© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Jodeldiplom an der Spree
Der Verein der Bayern in Berlin hält die süddeutsche Lebensart im Herzen Preußens hoch – und das seit 135 Jahren
Philippa Durst

Für das neue Jahr 1876 hatte sich Franz Weithmann fest vorgenommen, endlich einen Verein für die Bayern in Berlin zu gründen. Den promovierten Schriftsteller hatte es aus Günzburg an der Donau nach Berlin verschlagen. Bei der Gründung folgte er dem Beispiel der Chemnitzer Exil-Bayern, die sich im Jahr zuvor formiert hatten. Rund 6.000 Bayern in der neuen Reichshauptstadt Berlin gaben seinerzeit einen guten Nährboden für den Verein ab; adlige Prominenz wie der bayrische Gesandte Hugo Graf von und zu Lerchenfeld oder Kronprinz Rupprecht von Bayern stellte vor dem Ersten Weltkrieg den Ehrenvorsitzenden. 1924 zählte der Verein 890 Mitglieder.

Heute backt man kleinere Brötchen. 2011 übernahm Helmut Amberger den Vereinsvorsitz. Der Diplom-Ingenieur, der nach seinem Studium an der Technischen Universität vor mehr als 30 Jahren in Berlin hängenblieb, kann zur Zeit 65 Mitglieder vorweisen. Der Altersdurchschnitt liegt ungefähr bei 55 Jahren. Als Traditionsverein habe man es natürlich schwer, Nachwuchs zu gewinnen, meint Amberger. Die Aussichten könnten also besser sein. Allerdings will er nicht klagen. Zum einen passe das nicht zur bayrischen Lebensart, die Optimismus ausstrahle; zum anderen sei der Verein gerade dabei, zusammen mit dem neuen Hüttenwirt Lutz Bande den „Bayernplatz“ am Hindenburgdamm zu renovieren.

Das Vereinsheim in Lichterfelde, das 1935 erworben wurde, soll zur „Almhütte“ umgestaltet werden. Zweimal im Monat treffen sich hier Berliner Bürger zur „aktiven oder passiven Brauchtumspflege“, wie Amberger scherzhaft die Wahl zwischen Weißbier und „Schuhplattln“ umschreibt. Letzteres – ein Markenzeichen des Vereins – ist keine Pflicht, auch wenn etwa ein Drittel aller Mitglieder an den Tänzen in der „Krachledernen“ teilnimmt. „Man muß nicht ständig mit der Lederhose rumlaufen“, erklärt der gebürtige Oberpfälzer Amberger, der zufälligerweise den Namen seiner Geburtsstadt Amberg trägt. Alle Klischees des „Vollbayern“ sind erfüllt, wenn im Vereinshaus am 1. Mai oder zur Sonnenwendfeier Stubenmusik mit Zither, Hackbrett und der Steierischen erklingt. Den preußischen Kehlen manch eines Mitglieds sind sogar Jodeltöne zu entlocken.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die Lederhose zunächst im Schrank. Erst unter dem jetzigen Ehrenvorsitzenden Otmar Liegl blies das Alpenhorn wieder an der Spree. Der heute 90jährige folgte 1948 seiner Liebe nach Berlin, als die amerikanische Besatzungsmacht den finanziell und personell ausgebluteten Verein wieder zuließ.

Der Verein zwischen Ländler und Bierseidel erwachte auch dank Unterstützung der Bayrischen Staatsregierung erneut zum Leben. Alte Vorkriegstraditionen – das erste Oktoberfest nach Münchner Vorbild fand 1924 auf dem Tempelhofer Feld statt – wurden wieder aufgenommen. Zugereiste Bayern wie Helmut Amberger erlernten das „Schuhplattln“ zum Teil von echten „Saupreußen“, die den Urbayern beim „Plattln“ in nichts nachstanden.

Große Feste prägten die Nachkriegsgeschichte: Zum 75jährigen Bestehen des Vereins feierte man in den Berliner Kasinosälen und zum 100jährigen Jubiläum im „Prälat Schöneberg“ unter der Schirmherrschaft des Berliner Bürgermeisters. Immer unter dem Vereinsmotto: „G’sund sama – Schneid hama – treu bleima“. Regen Austausch gab es mit Trachtenvereinen in der Oberpfalz, Oberbayern und Sachsen.

Daran möchte der Berliner „Oberbayer“ Amberger anknüpfen, zumal das Gründungsfest im September zum 135. Male ins Haus steht. Stolz verweist er auf die Tatsache, daß man zu den ältesten Vereinen dieser Art in Deutschland gehört. Die 1888 gestiftete Vereinsfahne dürfte also wehen, wenn im Spätsommer die Alm am Berliner Hindenburgdamm rauscht.

 www.verein-der-bayern-in-berlin.de

Foto: Bis die Schwarte kracht: In Dirndln und Lederhosen tanzen die Berliner „Bayern“ auf dem Plattlboden ihres Vereinshauses am Hindenburgdamm

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