© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Gemeinsame Spurensuche
Deutsch-estnische Zusammenarbeit im Netz
Detlef Kühn

Die etwa eine Million Esten gelten als modernen Kommunikationsmitteln besonders aufgeschlossen. Tatsächlich nutzt kaum ein anderes Volk in Europa die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung so intensiv. Dies gilt auch für die Verwaltung und hier nicht zuletzt für das Archivwesen. Davon kann – so paradox es klingen mag – vor allem Deutschland profitieren.

Anläßlich seines 90jährigen Bestehens im Mai 2011 präsentierte das Estnische Historische Archiv in Tartu (Dorpat) kürzlich sein neuestes Internetprojekt. Vor vier Jahren hatte das Archiv damit begonnen, Kirchenbücher und Revisionslisten (Steuer- und Musterungslisten), die für sozialgeschichtliche Forschungen aller Art und nicht zuletzt auch für familiengeschichtliche Arbeiten von Bedeutung sind, über das Portal Saaga im Original zugänglich zu machen. Ihre lettischen Nachbarn folgten ihnen kurz darauf mit dem Internetportal Raduraksti (lettisch: Familienforschung). Die besondere Bedeutung für deutsche Forscher liegt darin, daß die Archivalien im allgemeinen in deutscher Sprache verfaßt sind. Die drei sogenannten deutschen Provinzen des Russischen Reiches – Livland, Estland und Kurland –, die heute das Territorium Estlands und Lettlands bilden, standen nämlich vom 18. bis in das 20. Jahrhundert hinein unter der Verwaltung der (deutschen) Baltischen Ritterschaften.

Nunmehr wird Estland weitere Archivalien aus seinen historischen Beständen im Original im Internet der Forschung zur Verfügung stellen. Das Projekt, das unter dem Namen Hereditas Baltica (Baltisches Erbe) technisch vom Estnischen Historischen Archiv in Dorpat und auf deutscher Seite vom Herder-Institut getragen wird, kostet 54.000 Euro. Die Hälfte dieser Kosten trägt, über drei Jahre verteilt, die Bundesregierung, den Rest übernehmen verschiedene deutsche Organisationen, darunter die Dr.-Werner-Emil-Maaß-Stiftung zur Förderung der ostdeutschen Genealogie, die Deutsch-Baltische Genealogische Gesellschaft und die als Traditionsvereine weiterbestehenden Baltischen Ritterschaften. ^Die ersten bereits digitalisierten Archivalien, das Törne-Archiv, eine Sammlung des deutschbaltischen Genealogen und Archivars Carl Georg von Törne, das die Zeit von 1699 bis 1939 betrifft, sollen bis Anfang 2012 ins Internet gestellt werden. Hereditas Baltica trägt somit in vorbildlicher Weise den gemeinsamen deutschen und estnischen Beziehungen Rechnung.

 www.ra.ee  www.lvva-raduraksti.lv

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen