© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Alter Streit in neuen Schläuchen
Antisemitismus-Debatte: Die Linkspartei verheddert sich in der Auseinandersetzung über das Verhältnis zu Israel
Paul Leonhard

Nicht die gesamte Partei, aber immerhin die Bundestagsfraktion der Linkspartei hat beschlossen, daß sie nicht antisemitisch ist. Damit das Ergebnis einstimmig ausfällt, waren fünf Abgeordnete zur Abstimmung gar nicht erst erschienen, zehn weitere verließen rechtzeitig den Saal. „Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz“, heißt es in dem Anfang Juni beschlossenen Papier.

Damit hat die Linkspartei eine alte, nicht nur in ihren Reihen geführte Debatte neu entfacht. Bereits Anfang 2003 hatte der Soziologe Thomas Haury unter dem Titel „Antisemitismus in der Linken“ anhand zwischen 1971 und 2002 gedruckter linker Schriften gegen Israel nachgewiesen, daß es „offensichtlich Antisemitismus in der Linken“ gibt, „der sich als Antizionismus äußert“. Für die siebziger und achtziger Jahre müsse man feststellen, daß „dies nicht einzelne Personen oder einzelne Gruppen betraf, sondern den linken Mainstream“. Eine Grundeinstellung, die in der aus westdeutschen Sozialisten und ehemaligen SED-Genossen gebildeten Linkspartei häufig anzutreffen ist. Im Grunde geht es dabei um Israel und seine Politik gegenüber der arabischen Bevölkerung, aber auch um einen latenten Antisemitismus.

Neue Nahrung bekamen diese Annahmen durch eine wissenschaftliche Studie, die Samuel Salzborn von der Universität Gießen und Sebastian Voigt von der Universität Leipzig Mitte Mai vorstellten und nach der Antisemitismus und Israelfeindlichkeit in der Linkspartei sogar zunähmen. Dabei konnten sie auf ein Flugblatt der Duisburger Linken von 2009 verweisen, in dem es hieß: „Kauf keine Produkte aus Israel!“

Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi bezeichnete die Studie als „Blödsinn“ und hätte sich wohl nicht weiter um das Papier geschert, wenn das Ganze nicht Thema einer Aktuellen Stunde im Bundestag geworden wäre. Und besonders pikant ist, daß Voigt dem als „Plattform gegen Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus“ bezeichneten Bundesarbeitskreis (BAK) Shalom angehört, der zum Partei-Jugendverband „Solid“ gehört. Für Gysi war es die Chance, die Partei und insbesondere die Bundestagsfraktion endlich auf eine neue, proisraelische Linie zu zu bringen. Der Antizionismus könne keine Position der Linkspartei sein, hatte er bereits 2008 betont, die „einseitige Parteinahme“ für die Palästinenser scharf kritisiert und „Solidarität mit Israel“ gefordert. Die außenpolitische Marschrichtung der Linken gaben damals aber weiterhin Norman Paech, Ulla Jelpke, Heike Hänsel und Wolfgang Gehrcke vor, für die Israel ein die Menschenrechte verachtender „Apartheidstaat“ ist.

Immerhin errang Gysi ein Jahr später einen Teilerfolg, als die Fraktion ein auch parteiintern als sehr ausgewogen geltendes Positionspapier zum Nahostkonflikt beschloß. In diesem wurde eine einseitige Parteinahme abgelehnt. Man sei mit den Menschen in Israel und Palästina solidarisch und verurteile jegliche Gewaltanwendung. Im vergangenen Jahr verschärfte sich der Konflikt dann wieder. Grund war die Teilnahme von Abgeordneten der Linken an der „Gaza-Flotte“. „Wir sind sehr stolz auf Ihren Einsatz“, versicherte Parteivorsitzende Gesine Lötzsch. Mit den Versuchen, die Nahostpolitik in der Tendenz proisraelisch auszurichten, dürfte es nun endgültig vorbei sein, argwöhnte seinerzeit die Welt.

Mit der Antisemitismus-Resolution gab es erneut eine Kehrtwende, die nicht die letzte gewesen sein dürfte. Längst kocht die Wut über die „undemokratische Entscheidung“ hoch. Besonders kritisiert wird der Passus, in dem sich Fraktionsmitglieder und -mitarbeiter verpflichten, weder an Initiativen zum Nahostkonflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte, noch an der diesjährigen Fahrt einer „Gaza-Flotte“ zu beteiligen.

„Entschieden gegen Antisemitismus – aber nicht so“ ist ein offener Brief überschrieben, den Ellen Brombacher, Kurt Gutmann und Friedrich Wolff an die eigenen Bundestagsabgeordneten gerichtet haben. „Sollten wir tatsächlich Figuren wie Benjamin Netanjahu oder gar Avigdor Liebermann etwas nachsehen, ihren eindeutigen Rassismus etwa, weil sie Juden sind?“ heißt es darin. Von einer Unterwerfung des linken Flügels unter die Attacken der Kriegsparteien spricht der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. Auch andere Fraktionsmitglieder gehen auf Distanz zur Antisemitismus-Resolution. Diese „kam nur durch großen psychologischen Druck zustande“, heißt es in einer persönlichen Erklärung von Annette Groth. Das richtige Gespür für die entstandene Situation zeigte Fraktionsvize Dietmar Bartsch, aber seine Mahnung dürfte zu spät kommen: „Wir sollten jetzt einen Punkt machen und uns wieder anderen politischen Themen zuwenden, sonst werden wie irgendwann gar nicht mehr gehört.“

Foto: Pro-Israel-Demonstration vor der Berliner Linkspartei-Zentrale: „Wir sollten einen Punkt machen“

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