaffen versuchte. Zudem betonte er, daß die Zerschlagung des Deutschen Reichs und die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten keinesfalls nur eine Antwort auf die Verbrechen der Nationalsozialisten war, sondern den „lange erwogenen Zielen der gegnerischen Großmächte“ entsprach. Der Begriff der „Befreiung“ für die deutsche Kapitulation hätte daher auch nur für die Insassen der Konzentrationslager seine Berechtigung. „Auf das Schicksal der deutschen Nation als Ganzes bezogen“, sei er aber unangebracht.

Nannte Peter Steinbach Hillgrubers Buch im Juli 1986 in der FAZ noch einen „wichtigen Beitrag zur historischen Besinnung, zur Orientierung politischen Handelns aus politischem Bewußtsein“, fiel der Startschuß zum Vernichtungsfeldzug gegen den ehemaligen Leitenden Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamts wenige Tage später in der Zeit: Jürgen Habermas warf Hillgruber, unter Zuhilfenahme verkürzter und aus dem Zusammenhang gerissener Zitate, „Rhetorik von Kriegsheftchen“ und „Revisionismus“ vor. In seiner als Rundumschlag gearteten „Kampfansage“ beschuldigte Habermas Hillgruber, sich gemeinsam mit den Historikern Ernst Nolte, Michael Stürmer und Klaus Hildebrand „vom Impuls leiten (zu) lassen, die Hypotheken einer glücklichen entmoralisierten Vergangenheit abzuschütteln“ und letztlich die Singularität der nationalsozialistischen Verbrechen in Frage zu stellen.

In die gleiche Kerbe – an Niveaulosigkeit Habermas aber noch um Längen überbietend – schlug am nächsten Tag der Heidelberger Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik in der taz. „Vom Niedergang deutscher Geschichtswissenschaft auf das Niveau von Landserheftchen“ sei zu berichten, schrieb Brumlik. Hillgrubers Schrift über die deutsche Ostfront stelle an „Schamlosigkeit und Zynismus alles in den Schatten, was seitens ‘seriöser’ Wissenschaft an pronazistischen Stellungnahmen erschienen ist“. Das Buch signalisiere das „Umschwenken deutscher Konservativer zum aggressiven Nationalismus“. Unter völliger Verdrehung der Tatsachen behauptete Brumlik, Hillgruber habe öffentlich zu Protokoll gegeben, „daß die Ausrottung der Juden und Sinti unter gewissen Umständen, wenn schon nicht gebilligt, so doch legitimerweise billigend in Kauf genommen werden durfte“. Sein Versuch, die Massenvernichtung gegen die Ostfront aufzuwiegen, stelle nichts anderes dar, „als das Programm Himmlers aus den letzten Kriegsmonaten“.

Bei soviel munterem Werfen mit geistigem Unrat durfte natürlich auch Spiegel-Chef Rudolf Augstein nicht fehlen. Hillgruber sei ein „konstitutioneller Nazi“, giftete er. „Jeden Lehrer, der seinen Schülern derlei vermittelt, müßte man des Schuldienstes verweisen.“ 

Hillgruber selbst versuchte in mehreren Beiträgen und Leserbriefen, die Vorwürfe und Anschuldigungen richtigzustellen. Doch obwohl er einwandfrei die Zitatmanipulation von Habermas und seinen Nachkläffern nachweisen konnte, blieb sein Ruf als Historiker dauerhaft beschädigt. Hinzu kam, daß es ihm durch seine Krebserkrankung zunehmend schwerfiel, auf die Anfeindungen adäquat zu antworten. Seine Gegner ließen sich dagegen von Hillgrubers Gesundheitszustand nicht beeindrucken. Vor allem der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler erwies sich dabei als „Einpeitscher der Neuen Orthodoxie“ (Imanuel Geiss) und überschüttete Hillgruber mit Polemiken. Schließlich hatte dieser es Jahre zuvor gewagt, Kritik an Wehlers Konzept der „Gesellschaftsgeschichte“ zu üben. Selbst Hillgrubers Tod im Mai 1989 hielt Wehler nicht davon ab, dessen Ruf als Historiker weiter zu beschmutzen und ihm „antiquierten Treitschkeanismus“ und „methodische Naivität“ vorzuwerfen. Erst zwanzig Jahre nach dem Historikerstreit ließ sich Wehler dazu herab, Hillgruber vom Vorwurf der „NS-Entsorgung“ freizusprechen. Auf ein Wort der Selbstkritik wartet man dagegen bis heute vergeblich.

Foto: Andreas Hillgruber, Foto von 1977: Der Polemik nicht gewachsen

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