© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Europäischer Patriot aus tiefster Seele
Nachruf: Otto von Habsburg ist im Alter von 98 Jahren verstorben / Beisetzung am 16. Juli in Wien
Gernot Facius

Ein Foto vom. 30. November 1916 zählt zu den anrührendsten Zeugnissen des 20. Jahrhunderts: Der kleine Kronprinz Otto, vier Jahre alt, ganz in Weiß neben seinen Eltern, Karl I. und der tief verschleierten Kaiserin Zita, im Trauerzug für Franz Joseph I. in Wien. 95 Jahre später, nach einem wechselvollen Schicksal, wird Franz Joseph Otto Robert Maria Anton Karl Max Heinrich Sixtus Xavier Rene Ludwig Gaetano Pius Ignatius, so sein vollständiger Taufname, zur Kapuziner-gruft geleitet. In der „Villa Austria“ zu Pöcking bei Starnberg ist der Sohn des letzten Herrschers der Österreichisch-Ungarischen Monarchie am 4. Juli im Alter von 98 Jahren gestorben.

Der Mann, der lange vor den westeuropäischen Regierungschefs der Nachkriegszeit in der Einigung des Kontinents die große Friedensvision sah, der die Paneuropa-Idee des Grafen Richard Coudenhove-Kalergi fortentwickelte, starb just in dem Augenblick, in dem die EU, in deren Parlament er zwei Jahrzehnte saß, ihre bislang größte Krise zu bestehen hat.

Erzherzog Otto von Habsburg, oder „Otto von Europa“, wie ihn eine österreichische Zeitung anläßlich seines 90. Geburtstags am 20. November 2002 titulierte, war ein souveräner Europäer, kein Politiker, der sich von romantischen Gefühlen überwältigen ließ. Er warnte vor einer „Diktatur der Schreibtische“, die EU verstand er in erster Linie als Sicherheitsgemeinschaft, als Rechtsgemeinschaft auf christlich-abendländischer Tradition ruhend, der Europäische Rat war für ihn die „Bremse“, das Parlament der „Motor“, aber auch in diesem Punkt wurde er oft enttäuscht.

Seinen Glauben an die Vereinigung Deutschlands ließ er sich auch von politischen Freunden, die zur „Anerkennung der Realitäten“ neigten, nicht nehmen. Das Paneuropa-Picknick an der österreichisch-ungarischen Grenze bei Ödenburg (Sopron) am 19. August 1989 riß ein Loch in den Eisernen Vorhang. Seinen Kollegen im EU-Parlament erläuterte Otto die geschichtliche Bedeutung: „Europa hat in Sopron gesiegt. Der Geist der Jugend, die vor 30 Jahren im Westen die Grenzen niederriß, ist nicht gestorben.“

Der Kaiser-Sohn wurde als „universelle Wunderwaffe“ der CSU gefeiert. Dabei wird nur zu schnell vergessen, daß dem Habsburger das CSU-Europamandat nicht in den Schoß gefallen war, er beziehungsweise eine Schar junger Mitstreiter um Bernd Posselt, seinem späteren Nachfolger, mußten es erkämpfen. Nicht nur die SPD trug ihre Vorbehalte in die Öffentlichkeit. Auch der damalige CSU-Generalsekretär Edmund Stoiber war lange gegen die Kandidatur. Otto von Habsburg verkörperte für Stoiber zu sehr das Bild des „restaurativen Deutschen“, selbst Franz Josef Strauß zeigte sich wie so oft zögerlich.

Gewiß, der CSU-Mandatar scheute sich nie, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Die Uno hielt er für ein höchst zweifelhaftes Instrument einer globalisierten Welt. Er hatte sich die Freiheit genommen, für das unter General Franco weitgehend isolierte Spanien einzutreten – „weil es als altes christliches Land für Europa unverzichtbar ist“. Über Mittelsmänner ließ Franco anfragen, ob Otto bereit wäre, die spanische Krone anzunehmen. Die Antwort war typisch für den Habsburger: „Ich will auf keinen Fall ein Usurpator sein.“ Er war immer für König Juan Carlos, er hat so zur Stabilisierung der spanischen Demokratie beigetragen. Als großer Freund der Türkei, gut vernetzt in islamischen Ländern, hielt er auch hier mit seiner Meinung nicht hinterm Berg: „Die Türkei kann niemals Vollmitglied der EU werden.“ Und das Rußland Putins war für ihn „das letzte große Kolonialreich“. Er sei absolut dagegen, diesem Land die Tür in die EU zu öffnen.

Früher als andere hatte der Erzherzog im Exil den tschechoslowakischen Vertreiberpräsidenten Eduard Beneš durchschaut: „ein Genius des Bösen“. Der Gedanke der Austreibung der Sudetendeutschen sei – „dafür bin ich ein persönlicher Zeuge“ – ausschließlich auf dem Mist von Beneš gewachsen, sagte Otto seinem Biographen Erich Feigl. „Weder Stalin noch Roosevelt wollten anfänglich diese Austreibung.“ Immer wieder habe Beneš dem sowjetischen Diktator eingeredet, Roosevelt sei mit den Vertreibungsplänen einverstanden. Der US-Präsident habe dann, als Stalin überzeugt war, aus Angst vor diesem zugestimmt.

Dieser Zusammenhang ist aktuell so bedeutsam, weil in der Tschechischen Republik des Präsidenten Vaclav Klaus Kräfte am Werk sind, die Beneš weißwaschen wollen und die Vertreibung einseitig als Folge der Potsdamer Protokolle vom Spätsommer 1945 darstellen.

In den USA warnte von Habsburg vor Stalins Expansion, ohne ausreichend Gehör zu finden Er kämpfte vehement für die Unabhängigkeit seiner Heimat. Den 12. März 1938, als die Wehrmacht in Österreich einmarschierte („Operation Otto“), bezeichnete er als einen der düstersten Tage seines Lebens. Er erinnerte sich, daß der Völkische Beobachter am 20. April 1938 mit der Aufmacherzeile erschien: „Steckbrief gegen Otto von Habsburg“. Unterzeile: „Habsburgs entarteter Sproß – ein landesflüchtiger Verbrecher“.

In Washington propagierte der Kaiser-Sohn 1942 die Idee einer mitteleuropäischen Föderation, er schlug eine „Danubian Bill of Rights“ vor, um nicht nur die Rechte des einzelnen, sondern auch die Rechte der Volksgruppen zu sichern. An diesem Thema arbeitet sich Europa noch heute ab. Es sind vor allem die Heimatvertriebenen, allen voran die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL), die sich das Ziel eines europäischen Volksgruppenrechts auf die Fahnen geschrieben haben. Die SL hat dem Sohn des vom Papst seliggesprochenen Monarchen vor Jahren ihren Europäischen Karlspreis verliehen, auf ihren Pfingsttreffen war die „Kaiserliche Hoheit“ stets ein umjubelter Ehrengast.

Gefeiert wurde er auch in Ungarn. 1989 sammelte eine Budapester Bürgerinitiative 100.000 Unterschriften für seine Wahl zum Staatspräsidenten. Wieder sagte Otto von Habsburg nein: Vorrang müsse die Wahl eines legitimen Parlaments haben. Der Kaiser-Sproß hatte die demokratischen Gewohnheiten verinnerlicht. „Parlamentarier zu sein“, sagte er, „das war für mich die schönste Aufgabe.“

Foto: Otto von Habsburg, Sohn des letzten österreichischen Kaisers: Von 1979 bis 1999 gehörte er für die CSU dem Europaparlament an

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