© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

„Ach, hören Sie doch auf!“
Wehrpflicht: Bei der Flugabwehr in Schleswig-Holstein spürte man das Ende einer Ära / JF-Serie, Teil 12 und Schluß
Marcus Schmidt

Die Welt war im Umbruch. Die Zeiten hatten sich geändert und die Bundeswehr auch. Aus dem fiktiven Gegner „Rotland“ war nach dem Ende des Warschauer Paktes tatsächlich „Rosaland“ geworden und auch ansonsten war einiges in Unordnung. Man war irgendwie Sieger der Geschichte. Andererseits war allen bewußt, daß die für den Kalten Krieg gerüstete Armee vor einschneidenden Umbrüchen stand, gleichzeitig nahm die Diskussion um die ersten Auslandseinsätze ihren Lauf.

Und was war davon 1992 in Rendsburg für den Abiturienten aus Hamburg zu spüren?

Die kleine Stadt in der Mitte Schleswig-Hosteins, eine in der Erinnerung backsteinrote preußische Provinz-Garnison, beherbergte damals noch zwei Kasernen. Die Bundeswehr war einer der größten Arbeitgeber der Stadt. In der Rüdel-Kaserne war die Heeresflugabwehrschule samt zugehörigem Lehrbataillon untergebracht. Hierhin hatte es mich im Oktober 1992 verschlagen. Zuvor war allerdings ein energischer persönlicher Brief an den Leiter des Kreiswehrersatzamtes in Hamburg notwendig gewesen, um auf meine ausgebliebene Einberufung hinzuweisen. Mit Erfolg. Meinen Kameraden in der Grundausbildung habe ich davon aber lieber nichts erzählt. Nach der Grundausbildung ging es für mich als einen der wenigen Abiturienten des Quartals in die Stabs- und Versorgungsbatterie. Die ersehnten feuerspeienden Flugabwehrpanzer vom Typ „Roland“, mit denen das Bataillon ausgerüstet war, blieben unerreicht. Aber es zeigte sich schnell, daß es durchaus Vorteile haben kann, für die Wachpläne der Einheit zuständig zu sein.

Was blieb von der Zeit in der altertümlichen Kaserne aus den dreißiger Jahren, an der die bundesrepublikanischen Modernisierungsorgien weitgehend vorübergegangen waren, in Erinnerung? Der kleine in die Jahre gekommene Major, der während einer Übung rumpelstilzchengleich in einem alten Landgasthof auf der Bühne des Festsaals, die als Nachtquartier diente, herumtobte und einem Oberleutnant mitten in der Nacht befahl, endlich nicht mehr zu schnarchen.

Der gefürchtete Feldwebel, der den Spitznamen „Roter Baron“ trug und dessen zur Schau getragene Schärfe beim Formaldienst in echte Verzweiflung und Mitleid umschlug, weil ein besonders begriffsstutziger Kamerad immer und immer wieder aus dem Gleichschritt geriet.

Der langhaarige „Verweigerer“, der am ersten Tag beim Empfang der persönlichen Ausrüstung das Taschenmesser zurückwies („Ich fasse keine Waffe an“), um wenig später Gefallen am „G3“ zu finden. Er wurde einer der besten Schützen der Batterie. Von seinem Verweigerungsantrag war da schon längst nicht mehr die Rede. Der väterliche Spieß, ein aus der Gegend stammender Bauernsohn, dessen Großvater 1918 das Schloß in Schleswig mit dem Maschinengewehr gegen meuternde Matrosen verteidigt hatte. Der schmächtige 19 Jahre alte Abiturient, der sich unheimlich wichtig vorkam, als er mit einer silbernen Kordel, die ihn als stellvertretenden Wachhabenden kennzeichnete, frühmorgens seine Runde über das Kasernengelände drehte.

Endlose Fahrten während einer Übung in einem 20 Jahre alten VW-Bus durch die sumpfig-wäßrige Eiderniederung, eine aus der Zeit gefallene, verzauberte Landschaft, mit vereinzelten Höfen und Dörfern, in denen die spielenden Kinder plattdeutsch sprachen. („Was für ein schönes deutsches Dorf!“ „Ach, Gefreiter Schmidt, hören Sie doch auf!“)

Die Rüdel-Kaserne wurde im Jahr 2000 (angebliche Verstrickungen des Namensgebers im Zweiten Weltkrieg, das Übliche) in Feldwebel-Schmid-Kaserne umbenannt, bevor sie im vergangenen Jahr ganz geschlossen, die Heeresflugabwehrschule nach Munster verlegt wurde. Rendsburg als Garnisonstadt ist Geschichte; der Wehrdienst – Erinnerung.

Name: Marcus Schmidt

Dienstzeit: 10/1992 – 9/1993

Dienstgrad: Obergefreiter

Einheit: Heeresflugabwehr

Garnison: Rendsburg

Foto: Leider nie erlebt: Abschuß eines Lenkflugkörpers vom Flugabwehrraketenpanzer „Roland“

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