© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

„Absolute Ausnahmen“
Promotionen: Die Plagiatsaffären und ihre Folgen
Gerald Schulte

Nachdem Karl-Theodor zu Guttenberg kundtat, er wolle im Angelsächsischen eine schöpferische Pause einlegen, kündigte Silvana Koch-Mehrin vorige Woche an, sie werde prüfen lassen, ob die Aberkennung ihres Doktortitels durch die altehrwürdige Universität Heidelberg „rechtswidrig ist“. Angesichts neuer Verdachtsfälle unter aktiven wie ausgeschiedenen Politikern dürfte das deutsche Hochschulwesen weiter an den Folgen der Plagiatsaffären laborieren, denn der spektakuläre Diebstahl geistigen Eigentums hat eine breite Debatte darüber angestoßen, wie exemplarisch diese Fälle für die Promotionspraxis an den Universitäten eigentlich sind.

So hat die Redaktion des Deutschen Ärzteblattes (DÄ) alle 36 medizinischen Fakultäten um Auskunft über aktuelle Plagiatsfälle gebeten. Das jetzt publizierte Ergebnis deutet auf Entwarnung. Zwar haben nur 20 Fakultäten geantwortet, aber deren Zahlen könnten beruhigender nicht sein. Drei Doktortitel seien 2010 aberkannt worden, eine Habilitation wurde für nichtig erklärt. Drei weitere Promotions- und ein Habilitationsverfahren wurden wegen Plagiatsverdachts gar nicht erst eröffnet.

Angesichts von 7.265 Promotionen und 870 Habilitationen (2008) steht fest: Plagiate und Aberkennungen von Titeln sind zumindest bei den Medizinern rar. Für die Medieninformatikerin Debora Weber-Wulff (HTW Berlin) belegt die kümmerliche Ausbeute der DÄ-Umfrage jedoch nur, daß es eine hohe Dunkelziffer gibt und peinliche Fälle „weitgehend totgeschwiegen werden“. Wir seien jedenfalls weit davon entfernt zu wissen, „was diesbezüglich in Deutschland so alles passiert“. Ohne Beweise muß Weber-Wulff indes Dieter Bitter-Suermann, dem Präsidenten des Medizinischen Fakultätentages, das Feld überlassen, der sich an Fakten hält und behaupten darf: „Der Betrug ist die absolute Ausnahme.“ Womit allerdings noch nichts über die Qualität gerade medizinischer Dissertationen ausgesagt ist. Ob Plagiat oder nicht: zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, den die Promotionsordnungen fordern, tragen die meisten der auf niedrigem Niveau dümpelnden Arbeiten nichts bei.

Darum plädierte der Wissenschaftsrat schon 2004 dafür, die von Status- und Türschildpromotionen geprägte Praxis zu reformieren. Nur wer „substantielle“ Erkenntnisfortschritte liefere, solle den Dr. med. erhalten. Die große Masse hingegen müsse sich mit der Berufsbezeichnung „Medizinischer Doktor“ abfinden. Eine Reform, so wendet Weber-Wulff ein, die ein Übel nicht beseitige: das Unwesen der „Berater“ und Ghostwriter. Die erstellen für titelsüchtige Kunden solch professionelle Arbeiten, daß ihnen auch Plagiat-Software nicht beikomme.

In welchen Dimensionen auf diesem Geschäftsfeld gewirtschaftet werde, habe das 2009 aufgeflogene Institut für Wissenschaftsberatung in Bergisch-Gladbach gezeigt, das solvente Kandidaten aller Fakultäten, Mediziner eingeschlossen, an wenigstens hundert „Doktorväter“ durchreichte, gegen die dann wegen Bestechlichkeit ermittelt wurde. Dieser Sumpf lasse sich nur durch eine tiefgehende Verbesserung der universitären Lern- und Lehrverhältnisse austrocknen, durch eine wissenschaftliche Begleitung von Promovenden, die ihren Namen verdiene.

Foto: Europaabgeordnete Koch-Mehrin: Das Internetportal „VroniPlag“ untersucht auch die Dissertationen der FDP-Kollegen Bijan Djir-Sarai und Georgios Chatzimarkakis sowie von Uwe Brinkmann (SPD), Mat­thias Pröfrock (CDU) und der Historikerin Margarita Mathiopoulos

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