© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Wehret den Anfängen
Euro-Rettung: Eine europäische Wirtschaftsregierung wäre verfassungswidrig
Wolfgang Philipp

Während die Finanzminister der Eurozone fieberhaft versuchen, Griechenland vor der Staatspleite zu bewahren, taucht in jüngster Zeit wieder vermehrt die Forderung nach Einrichtung einer europäischen „Wirtschaftsregierung“ auf. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, stieß etwa mit seiner Anregung, ein europäisches Finanzministerium zu etablieren, in dieses Horn. Er tat dies in weitgehender Übereinstimmung mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy sowie anderen Europapolitikern. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ über ihren Sprecher ausrichten, die Idee habe „Charme“, sei jedoch etwas für „übermorgen“.

Daß hinter dieser Idee die Absicht steckt, in die Haushaltssouveränität der Mitgliedsstaaten einzugreifen, scheint sogar manche Journalisten nicht zu stören, deren Aufgabe doch gerade darin besteht, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen. So forderte der unter anderem für die Frankfurter Rundschau sowie die Berliner Zeitung in Wirtschaftsfragen zuständige Richard von Heusinger kürzlich in einem Beitrag für die Internetseite der Wochenzeitung Die Zeit, man müsse die Rettung des Euro „den nationalen Parlamenten entreißen“.

In bisher nicht wahrgenommener Klarheit wird deutlich, was schon lange zu vermuten war: Einführung und Krise des Euro dienen den Europa-Euphorikern als Instrument, im Sinne des Lissabon-Vertrages eine „immer engere Union der Völker Europas“ herbeizuzwingen. Ein erheblicher Teil dieser Politik ist schon realisiert: Der am 24. März 2011 vom Europäischen Rat beschlossene „Rettungsschirm“ in Gestalt eines „europäischen Stabilisierungsmechanismus“ (ESM) in Höhe von 750 Milliarden Euro höhlt die Haushaltsbefugnisse der Parlamente selbst dann aus, wenn diese dem Projekt als solchem zustimmen sollten. Neben 80 Milliarden Bareinlagen sollen die 17 Euro-Staaten (abzüglich solcher, die schon „pleite“ sind) für 620 Milliarden Euro Bürgschaften übernehmen und haften für weitere Hilfszusagen des IWF.

Die Bürgschaften sind haushaltsrechtlich nicht durch Einnahmen aus Steuern oder Krediten abgesichert. Wenn die Bürgschaften mangels Zahlung der Nehmerländer von den Gläubigern „gezogen“ werden, kommen auf die bürgenden Nationalstaaten sofort fällige Ausgaben in vielfacher Milliardenhöhe zu, für die in ihren Haushalten keine Deckung vorhanden ist. Das Budgetrecht der in den Bürgschaftsstaaten arbeitenden Parlamente geht de facto auf die Nehmerstaaten über: Über den deutschen Haushalt wird in Athen oder Lissabon entschieden. Auch das ist noch nicht alles. Soeben hat der niederländische Notenbankchef Nout Wellink gefordert, den Rettungsfonds auf 1,5 Billionen Euro zu erhöhen!

Die Festlegung der Staatseinnahmen und -ausgaben ist demokratische Kernaufgabe jeder Volksvertretung, in Umsetzung des alten, aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg stammenden Grundsatzes „No taxation without representation“. Wer fordert, diese zentrale demokratische Funktion zu zerstören, ruft im Klartext dazu auf, einen Kern der verfassungsmäßigen Ordnung in Deutschland zu beseitigen. Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 30. Juni 2009 zum Lissabon-Vertrag festschrieb. Dort heißt es unter anderem: Wenn die Festlegung über Art und Höhe der den Bürger treffenden Abgaben in wesentlichem Umfang supranationalisiert würde, läge eine das Demokratieprinzip und das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag in seinem substantiellen Bestimmungsgehalt verletzende Übertragung des Budgetrechts des Bundestages vor. Der Bundestag müsse verantwortlich über die Summe der Belastungen der Bürger entscheiden, bestimmten die Karlsruher Richter.

Die Forderung, die Legislative in den EU-Mitgliedsstaaten zu entmachten, zielt also auf die Fundamente des demokratischen Staates. Ein mit vollem Haushaltsrecht ausgestattetes Parlament gehört zu den unveräußerlichen Grundlagen jeder Demokratie. Das Europaparlament erfüllt diese Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Mit dieser Rechtslage sind die Forderungen nach einer europäischen Wirtschaftsregierung schlechthin unvereinbar. Wenn es überhaupt noch Unklarheiten geben sollte, dürften diese vom Bundesverfassungsgericht bald beseitigt werden: Am 5. Juli 2011 verhandelt es über die Klage von mehreren Professoren, die sich dagegen gewandt haben, daß Europa von den Regierungen in eine „Transferunion“ verwandelt wird mit der Folge, daß der Bundestag auf diese Weise sein Budgetrecht verliert.

Es geht aber nicht nur um Rechts- und Verfassungsfragen: Es geht auch um die, unsere europäische Kultur bestimmenden Grundwerte. Wer fordert, um der Gemeinschaftswährung willen die Parlamente zu entmachten, erklärt das Geld in Gestalt des Euro zum höchsten Wert in Europa. Er folgt damit der Stadt Aachen, die es 2002 sogar fertigbrachte, dem „schnöden Mammon“ anstelle eines verdienten Menschen den Karlspreis zu verleihen. So gesehen ist der eingangs erwähnte Artikel nicht nur ein Anschlag auf die rechtsstaatlichen Demokratien, sondern auch auf die Kultur Europas.

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