© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Jugoslawien zerfällt
Das Ende eines Kunststaates: Im Frühsommer 1991 erklärten Slowenien und Kroatien ihre staatliche Unabhängigkeit
Alexander Rüstau

Vor fast genau zwanzig Jahren zerfiel der Vielvölkerstaat Jugoslawien, welcher als kommunistischer Kunststaat nach dem Zweiten Weltkrieg unter Führung des Partisanenmarschalls Josip Broz Tito 1945 entstanden war. Durch die Gliederung Jugoslawiens in die sechs Republiken Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro sowie Mazedonien wurde nach Vertreibung der deutschen Minderheit die verbleibende Multinationalität formell akzeptiert und festgeschrieben.

Um das serbische Übergewicht zu neutralisieren, wurde eine Grenzziehung vorgenommen, unter der sich ein Großteil der serbischen Bevölkerung nunmehr außerhalb Serbiens wiederfand, was den angrenzenden Republiken starke serbische Minderheiten bescherte. Montenegriner und Mazedonier, die vor dem Krieg noch als „Serben“ galten, erhielten ihre eigenen Republiken, die bosnischen Muslime wurden 1963 zur eigenen Nationalität erklärt. In der Verfassung von 1974 wurde den Republiken das Sezessionsrecht eingeräumt, ihre Grenzen wurden nun offiziell garantiert.

Die zu Serbien gehörenden autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo erhielten je einen Sitz im jugoslawischen Staatspräsidium, was bislang den Republiken vorbehalten war. Diese propagierte Gleichberechtigung der jugoslawischen Völker erwies sich in der Praxis jedoch als Farce, da alle zentralen staatlichen Instanzen Jugoslawiens ihren Sitz in Belgrad hatten und die Serben in staatlichen und öffentlichen Positionen überrepräsentiert waren.

Innenpolitisch führte Tito Jugoslawien mit harter Hand und einem autoritären Regierungsstil. Die Nationalitätenfrage wurde tabuisiert, statt dessen berief man sich auf den „sozialistischen Jugoslawismus“ und schuf mit der Kunstsprache „Serbokroatisch“ eine einheitliche Schriftsprache. Außenpolitisch nutzte der Staatschef seine komfortable Lage, ohne Hilfe der Roten Armee an die Macht gekommen zu sein, und propagierte Unabhängigkeit und Gleichberechtigung gegenüber der Sowjetunion, was bereits 1948 zum Bruch mit Stalin führte. Als Hauptstabilitätsfaktoren Jugoslawiens waren daher einerseits die Autorität Titos, andererseits die Angst vor einer militärischen Intervention der Sowjetunion anzusehen.

Mit dem Tode Titos am 4. Mai 1980 fiel einer dieser beiden Stabilitätsfaktoren weg. Als Folge erstarkten die nationalen Tendenzen in den Republiken, Forderungen nach wirtschaftlichen und innenpolitischen Reformen wurden laut. Im Kosovo kam es ab März 1981 zu Demonstrationen der albanischen Bevölkerung. Die Demonstranten forderten die Unabhängigkeit des Kosovo sowie die Schaffung eines vereinten Albaniens.

Die jugoslawische Führung agierte angesichts der aufkommenden Unruhen zunehmend zentralistisch und totalitär. Die Wahl von Slobodan Milošević zum Vorsitzenden des Bundes der Kommunisten Serbiens im August 1986 bedeutete eine deutliche Radikalisierung der serbischen Führung. Milošević griff die nationale Stimmung in der serbischen Bevölkerung auf und nutzte sie zu seinem Vorteil. Er organisierte in ganz Serbien Massendemonstrationen und prangerte die „ungerechte Behandlung der zahlenmäßig größten jugoslawischen Volksgruppe“ an. Vor dem Hintergrund der Unruhen in Priština belebte Milošević den „Kosovo-Mythos“ neu, welcher nach der Niederlage des serbischen Heeres gegen die Osmanen in der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 entstanden war und sich im Laufe der Jahrhunderte zum wichtigsten serbischen Nationalmythos entwickelt hatte. Miloševic wetterte gegen die „Unterdrückung der Serben im Kosovo“ und versprach, dem serbischen Volk „die Würde zurückzugeben“.

Die von ihm inszenierte serbische Massenbewegung erreichte schließlich ihre Ziele Anfang 1989 mit dem Sturz der Regierung Montenegros sowie mit der Aufhebung der Autonomierechte für das Kosovo und die Vojvodina durch eine Änderung der serbischen Verfassung – unter Verstoß gegen die jugoslawische Verfassung von 1974. Durch die Gleichschaltung der Regierungen Montenegros und der autonomen Provinzen konnte Milošević faktisch das jugoslawische Staatspräsidium kontrollieren, da der „serbische Block“ nunmehr 4 Sitze besaß, genauso viele wie die übrigen Republiken.

Die serbische Führung ging nun mit brutaler Härte gegen die Kosovo-Albaner vor, was vor allem in Slowenien und Kroatien ebenso auf wachsende Ablehnung stieß wie die neue serbische Dominanz im Gesamtstaat. Die wirtschaftlich starken Republiken im Norden waren nicht bereit, diese Politik länger zu unterstützen und zu subventionieren.

Im Januar 1989 beschloß die slowenische Führung daher die Abschaffung des kommunistischen Machtmonopols, die Einführung eines Mehrparteiensystems und die Abhaltung freier Wahlen in Slowenien. Parteichef Milan Kučan forderte die Pluralisierung und Demokratisierung auch für ganz Jugoslawien und sprach sich für dessen Umwandlung in eine Konföderation aus. In Kroatien vollzog sich diese Entwicklung ähnlich, wenn auch etwas später, Ende 1989. Wie in Slowenien sollten auch hier im Frühjahr 1990 freie Wahlen stattfinden. Den Forderungen aus Laibach nach einer Demokratisierung Jugoslawiens schloß sich die Führung in Zagreb an.

Somit hatten die kommunistischen Führer Sloweniens und Kroatiens mit ihren Beschlüssen Tatsachen geschaffen, die sie zwar ihre Macht kosteten, aber auch eine unumkehrbare Demokratisierungsentwicklung auslösten. Die neuen bürgerlichen Regierungen unter Führung der Slowenischen Christdemokraten (SKD) in Laibach und der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) in Zagreb erarbeiteten im Oktober 1990 einen Konföderationsentwurf für eine Neuordnung Jugoslawiens nach Muster der Europäischen Gemeinschaft. Für den Fall des Nichtzustandekommens behielten sie sich einen Austritt aus dem Gesamtstaat vor.

Serbien kritisierte diesen Entwurf heftig und brachte einen eigenen Bundesstaatsentwurf mit starken zentralistischen Elementen ein. Nachdem eine Lösung nicht erreichbar schien, kündigte das slowenische Parlament im Februar 1991 eine Trennung Sloweniens von Jugoslawien an, sollte dieses bis 1991 nicht in eine Konföderation umgewandelt worden sein. Das kroatische Parlament beschloß zeitgleich die Überordnung des kroatischen über das jugoslawische Recht. Die serbische Führung protestierte entschieden gegen diese Maßnahmen und blockierte am 15. Mai 1991 die turnusgemäße Wahl des Kroaten Stipe Mesić zum neuen Vorsitzenden des jugoslawischen Staatspräsidiums.

Am 19. Mai 1991 wurde in Kroatien ein Referendum durchgeführt, in welchem sich 93 Prozent der Befragten für die Konföderationslösung bzw. die Unabhängigkeit Kroatiens aussprachen. In der Folge beschloß das kroatische Parlament am 30. Mai 1991 den Austritt Kroatiens aus Jugoslawien. Allerdings wurde das Referendum von der serbischen Bevölkerung Kroatiens, welche einen Anteil von 22 Prozent an der Gesamtbevölkerung hatte, weitgehend boykottiert.

Diese starke serbische Minderheit stellte für Kroatien ein ernsthaftes Problem dar. Die kroatischen Serben, aber auch die Führung in Belgrad hegten starke Vorbehalte gegen ein unabhängiges Kroatien; immer wieder wurde der Vergleich zum Ustascha-Staat 1941 bis 1945 gezogen, die kroatische Regierung als „Faschisten“ bezeichnet. In der Region um Knin, dem Gebiet mit dem höchsten serbischen Bevölkerungsanteil in Kroatien, kam es Mitte 1990 zu den ersten serbisch-kroatischen Auseinandersetzungen und zu Abgrenzungsmaßnahmen durch Straßenbarrikaden. Im März 1991 bildeten sich die ersten serbischen Milizen, die Führung der kroatischen Serben rief das „Autonome Serbische Gebiet Krajina“ aus.

Nach dem Scheitern der letzten diplomatischen Bemühungen erklärten Slowenien und Kroatien am 25. Juni 1991 ihren Austritt aus dem jugoslawischen Staate. Belgrad versuchte die jugoslawische Frage nunmehr militärisch zu lösen. Am 27. Juni 1991 startete die Jugoslawische Volksarmee (JNA) massive Angriffe gegen Slowenien, mußte diese jedoch aufgrund entschiedener Gegenwehr der slowenischen Polizei und Territorialverteidigung sowie einer zeitgleich in Kroatien stattfindenden Blockade der JNA-Kasernen schon nach zehn Tagen wieder beenden. In Kroatien unterstützte die JNA die im Lande befindlichen serbischen Freischärlerverbände und führte ihrerseits Bomben- und Raketenangriffe gegen kroatische Städte durch. Die geostrategische Lage Kroatiens und die komplizierte ethnische Situation ließen einen langen, blutigen Krieg befürchten.

Foto: Kroatin stimmt für Unabhängigkeit; Panzer der jugoslawischen Armee fahren in Slowenien auf; Slowenischer Polizist mit neuem Grenzschild bei Lavamünd, Kärnten (v.l.n.r.): Gegen die Dominanz aus Belgrad

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