© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

„Ab die Post! Bingo! Revolution!“
Schluß mit der Gemütlichkeit – Heather De Lisle will nicht ruhen, bis sie die Konservativen in Deutschland auf Vordermann gebracht hat
Moritz Schwarz

Frau De Lisle, die „Welt“ schrieb unlängst, Sie „verzweifelen an der Protestmüdigkeit der Deutschen“. Warum?

De Lisle: Weil sie nicht demonstrieren gehen, beziehungsweise nur die Linken tun das hierzulande: Fast jedes Wochenende gibt es in Berlin Demos und Protest, aber so gut wie nie sind das die Konservativen. Es gibt in Deutschland einfach keine konservative Protestkultur.

Warum nicht?

De Lisle: Ich habe mit vielen Leuten darüber gesprochen und immer wieder das Vorurteil gehört, so was machten doch nur Bio-, Öko- und sonstige Gutmenschen. Unsinn! Wenn mir etwas nicht paßt, wenn ich etwas bewegen will, dann muß ich den Politikern klarmachen, was mir gegen den Strich geht! Und das macht man – natürlich friedlich – am besten laut auf der Straße und mit vielen Gleichgesinnten.

In Ihrem Internet-Blog haben Sie bereits zur „Schnürsenkel“-Revolution aufgerufen.

De Lisle: In den USA hatten konservative Blogger die Idee, als Zeichen ihres Protests gegen die Politik der Regierung Präsident Obama Teebeutel zu schicken. Ergebnis: Washington wurde mit Teebeuteln überflutet, die Presse konnte nicht anders, als darüber zu berichten und die sehr erfolgreiche Tea-Party-Bewegung entstand. Da habe ich mich gefragt: Und was können wir hier in Deutschland machen? Meinen Daddy ...

... der in den achtziger Jahren in Berlin populäre Radiomoderator Rik De Lisle ...

De Lisle: ... er meinte: „Schick doch deine verdammten Schnürsenkel hin. Die werden’s schon kapieren.“ Recht hat er!

Wenn Sie sich so fürs Protestieren interessieren, hätten Sie dann nicht eigentlich links werden müssen?

De Lisle: Das ist genau der Quatsch, mit dem endlich Schluß sein muß: In Deutschland gilt Protest per se als links. Aber das stimmt nicht. Doch Ihr Deutschen habt diese einseitige Sicht zugelassen – und jetzt habt Ihr den Salat.

Inzwischen waren Sie wohl in fast jeder deutschen Talkshow eingeladen. Warum?

De Lisle: Wohl weil ich eine konservative US-Journalistin bin, die auch noch High-Heels trägt und bereit ist, sich notfalls mit den großen Linksliberalen in den deutschen Medien zu kloppen. Konservative Republikaner sind ja angeblich alte weiße Männer, kriegsverherrlichende, rassistische, homophobe Choleriker, die auch gerne Babyrobben umbringen und ihre Großmutter für ein Faß Öl verkaufen. Da passe ich offenbar nicht ganz ins Feindbild und die wollten wohl mal sehen, wie so was aussieht.

Aber warum wollen Sie als Amerikanerin denn in Deutschland etwas verändern?

De Lisle: Weil Berlin mein Zuhause ist.

Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, sind Sie überhaupt eine wirkliche Amerikanerin?

De Lisle: Natürlich! Wir sprachen zu Hause nur Englisch, ich ging auf eine deutsch-amerikanische Schule, hatte bis ich 14 war vor allem amerikanische Freunde, wir kauften im amerikanischen Supermarkt ein und sahen amerikanisches Fernsehen. Richtig mit Deutschland befaßt habe ich mich erst, als in den neunziger Jahren die Besatzungstruppen abgezogen sind.

In Deutschland, so klagen Sie, gelte die Formel „Links ist cool, konservativ zum Einschlafen“. Das wollen Sie ändern.

De Lisle: Unbedingt, vor allem müssen wir den jungen Leuten klarmachen, daß Konservativsein nicht etwas für Oma und Opa, sondern daß es abgefahren ist!

Aber wie?

De Lisle: Zum Beispiel durch Spontanität. Nehmen Sie die Tea-Party-Bewegung: Da wurde nicht erst ein Verein gegründet, es gab keine Geschäftsordnung, keine Arbeitsgruppe, keine Agenda. Nein, die Leute haben einfach losgelegt! Und viele, die ihre Teebeutel nach Washington geschickt haben, hatten noch nie zuvor gewählt oder sich für Politik interessiert. Man brauchte nur einen Teebeutel – oder einen Schnürsenkel – und einen Briefumschlag, fertig. Ab die Post! Bingo! Revolution!

Die Einführung der Euro-Transferunion stellt im Grunde so etwas wie einen Putsch der Politischen Klasse gegen das Volk dar. Eigentlich wäre das die Stunde der Konservativen: Wann, wenn nicht jetzt müßte es zu einer deutschen Tea Party kommen?

De Lisle: Das stimmt, denn bei der Tea Party geht es vor allem ums Geld. Die Bürger fragen sich: „Was macht diese Regierung eigentlich mit unseren Steuern? Wo bleiben unsere Dollars?“ Genau die gleiche Situation haben wir jetzt in Europa. Die Deutschen hätten angesichts der Griechenlandhilfe und der immensen Euro-Rettungsschirme jedes Recht, massenhaft auf die Straße zu gehen und Protest anzumelden: „Was bitte macht ihr da mit unseren Steuern?“

Und den Steuern unserer Kinder und Kindeskinder ...

De Lisle: ... die ja auch schon ausgegeben werden, richtig. Und der Vorteil ist, das regt nicht nur Konservative auf, sondern an sich auch Linke-, Mitte- und Nichtwähler! In der Tat, das wäre genau der richtige Zeitpunkt, aber es passiert so gut wie nichts.

Warum sind den Deutschen ihre Steuergelder egal, den Amerikanern aber nicht?

De Lisle: Gute Frage, ich war zum Beispiel im letzten Jahr ziemlich schockiert, als ich hierzulande von vielen Leuten Kritik an Microsoft-Milliardär Bill Gates hörte, der sein Geld für wohltätige Zwecke spendete. Die Leute meinten, es sei doch besser, Geld in Form von Steuern an den Staat zu geben, damit der es dann verteilt. Da blieb mir fast die Spucke weg. Wissen diese Leute denn nicht, wäre Deutschland eine Firma, wäre diese schon lange bankrott!? Auch ich finde einige Errungenschaften des Sozialstaates durchaus positiv, aber Tatsache ist, der Staat schafft es einfach nicht, mit Geld umzugehen – doch die Deutschen glauben weiter unbeirrt an den Staat! Es klingt widersprüchlich, aber in Deutschland sind im Grunde sogar die Konservativen irgendwo „Sozialisten“.

Im Mai haben Sie den Kongreß der konservativen „Aktion Linkstrend stoppen!“ (JF 20/11) besucht. In Ihrem Blog schrieben Sie anderntags: „Schon nach einer halben Stunde wollte ich mir die Haare raufen.“

De Lisle: Ja. „Linkstrend stoppen!“ ist ja eine Initiative enttäuschter CDU-Mitglieder, also hatte ich gehofft, daß man dort kreative Ideen austauschen und Pläne schmieden würde, wie man die Union wieder auf ihren bewährten Kurs zurückführen könnte. Aber was ich erleben mußte, war ein Parteitag – und zwar von der übelsten Sorte. Mich hatte der Veranstalter eingeladen, um in einer Frage/Antwort-Runde über die Tea-Party-Bewegung zu berichten, auch um zu erfahren, was man da vielleicht lernen könnte. Allerdings wurden mir kaum Fragen gestellt, weil die Besucher, die an die Mikrophone traten, alle erstmal eine halbe Stunde referierten, statt zu fragen. Meist zudem über irgendein irrelevantes Detail. Und Programmpunkte zu diskutieren schien den meisten wichtiger, als sich zu überlegen, welche Aktionen man gemeinsam unternehmen könnte.

Gab es denn nichts Positives?

De Lisle: Natürlich, später in der Pause kamen etliche Leute zu mir und meinten, daß sie es sich ebenfalls anders vorgestellt hatten. Und überhaupt, an sich finde ich die Aktion ja eine super Idee! Denn ich bekomme mehr und mehr Klage-Zuschriften von enttäuschten CDU-Mitgliedern, Tenor: Die Partei macht nicht mehr das, was wir eigentlich von ihr erwarten. Wenn ich dann frage: „Warum organisiert ihr dann keinen Protest, um der Parteiführung das mitzuteilen?“, heißt es, nein, nein, das machen wir nicht! – Das ist für mich bis heute unverständlich. Also, die „Aktion Links-trend stoppen!“ tut immerhin etwas.

Welchen Rat würden Sie ihr geben?

De Lisle: Na, wie gesagt: Mehr Spontanität und Aktion, Leute! Dann der Name – so gut und richtig der Ansatz ist, der Name ist sperrig und trocken. Daß das immer alles so langweilig aussehen muß! Dabei, wenn man drinsteckt merkt man, es ist gar nicht langweilig, aber es sieht so aus. Ich möchte etwa einen 18jährigen nicht davon überzeugen müssen, er soll doch mal zu einem „politischen Stammtisch“ kommen ...

Also sind es die konservativen Aktivisten selbst, die die konservative Protestklientel verschrecken?

De Lisle: Nein, so einfach ist es sicher nicht. Erstens, in Deutschland geht generell alles sehr viel organisierter und damit behäbiger über die Bühne. Zweitens, ich denke, ein großes Problem ist, daß man hierzulande als Konservativer sehr schnell ins „rechte Eck“ gedrückt wird: Ruckzuck ist man ein „Faschist“ oder wenigstes ein „Rechtspopulist“. Ich habe ja selbst erleben müssen, wie schnell man vor allem im Internet mit so absurden Vorwürfen bedrängt wird. Das nimmt zwar nicht mir, aber offenbar vielen anderen schnell den Mut.

Damit stellen Sie Deutschland ein schlechtes Zeugnis in Sachen Meinungsfreiheit und demokratischer Toleranz aus.

De Lisle: Nur weil die Konservativen das zu- und sich einschüchtern lassen! Deutschland ist doch nicht der Iran, wo Demonstranten verhaftet werden. Deshalb sage ich: Nicht soviel darüber nachdenken, einfach machen!

Ist es wirklich so einfach?

De Lisle: Man braucht nur Telefon, Internet und eine Handvoll Mitstreiter, damit kann man heute durchaus eine Demo mit tausend Teilnehmern auf die Beine stellen.

Sagen wir mal fünfzig – und die sind dann bedrängt von einhundert gewalttätigen Antifa-Linksextremisten und umringt von zweihundert gepanzerten Polizisten. Der Normalbürger wendet sich mit Grausen und liest anderntags in der Zeitung: „Gewalt bei rechtspopulistischer Demo“.

De Lisle: Ich kann diese Bedenken verstehen, und als einzelner hat man da natürlich keine Chance. Aber sobald man mit ein paar hundert, tausend oder gar zehntausend Leuten auftritt, passiert das nicht mehr.

Unterschätzen Sie vielleicht nicht den Kleinkrieg, der schnell auch gegen demokratische Konservative entfesselt wird? Übrigens mitunter mit freundlicher Unterstützung der Polizei, die etwa bei Wirten anruft und bedeutungsvoll „rät“, einer Versammlung doch zu kündigen, da sie die Sicherheit nicht garantieren könne. Oder die sich auch mal per Megaphon öffentlich bei der gewaltbereiten Antifa für die „gute Zusammenarbeit“ herzlich bedankt.

De Lisle: Ich sehe das nicht so. Die Polizisten, die ich kenne, sind sehr wohl auf „unserer“ Seite. Natürlich gibt es auch unter den Polizisten ein paar faule Äpfel, vermutlich alte VoPos oder so was, aber ich kenne keine, die mit den linken Randalierern sympathisieren, im Gegenteil, sie sind es ja, die die Steine abkriegen. Man muß sich aber vielleicht auch überlegen, wo man demonstriert: In den bürgerlichen Bezirken Berlins wie Zehlendorf oder Wannsee sieht es mit linken Störern und dem daraus resultierenden Polizeiaufgebot sicher weit weniger schlimm aus als in Berlin-Mitte. Allerdings, auch Gegendemonstrationen gehören zur Protestkultur. Und in den USA beharken sich Linke und Rechte übrigens genauso. Wenn dort etwa Homosexuelle eine Demo machen, müssen sie sich in den meisten Landesteilen ebenfalls die ärgsten Beschimpfungen, ja sogar Todesdrohungen durch die Rechten gefallen lassen. Niemand hat gesagt, daß Freiheit immer einfach ist. Bedingung ist allein: Es muß trotz allem friedlich bleiben! Wenn nur noch mit Polizeischutz demonstriert werden kann, dann herrscht in einem Land in der Tat keine Demonstrationskultur, sondern eher eine Unkultur.

Bei der Berlin-Wahl im September treten etliche bürgerliche Protestformationen zur Wahl an: Freie Wähler, Pro Deutschland, Die Freiheit. Was halten Sie davon?

De Lisle: Alles sehr interessant, aber ich glaube, wir brauchen keine neuen Parteien. Sondern wir müssen die Politiker, die wir schon haben, dazu ermutigen, endlich wieder das zu sagen, was wir von ihnen hören wollen. Insofern ist so etwas wie die „Aktion Linksrend stoppen!“, wie gesagt, der richtige Ansatz.

Also, wann ist Ihre Demo?

De Lisle: Äh ... sobald ich herausgefunden habe, welches Formular ich ausfüllen muß, um eine Demo anzumelden ...

Ganz sicher kommen dann auch ein paar Radikale oder Agent provocateurs mit extremen Losungen.

De Lisle: Glauben Sie, Spinner gibt es bei der Tea Party nicht? Aber so ein paar Radikale muß die Meinungsfreiheit schon aushalten können. Sollen sie doch ihre Transparente hochhalten. Fünf Spinner kann man doch 500 vernünftig demonstrierenden Bürgern nicht zurechnen. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, weder von linken oder rechten Spinnern noch von den Denunzianten im Internet oder von den Randalierern auf der Straße.

2010 erschien Ihr Buch „Amiland“, in dem Sie auch über die Deutschen schreiben. Was können wir von den USA lernen?

De Lisle: Ich glaube, die Tugend der Amerikaner ist einerseits, Fehler eingestehen zu können und trotzdem weiterzumachen, also das amerikanische Selbstvertrauen. Ich denke, unser Patriotismus ist die Grundlage für unser bürgerschaftliches Engagement. Viele Junge gehen etwa bei uns zur Armee, weil sie etwas von dem Guten, das sie von ihrem Land empfangen haben, zurückgeben möchten. Es ist diese Hingebung an das Land, die ich in Deutschland so nicht sehen kann. Ich glaube, wenn die Deutschen etwas an ihrem Patriotismus arbeiten würden, würde das viel dazu beitragen, daß auch Demokratie und Freiheit sich hier noch besser entwickeln.

 

Heather De Lisle, wurde als Tochter des in den achtziger Jahren in West-Berlin populären US-Radiomoderators Rik De Lisle 1976 im pfälzischen Landstuhl geboren und wuchs an der Spree auf. Die Journalistin, Bloggerin und Kolumnistin arbeitete als Synchronsprecherin, Fernsehmoderatorin, Autorin der Deutschen Welle und als Berlin-Korrespondentin für ABC Radio News in New York. Als „offenbar einzige US-Journalistin in Deutschland, die sich zur Republican Party bekennt“ (De Lisle über sich selbst) war sie inzwischen Gast in fast jeder deutschen TV-Talkrunde. In ihrem Buch „Amiland. Streitschrift für die Weltmacht USA“ (Vers 1-Verlag, 2010) kritisiert De Lisle: „Konservative Ideen gelten oft reflexartig als ‘falsch’, selbst wenn gut begründet. Besonders in den Medien ... wird die andere Seite des Arguments ignoriert, im besten Fall nett belächelt.“ Dagegen schreibt und bloggt De Lisle an. www.delisle.tv

Foto: Heather De Lisle: „Es gibt hier einfach keine konservative Protestkultur“

 

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