© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Mehr Widersprüche, als man ahnt
Ingar Sletten Kolloens Biographie des norwegischen Dichters Knut Hamsun liegt endlich auf deutsch vor
Ulrich Kriehn

Eine neue Hamsun-Biographie ist erschienen, und bereits der Zeitraum der Veröffentlichung läßt stutzen: 2003 kommt Ingar Sletten Kolloens Biographie unter dem Titel „Schwärmer und Eroberer“ in Norwegen in den Buchhandel. Erst acht Jahre später erscheint eine hervorragende Übersetzung im Berliner Landt-Verlag, und bereits dieser zeitliche Abstand offenbart eine nüchterne Tatsache: in Norwegen ist Hamsun eine anerkannte literarische und kulturelle Größe.

Dafür sprechen natürlich auch viele wissenschaftliche Symposien, viele Veröffentlichungen, Theateraufführungen, Rezitationen seiner Gedichte, die feierliche Einweihung eines Hamsun-Museums mit Größen der Kultur und der Politik, bis hin zu Vertonungen von Hamsun-Texten von Heavy-Metal-Musikern – also eine unglaubliche Breitenwirkung. In Deutschland hingegen, dem Land, das ihn als erstes verlegte und in dem er seine größten Anhänger, Leser und Käufer fand, ist Hamsun tot. Eine weitgehend unbekannte Person, und jeder Besuch in einer beliebigen Buchhandlung bestätigt diese Tatsache. Wenige dürften allenfalls mit dem stereotypen Hinweis hervortreten, daß Hamsun Sympathien für die Nationalsozialisten hatte, was seine Existenz als Persona non grata natürlich noch manifestiert.

Ingar Sletten Kolloen umgeht die politische Klippe nicht, wie auch Hamsuns Privatleben und seine Ehe breiten Raum in der sehr flüssig, erzählend und kenntnisreich geschriebenen Biographie einnehmen. Aber genauso zieht er die Querverbindungen zum umfangreichen Werk des Dichters und verfällt nicht wie Robert Ferguson in dessen Hamsun-Biographie aus dem Jahr 1990 in eine krude Dialektik großer Schriftsteller, aber schlechter Mensch. Dafür geht Kolloen viel zu gründlich vor, seine Materialfülle ist atemberaubend, hält neue Erkenntnisse bereit, und sein Schlußsatz könnte leitmotivisch über dem ganzen Buch stehen: „Wenn ich bei dieser Arbeit etwas gelernt habe, dann dies: wir alle enthalten mehr schicksalhafte Widersprüche, als wir ahnen.“ 

Folgerichtig hält sich Kolloen mit Bewertungen zurück, was allerdings manchmal etwas bemüht sachlich erscheint. Die Art und Weise, wie man versuchte, den  Greis in einer Psychiatrie mit Verhören fertigzumachen, um ihn zu einem Geisteskranken zu stempeln, empört heute noch und war wohl auch ein Grund, warum Thorkild Hansens Buch „Der Hamsun-Prozeß“ von 1978 erfolgreich war. Hansen, der den Menschen Hamsun ebenfalls sehr skeptisch beurteilte, ihn als Dichter aber genial fand, schrieb ein flammendes Plädoyer gegen das offenkundige Unrecht dieses Verfahrens.

Etwas mehr Gefühl subjektiver Art hätte Kolloens Buch auch gutgetan, denn Hamsun läßt eigentlich nicht kalt. Seine Romane fordern heraus, und sei es, daß man sich an dem geradezu fundamentalen Nihilismus stört und nach der Botschaft fragt. Dabei gibt es bei Hamsun eigentlich eher ein unglaublich faszinierendes Erzählerverhalten und ein Kaleidoskop von unterschiedlichsten Figuren, die oft in geradezu trostloser Ödnis dahinleben, aber trotzdem hoch sensibel gezeichnet sind.

Hamsun verleiht seinen Figuren literarisch eine Würde, die diese im alltäglichen Leben wohl nie erhalten hätten. Denn es sind arme, verzweifelte, kranke, begrenzte Menschen, Opfer von trostlosen Umständen, kurz und gut, kein Stoff aus dem Helden geschnitzt werden. Aber diesen Personen wird unabhängig von ihrem Verhalten ein Wert zugesprochen, und das ist schon ein radikal rebellisches Moment.

Daß in seinem eigenen Leben vieles in die Brüche ging, daß die Ehe offenbar nicht gerade glücklich war, das gehört alles zu einer Biographie und wird von Kolloen eher sachlich referiert, wobei der Bildteil einige unbekannte Kinderbilder zeigt, er konnte privates Material in ungeahnter Fülle sichten und nutzen. Manche Kuriosität kommt zustande, Hamsun kaufte nach seinem Cadillac einen Buick, den seine Frau Marie steuerte. Amerika war ihm unsympathisch, aber die amerikanischen Autos nicht – einer der vielen Widersprüche in Hamsuns Leben.

In den heiklen politischen Fragen kommt Kolloen nicht über den Kenntnisstand von Thorkild Hansen hinaus, vielleicht nicht ohne Grund. Hamsun schrieb Texte, in denen er das nationalsozialistische Deutschland unterstützte, er verfaßte sein Buch „Auf überwachsenen Pfaden“, in dem er lakonisch feststellte: „Es war nicht falsch, was ich schrieb.“ 1964 veröffentlichte Sten Sparre Nilson eine Sammlung der politischen Zeitungsartikel Hamsuns unter dem Titel „Knut Hamsun und die Politik“. Vielleicht kommt einmal der Tag, an dem diese Texte als das gelesen werden, was sie waren: Zeitdokumente und persönliche Meinungsäußerungen und mehr nicht.

Etwas allerdings ist wirklich neu, denn religiös war Hamsun immer indifferent, wenn man von den frühen Schriften absieht. Im hohen Alter angesichts der Notlage seiner Familie fand Hamsun offenbar Zugang zu christlichen Wahrheiten.In einem Brief an seine kranke Tochter Ellinor kommen berührende Sätze: „Jetzt geht es dir schlecht, jetzt ist genau der richtige , der einzige Augenblick, den du hast, um zu deinem und meinem guten Vater im Himmel zu gehen, tu es jetzt, meine über alles geliebte Tochter Ellinor. Wer dir das nun wieder schreibt, ist dein alter Papa: Geh zu Gott in deiner Not, erzähle deinem Bruder Jesus Christus, wie sehr du leidest, und bitte den Heiligen Geist um Führung, damit du es aushältst. Du kannst mir glauben, ich habe das selbst erfahren, sonst würde ich dir nicht dazu raten. Es wird dir sicher ein wenig fremd sein, wie es auch für mich war, aber du kannst dich darauf verlassen, daß es dir Linderung und Frieden schenken wird.“

Der beste Zugang zu Hamsun bleiben aber seine Werke, und wer kann, soll sich antiquarisch die alten Übersetzungen von Sandmeier/Angermann beschaffen. Sie sind genial, verglichen mit der neuen Übersetzung von Weibel. Oder die nur antiquarisch erhältliche einfühlsame Rororo-Monographie von Martin Beheim-Schwarzbach, die neue von Walter Baumgartner fällt erschreckend ab in ihrem Versuch, Hamsun zu dekonstruieren. „Es streunt ein Professor durchs Land, eine geborene Mittelmäßigkeit“, hätte Hamsun das wohl ebenso trocken wie arrogant kommentiert: „Ich habe die Zeit für mich, ich kann warten. Morgen ist auch noch ein Tag.“  

Ingar Sletten Kolloen: Knut Hamsun. Schwärmer und Eroberer. Narzisst und Nobelpreisträger. Landt Verlag, Jahr, kartoniert, 528 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

Foto: Der norwegische Komponist Christian Sinding und die Autoren Gunnar Heiberg und Knut Hamsun (v.l.n.r.), Gemälde von Henrik Lund (1926): „Es war nicht falsch, was ich schrieb.“

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