© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Hochkonjunktur auf Pump
China: Trotz wachsender Verschuldung bei Staatsbetrieben und Gemeinden ist die Realwirtschaft nicht in Gefahr / Soziale Spannungen
Albrecht Rothacher

Vorige Woche besuchte die Regierung des Exportweltmeisters China den amtierenden Vizemeister in Berlin. Regierungschef Wen Jiabao konferierte mit Angela Merkel im Kanzleramt, die 13 mitgereisten chinesischen Minister tauschten sich mit ihren deutschen Fachkollegen aus. Medienwirksam wurden bei dem historischen Treffen Wirtschaftsverträge im Umfang von 10,6 Milliarden Euro geschlossen. Ehrfürchtig wurde allerorts über die Erfolge im Reich der Mitte berichtet.

Doch auch in China, das in der Tat vor wirtschaftlicher Kraft kaum gehen kann und auf einem Devisenschatz von drei Billionen Dollar sitzt, ist nicht alles Gold, was glänzt. Für das größte Konjunkturprogramm der Welt anno 2008 gelobt, können Gemeinden, die Staatsbetriebe und die Staatsbahn einen Großteil der Kredite für die Infrastrukturprojekte nicht mehr bedienen, die ihnen die allmächtige Kommunistische Partei befohlen hatte. Dazu steigt die Inflation auf 5,5 Prozent. Die Preissteigerungen für Lebensmittel betragen zwölf Prozent und für Wohnraum sechs Prozent. Sie bewirken soziale Unruhen, höhere Lohnforderungen und Streiks. Dies erschwert die Inflationsbekämpfung: Höhere Zinsen würden den Schuldendienst verteuern, die Kreditverknappung zu höheren Ausfällen führen.

Offiziell betragen die Schulden des chinesischen Staates nur 17 bis 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das aktuelle Haushaltdefizit nur 2,5 Prozent des BIP. Tatsächlich aber betragen die Schulden aller Schattenhaushalte, der Gemeinden, der Bahn und der Staatsbetriebe zwischen 60 bis 80 Prozent des BIP. Die genaue Zahl kennt niemand. Die Staatsbahn, die mit ihren superschnellen Zügen für Furore sorgt (JF 27/11), hat umgerechnet 200 Milliarden Euro Außenstände, die Gemeinden 1.100 Milliarden – das entspricht einem Viertel des chinesischen BIP.

Nun bringen die vielen neuen Straßen, Bahnlinien, Sportstadien, Brücken und Rathäuser, die auf Geheiß der KP auf Kredit gebaut wurden, aber häufig sehr wenig Rendite. 30 Prozent der Bankkredite an die Städte und die Bauwirtschaft gelten als akut gefährdet. Es handelt sich dabei um etwa 250 Milliarden Euro. Dazu verlangt der aktuelle Fünfjahresplan von den Gemeinden den Bau von 36 Millionen Sozialwohnungen. Die kosten noch einmal fast 400 Milliarden. Das Problem der chinesischen Gemeinden ist, daß sie keine Schulden machen und keine eigenen Steuern erheben dürfen.

Sie lösen das Kreditproblem, indem sie Bürgschaften für gemeindeeigene Investitionsgesellschaften abgeben. Für ihren Haushalt finanzieren sie sich neben zentralstaatlichen Zuweisungen zu 70 Prozent durch den Verkauf von Landnutzungsrechten, denn der Boden bleibt staatlicher Besitz. Hemmungslos wurde Ackerland zu Bauland umgewidmet.

Drei Millionen Bauern verloren so alljährlich ihr Land. Jetzt zog die Partei die Notbremse und dekretierte 120 Millionen Hektar aus Gründen der nationalen Versorgungssicherheit zur unantastbaren Reserve. Deshalb werden jetzt vermehrt Altbauviertel mit Minientschädigungen enteignet und abgerissen. Das führt zu immer gewalttätigeren Protesten der Betroffenen gegen die Bauspekulation und die damit verbundene Korruption und Behördenwillkür. Ende Mai gab es deshalb in der zentralchinesischen Millionenstadt Futschou sogar Bombenanschläge mit Toten.

Ohnehin hat die Immobilienblase absurde Höhen erklommen. Eine Villa von mäßiger Bauqualität ist am Stadtrand von Peking oder Schanghai nicht unter fünf Millionen Euro zu haben. Städtische Standardwohnungen kosten das Zehnfache eines Jahresdurchschnittseinkommens. Die Verteuerung des Wohnraums sorgt gerade bei den neuen Mittelschichten für Unruhe. Der Anstieg der Preise für Nahrungsmittel, für die ein Durchschnittshaushalt ein Drittel seines Einkommens aufwenden muß, schmerzt vor allem die Unterschicht. In den zwei größten Industrieregionen – im Perlflußdelta um Kanton und Shenzen und im Jangtse-Delta um Schanghai und Nanking – gibt es daher nahezu täglich Streiks und Proteste, um Lohnforderungen durchzusetzen.

Entsprechend nervös reagiert die Partei, die im Oktober 2012 den Generationenwechsel ihres Politbüros vollziehen muß. Die Fraktionskämpfe um die Besetzung der neun Posten sind hinter den Kulissen in voller Schärfe entbrannt. Entsprechend führungslos schlingert die Partei in der aktuellen Krise. Doch trotz aller Probleme ist China nicht Griechenland oder gar die USA. Die chinesischen Staatsschuldner sind im eigenen Land in der bislang nicht konvertiblen „Volkswährung“ (Renminbi, im Westen Yuan genannt) verschuldet. Und dies bei Staatsbanken, die wiederum von der KP kontrolliert werden.

Die wahrscheinliche Lösung des Schuldenproblems: Die Banken reichen wie schon in den neunziger Jahren ihre faulen Schulden an eine „Bad Bank“ weiter. Sie würden dann mit Steuermitteln der Zentralregierung rekapitalisiert. Angesichts einer boomenden Wirtschaft und in Peking sprudelnder Steuereinnahmen wäre dies nichts anderes als die verspätete und etwas teure Finanzierung des auf die Gemeinden und Banken abgewälzten Konjunkturpakets. Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft wären gering, und die Immobilienblase könnte sich bis zu ihrem endgültigen Platzen noch weiter ausdehnen.

 

Dr. Albrecht Rothacher ist Autor des Buches „Mythos Asien – Licht- und Schattenseiten einer Region im Aufbruch“ (Olzog Verlag 2007). 2010 erschien sein Buch „Demokratie und Herrschaft in Japan“ (Iudicium Verlag).

Foto: Autobahn-Labyrint in Schanghai: Trotz aller Probleme ist China nicht Griechenland oder gar die USA

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