© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Drangsal und Heimatverlust
Ein Westpreuße blickt ohne Zorn zurück
Ilona Dubalski-Westhof

Gerhard Wolters reich bebilderte „Erinnerungen eines Westpreußen“ sind ein empfehlenswerter Beitrag der Vertriebenenliteratur. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges mußten die Eltern ihren Hof im masowischen Wengrow sechzig Kilometer östlich von Warschau verlassen. Die deutschstämmige Bevölkerung dieses 1914 zu Rußland gehörenden Gebietes wurde, nach Männern, Frauen und Kindern getrennt, in Internierungslager auf die an der eisigen Karasee gelegene Insel Nowaja Semlja deportiert. Für die Verpflegung während des Transports dorthin mußten die Betroffenen selbst Sorge tragen. 1918 kehrte die überlebende Familie von der Tundreninsel zurück und ließ sich bei Schönsee in der westpreußischen Kaschubei nieder, welche aber nur kurze Zeit später nach Versailles Polen „als Korridor“ zur Ostsee zugeschlagen wurde.

Offizielle Sprache war nun Polnisch, das alle deutschen Schulkinder schnell erlernen mußten. Dennoch verlief das bäuerliche Landleben zwischen Polen und Deutschen recht harmonisch, bis in Polen unter Edward Rydz-Smigly, dem ab 1935 regierenden Autokraten, eine wahre Deutschenhetze einsetzte.Wolter berichtet von den politischen und militärischen Spannungen bis hin zur polnischen Mobilmachung, die im Grenzgebiet zum Deutschen Reich sogar vor dem 1. September 1939 immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen führte.

Wolter beschreibt bestechend authentisch seine Erlebnisse während des Krieges und in Kriegsgefangenschaft. Er berichtet über die Flüchtlingstrecks, die von Rotarmisten auf ihrem Weg gen Westen beschossen wurden. Auch seine Familie muß Westpreußen verlassen, die schmerzliche Erfahrung des Heimatverlustes teilt er mit Millionen vertriebener Ostdeutscher. Wie viele andere flüchtet er in den Neubeginn, die Wirtschaftswunderjahre schenken Ablenkung. 1976 findet der erste Besuch in der alten Heimat statt. Wolters persönliche Schilderungen stehen wohl repräsentativ für die vieler „Heimwehtouristen“. Letztlich kann der Autor, nicht zuletzt durch sein konsequentes christliches Werteverständnis, der politischen Diskriminierung der Deutschen in Polen nach 1920 sowie dem Heimatverlust Versöhnliches abgewinnen.

Gerhard Wolter: Erinnerungen eines Westpreußen. Verlag Neumann-Neudamm, Melsungen 2010, gebunden, 480 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro

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