© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Zwiespältige Bewegung der Entrüsteten
Griechenland: Spannungen zwischen organisiertem linken und und unorganisiertem bürgerlichen Protest / Kritik am Fahnenmeer
Panayotis H. Doumas

Die Bilder protestierender Griechen gehen um die Welt. Sie suggerieren Einheit. Doch die Bilderflut täuscht. Eine einheitliche Bewegung ist nicht auszumachen. Ein Besuch der Protestversammlung auf dem Athener Syntagma-Platz offenbart die Zerrissenheit des Protests. Während am unteren Rand des Platzes die wohlorganisierten linken Aktivisten der „Real Democracy“ das Heft in der Hand haben, prägt der führungs- und strukturlose bürgerliche Protest, vielfach ausgestattet mit griechischen Fahnen, den oberen Teil direkt vor dem Parlament.

Die Unterschiede sind groß, und der Kampf darum, wer letztendlich die Wut des griechischen Volkes repräsentiert, ist voll entbrannt. Ein Großteil des unorganiserten Protestes macht keinen Hehl daraus, sich nicht von den Linken, die sich dem internationalen Klassenkampf verschrieben haben und die griechischen Fahnen ablehnen, instrumentalisieren lassen zu wollen.

Auch die linke Tageszeitung Eleftherotypia kritisiert das Fahnenmeer. Gerade dadurch unterscheide sich die griechische „Bewegung der Entrüsteten“ von den portugisischen und spanischen Wutbürgern (siehe Seite 9). Die vielen Fahnen bergen die Gefahr, daß die Griechen einen fatalen nationalistischen Weg des Protestes einschlagen könnten, der in Abseits führte. Wer dann auch noch ausbricht und wagt, Griechenlands soziale Probleme mit der illegalen Einwanderung in Verbindung zu bringen, wird im besten Fall ausgebuht. So zog ein Bürgerprotestler in falscher Umgebung Karl Marx zu Rate. „Marx“, sagte er, „besuchte die schottischen Fabriken und mahnte die Arbeiter vor den importierten Streikbrechern. Man solle sie zurück zu ihrer Heimat schicken, so daß sie daheim ihre Revolution machen.“ Er wurde beinahe gelyncht.

Fraglich bleibt dennoch, wofür der „obere“ Syntagma-Platz-Protest eigentlich steht. Die überaus heterogene Masse, die von Woche zu Woche anwächst,wird durch drei Aspekte geeint: die griechischen Fahnen, die Entrüstung über die Politik und die Wut über das politische System, das über Jahrzehnte vom Staatsapparat, den Parteien, der Beamtenschaft, den Gewerkschaften geprägt wurde und nun in der Sackgasse steckt.

Keine Organisationen, keine Parteien können daher die Proteste für sich vereinnahmen. Das wollen auch nur die wenigsten. Denn letztlich ist den unorganisierten Protestlern ihre Ausweglosigkeit nur allzu bewußt. Denn allen ist klar, daß nicht nur die Politik versagt hat, sondern die ganze Gesellschaft.

Die Frage ist nur, welche Seite des Syntagma-Platzes die Oberhand gewinnt. Denn eines scheint klar: Der bürgerliche Charakter der oberen Versammlung und deren Mangel an spezifischen Forderungen, könnte ihr Überleben während des heißen griechischen Sommers gefährden.

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