© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Friedensflottille in schwerer See
Gaza-Hilfe: Internationale Aktivisten isoliert / Enge Kooperation zwischen Athen und Jerusalem
Günther Deschner

Seit Ende Juni bereiten sich Aktivisten aus zahlreichen Staaten darauf vor, mit Hilfsgütern an Bord nach Gaza aufzubrechen – zumeist aus kleineren Häfen nahe Piräus und den Inseln Kreta und Korfu. Weitere Schiffe sollen aus anderen Mittelmeerstaaten starten. Ursprünglich sollten es 15 Schiffe mit 1.500 Passagieren aus Frankreich, Kanada, den USA und zehn weiteren Ländern sein, die – mit 3.000 Tonnen dort verbotener Güter, unter anderem Zement, Medikamente und Kunstdünger – die Abriegelung des Gaza-Streifens durch Israel demonstrativ durchbrechen wollten.

Bereits vor einem guten Jahr hatte eine erste „Gaza-Hilfsflotte“ versucht, die Seeblockade vor Gaza zu durchbrechen. Israel begründet sie damit, Waffenschmuggel in das Palästinensergebiet verhindern zu wollen. Die Palästinenser – und ihre Parteigänger an Bord der Schiffe – kritisieren die Abriegelung als kollektive Bestrafung der 1,5 Millionen Einwohner des Gebiets und deswegen als völkerrechtswidrig. Bei der Kaperung eines türkischen Schiffes durch ein israelisches Kommando waren neun Türken erschossen worden.

Auch das aktuelle Nachfolgeunternehmen einer zweiten „Gaza-Hilfsflotte“, der „Freedom Flottilla II“, stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Israel hat schon vor Wochen eine Verbotszone für Schiffe vor Gaza verhängt, und ebenso lange tobt auch eine Propagandaschlacht zwischen den Aktivisten und Israel – und ihren jeweiligen Parteigängern. Doch es blieb nicht beim Krieg der Worte und der Einflußnahme: Dem in Piräus ankernden Schiff „Juliano“, das Griechen und Skandinavier nach Gaza fahren sollte, wurde unter Wasser ein Teil des Schiffspropellers abgesägt, bei der irischen Motoryacht „Saoirse“ war es die Propellerachse. „Das ist eine chirurgische Operation von Fachleuten“, zitierte Spiegel online einen Sprecher der Flottille. „Wer könnte das getan haben, wenn nicht der Mossad?“ Beweise dafür gibt es jedoch nicht.

Inzwischen hat Athen den Aktivisten ganz verboten, mit ihren Schiffen von griechischen Häfen in Richtung Gaza auszulaufen – statt dessen aber das Angebot gemacht, die Hilfsgüter in eigener Regie und in Abstimmung mit israelischen Stellen nach Gaza zu transportieren. Zur Bekräftigung des Verbots hat die griechische Küstenwache den Kapitän der amerikanischen „Audacity of Hope“ unter dem Vorwurf festgenommen, er habe versucht, den Hafen ohne Erlaubnis zu verlassen – eine ironische Fußnote zu den Wirrungen der Politik: Die „Audacity of Hope“ wurde nach dem programmatischen Buch des US-Präsidenten Barack Obama benannt. Der deutsche Titel: „Hoffnung wagen – Gedanken zur Rückbesinnung auf den American Dream“.

Doch zumindest dieser Traum ist vorbei: Auf breiter Front stößt das Unternehmen der „Freedom Flottilla II“ auf Unbehagen bis Ablehnung. Selbst Ankara machte Druck auf die türkisch-islamische Hilfsorganisation IHH. Diese teilte mit, „aus technischen Gründen“ werde das Leitschiff „Mavi Marmara“ nicht wie geplant ablegen – und es werde auch kein anderes türkisches Schiff starten. Außenminister Davutoğlu hatte die IHH „auch mit Blick auf die Eskalation der Gewalt im Nachbarland Syrien“ aufgefordert, ihre Pläne zu überdenken.

Auch das Nahost-Quartett aus Uno, EU, Rußland und den USA hat die Aktivisten aufgefordert, nicht auszulaufen. „Wir bitten mit Nachdruck alle, die helfen wollen, die erprobten Kanäle zu wählen“, heißt es in einer Erklärung. Andernfalls werde „das Leben der Beteiligten riskiert und eine Eskalation der Lage hingenommen“. Wenn die Lieferungen auf den „erprobten Kanälen“ erfolgten, könnten „die Hilfsgüter kontrolliert werden und über den Landweg ihr Ziel erreichen“, heißt es weiter.

Aufsehen erregte ein Artikel der liberalen israelischen Zeitung Haaretz, wonach das rigorose Vorgehen Athens gegen die zweite internationale „Free Gaza“-Flotte „das Resultat einer guten Freundschaft“ zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und seinem griechischen Amtskollegen Papandreou sei: „Die zunehmenden diplomatischen Bande mit dem ins Trudeln geratenen Griechenland könnten nun der letzte Sargnagel für die Gaza-Flottille sein.“ Netanjahu habe mit Papandreou gesprochen und bindende Zusagen erhalten, daß Athen die Schiffe nicht nach Gaza auslaufen lasse. „Das Techtelmechtel zwischen Netanjahu und Papandreou hat im Februar 2010 begonnen, als sie sich zufällig im Moskauer Restaurant Puschkin trafen“, schreibt Haaretz. Die beiden Regierungschefs hätten sich über „die extreme türkische Haltung gegen Israel“ unterhalten. Sie seien schnell Freunde geworden und hätten in der Vergangenheit regelmäßig miteinander telefoniert.

Im Juli vergangenen Jahres war Papandreou dann zum ersten Staatsbesuch eines griechischen Regierungschefs seit 30 Jahren nach Israel gereist. Nach Netanjahus Gegenbesuch hätten hohe Militärs die Kontakte enger geschmiedet. Seither veranstalteten die israelische und die griechische Luftwaffe gemeinsame Übungen – seit der Sperrung des türkischen Luftraums für Israels Luftwaffe von größter Bedeutung. Als Gegenleistung habe sich Netanjahu bei der EU für weitere Finanzspritzen an Griechenland eingesetzt. „Netanjahu ist Griechenlands Lobbyist in der Europäischen Union geworden“, zitiert Haaretz einen ungenannten israelischen Diplomaten.

Foto: Festsetzung eines spanischen Gaza-Hilfsschiffs durch die griechische Küstenwache (Kreta): Dem Krieg der Worte folgt Sabotage und Verbote

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