© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Schwarz-gelber Steuerstreit am Abgrund
FDP: Mit ihrer verzweifelten Forderung nach einer finanziellen Entlastung der Bürger versucht die neue Parteiführung den Untergang abzuwenden
Paul Rosen

Die FDP auf Retro-Trip: Die altliberale Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kämpft gegen zuviel Datenspeicherung, und der junge Vorsitzende Philipp Rösler will unbedingt eine Steuerreform, um den gekenterten FDP-Kahn umzudrehen und damit vor dem endgültigen Absaufen zu bewahren. „Das ist jetzt ein eindeutiger Arbeitsauftrag an Herrn Schäuble“, flankierte FDP-Generalsekretär Christian Linder seinen Vorsitzenden, der die Partei damit präsentiert wie in den siebziger bis neunziger Jahren, als die Liberalen noch auf mehr Bürgerrechte und weniger Steuern setzten, bevor sich ihre Programmatik in einem Nichts verlor.

Vor allem die hektische Neuauflage der Steuersenkungsschallplatte ist den schlechten Umfragewerten der FDP geschuldet, die auch nach dem Vorsitzendenwechsel auf dem Rostocker Parteitag nicht besser werden wollen. Ein Konzept geht mit der Steuerdebatte allerdings nicht einher. Die in Rede stehenden Summen von sechs bis zehn Milliarden Euro sind auch zu niedrig, um vom Wahlvolk längerfristig wahrgenommen zu werden. Durchschnittsverdiener könnten dadurch um 200 bis 400 Euro im Jahr entlastet werden. Bei aller Kritik halten viele Experten Einkommensteuersenkungen für dringend notwendig. Schließlich werden mittlerweile selbst Angestellten von jedem zusätzlich verdienten Euro 52 Cent weggesteuert. Als erste Maßnahme vor einer Tarifreform rückt daher die Abschaffung des „Solidaritätszuschlags“ in den Fokus. Dieser hat schon lange nichts mehr mit Solidarität mit den östlichen Ländern, aber dafür um so mehr mit dem Bedürfnis der Politiker zu tun, Geld für allerlei Wohltaten aus dem Fenster zu werfen.

Nur: Wer in Zeiten leerer Staatskassen, hoher Neuverschuldung und einer grundgesetzlichen „Schuldenbremse“ Steuern senken will, muß Staatsausgaben und Staatsaufgaben reduzieren. Dazu müssen in erster Linie gehören: Senkung der Zahlungen an die Europäische Kommission, Verzicht auf die Milliarden-Bar-einlage für die Euro-Rettungsbehörde ESM, Reduzierung von Subventionen wie für erneuerbare Energien und Abbau der „Arbeitslosen-Industrie“, einem dichten Geflecht von Institutionen, die Arbeitslose dauerhaft schulen und weiterbilden, aber selten zu einer guten Arbeit verhelfen. Eine Steuersenkung würde andererseits auch zu höherem Wachstum führen und damit zusätzliche Staatseinnahmen generieren – ein Effekt, der bei den „Reaganomics“ in den Vereinigten Staaten zu beobachten war.

Allerdings stößt die Steuersenkungsforderung der FDP schon beim Koalitionspartner CDU nicht gerade auf große Begeisterung: „Wenn ich sagen würde, daß ich darüber total glücklich war, wäre es nicht die ganze Wahrheit“, formulierte CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder in  gewohnt umständlicher Berliner Politikersprache. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte, die Haushaltskonsolidierung stehe an erster Stelle. Spielräume könne man zwar nutzen: „Solange wir aber nicht wissen, welche Spielräume wir haben, halte ich ein Herumjonglieren mit Steuertarifen für nicht angemessen.“

Und Finanzminister Wolfgang Schäuble selbst ließ den Koalitionspartner deutlich spüren, wer Koch und wer Kellner ist: „Ich bin etwas unglücklich über die öffentliche Debatte, die den Eindruck erweckt, wir hätten große Spielräume für Steuersenkungen.“ Diese Spielräume gebe es aber nicht, „weil wir in der Koalition verabredet haben, daß Haushaltskonsolidierung Vorrang hat“. Vom Bundesrat, der einer Steuersenkung (aber nicht einer Senkung oder Abschaffung des „Soli“) zustimmen müßte, ist nichts zu erwarten. Rot-grüne und CDU/CSU-Länder sind dagegen, weil sie auf Einnahmen nicht verzichten wollen oder können. Und der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider stellte lapidar fest: „Wir sind mitten im Aufschwung, aber machen immer weiter neue Schulden. Da verbieten sich Steuersenkungen.”

Wenn die FDP sich retten will, müßte sie nicht 15 Euro Steuersenkung im Monat erkämpfen, sondern aus der national wie europäisch schwachen Merkel-Regierung ausscheiden und ihren klare marktwirtschaftliche Linie wieder aufnehmen. Frank Schäffler, der mutige Euro-Kritiker der FDP, hat einen Hinweis gegeben, daß Nibelungentreue nicht mehr angesagt ist: „Die FDP steht am Abgrund. Viele Kollegen wissen: Wenn die Partei so weitermacht wie bisher, verlieren sie ihre Mandate sowieso. Das macht frei.“

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