© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

CD: Violinkonzerte
Musik der Betäubung
Sebastian Hennig

Ein schwerer federnder und doch geheimnisvoll dunkel-lieblicher Orchesterklang fällt der Violine bei, löst sich wieder auf und läßt ihr abermals die erste Stimme. Mal tastend, dann wieder in sicheren weiten Bögen, tänzerisch und sängerisch entwickelt sich die Musik und zeigt einmal mehr, wie wenig Pfitzner mit dem Beiwort spätromantisch charakterisiert ist. Das Bedeutungsvolle und das Schöne sind in dieser Musik immer als Zweiklang präsent.

Während Pfitzner ein musikalischer Universalist war, dessen künstlerisches Überleben zu gleichen Teilen auf Kammermusik, Orchesterwerken, Oper und Klavierlied beruht, hatte Siegfried Wagner bereits neun Opern geschrieben, bevor mit dem zweiteiligen Violinkonzert erst sein zweites größeres Instrumentalwerk entstand. Aber auch dieses Konzert bezieht sich auf die zugleich entstandene Oper „An allem ist Hütchen schuld“ nach dem Grimmschen Märchen vom Frieder und dem Katherlieschen. Die Violine ist der Sänger und Akteur dieser musikalischen Dichtung und übernimmt im Wechsel sowohl die Charakterisierung des Jungen wie des Mädchens. Was in der Oper weitschweifig auseinandergefaltet wird, ist hier aus einem süßen Kern mit leichter Hand herausgeschnitzt. Einfalt und Treue bewährt sich gegen teuflische Verschlagenheit. Die Unterschätzung der geistigen Spannkraft solcher romantischen Schwarzweißmalerei ist ja landläufig. Auf der Bühne läßt sich das durch sinnverkehrte Inszenierungen verzerren. Dabei  geht es in diesen Handlungen nur nebenbei um spannendes Geschehen. Die romantischen Kunstwerke sind die Gebete und Litaneien von Menschen, die ihre hergebrachten Formeln und Liturgie verloren haben. Diese spirituelle Hartnäckigkeit kann als Quintessenz besonders deutlich hervortreten, wenn der dramatische Gehalt in klangvolle Instrumentalmusik übertragen ist.

Der wilde Tanz des Teufelsmotives im zweiten Teil klingt nach den ungebärdigen Scherzi in Dvoraks Sinfonien. Die gewaltige Sonne von seines Vaters Ruhm, durch dessen Strahlung Siegfried Wagners beachtliche Laterne nie so recht durchscheinen konnte, läßt ihren vollen Glanz auch vom Schluß dieses Tonträgers zurückfallen. Die Beschränkung auf Violine und kleines Orchester in der Bearbeitung des Wesendonck-Liedes „Träume“ von Richard Wagners eigener Hand relativiert die absolute Dominanz. Es ist eine Musik der Betäubung, nach einer Stunde bittersüßem Sirenengesang bleibt der Hörer benommen und schwindlig zurück.

Der Behauptung, die Moderne sei unsere Antike, läßt sich vielleicht beipflichten, mit dem Zusatz, die eigentliche Moderne war die Romantik! Als der Schaffende ganz losgelassen war von den Rückbindungskräften weltlicher und geistlicher Macht bildete sich in der Romantik die erste autarke Kunstreligion aus. Alle nachfolgenden Ismen sind Rückschritte oder konturschwache Nachauflagen. Der slowakische Geiger Juraj Cizmarovic fungiert unter anderem auch regelmäßig als Konzertmeister in Bayreuth zum Hochamt der romantischen Kunstausübung. Der Musiker des 21. Jahrhunderts spielt die Musik aus dem 19. Jahrhundert auf einer Violine des Nicolo Gagliano von 1761. Ihn begleitet das WDR-Rundfunkorchester Köln unter Marcus Bosch.

Romantische Violinkonzerte, Hans Pfitzner, Siegfried Wagner, Richard Wagner Coviello 2011 (COV 31104)  www.covielloclassics.de

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