© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Die schwierigen Märtyrer
Wenn Widerständskämpfer gegen das NS-Regime rechts waren, tut man sich mit dem Gedenken schwer
Christian Vollradt

Die Irritation ist unübersehbar. Eigentlich sei er ja ein Nazi gewesen, der Pfarrer Karl Friedrich Stellbrink, der im November 1943 als Hochverräter und Wehrkraftzersetzer unter dem Fallbeil endete. Der Volksgerichtshof hatte den evangelischen Pastor aus Lübeck gemeinsam mit drei katholischen Geistlichen zum Tode verurteilt, unter anderem weil er deutliche Worte gegen das Unrechtsregime gefunden und Predigten des Münsteraner Bischofs Clemens August Kardinal Graf von Galen weiterverbreitet hatte, in denen das nationalsozialistische Euthanasieprogramm angeprangert wurde.

Vor knapp einem Monat nun, am 25. Juni 2011, wurden die hingerichteten Kapläne Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller seliggesprochen, zugleich gedachte man auch ihres Mitstreiters Stellbrink. Doch wo immer in den (kirchlichen) Medien die Rede auf den 1894 geborenen Theologen kam, las man den Hinweis, er sei ein „schwieriger Märtyrer“, mit dem sich „mancher noch schwertut“ und der es einem nicht leichtmache, „ihn zu verehren“. Zum Beispiel weil er 1933 im Gemeindebrief verkündet hatte: „Jubelnd und dankbar wollen wir Gott loben, der unserm Volk zu den drei großen Deutschen Hermann, Luther, Bismarck den vierten geschenkt hat: Adolf Hitler, den Einiger der Deutschen!“

Weil der verwundete Veteran nach dem Ersten Weltkrieg ein glühender Nationalist gewesen ist, weil er wie so viele seiner Schicksals- und Zeitgenossen mit der liberalen Theologie gebrochen hatte, die nicht nur von links, sondern auch von rechts aus in die Kritik geraten war. Weil er – auch das nicht außergewöhnlich in seiner Generation – von einer „deutschen Nationalkirche“ geträumt hatte, die mit der alttestamentarischen und römischen Tradition brechen sollte. Daß es dabei zu Schnittmengen mit den nationalsozialistischen Deutschen Christen kam, liegt auf der Hand. Doch als das Regime sich immer totalitärer zeigte und die Hitlerjugend (HJ) neben der bündischen auch die evangelischen Jugendbewegung zu verdrängen trachtete, wich die Begeisterung des Parteimitglieds Stellbrink zunehmender Enttäuschung. Zum endgültigen Bruch kam es offenbar spätestens 1942, als NS-Funktionäre während einer Trauerfeier ein Kruzifix mit einem schwarzen Mantel verhüllen ließen; in den Augen Stellbrinks ein ungeheuerlicher antichristlicher Affront.

Doch bei aller Ehrung des Lübecker Märtyrers, verzichtet der offizielle deutsche Protestantismus nicht auf die Erwähnung des vermeintlichen Makels: „Wieweit Karl Friedrich Stellbrink am Ende seinen Nationalismus überwunden hat, bleibt eine offene Frage“, resümiert das vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland herausgegebene Magazin chrismon.

Letztlich spiegelt sich in solchen Distanzierungen nur die Verdruckstheit wider, die hierzulande Allgemeingut geworden ist im Umgang mit einem Widerstand, der nicht von Grund auf „antifaschistisch“ (oder wenigstens liberal-bürgerlich) war. Dies betrifft – als prominentere Personen – etwa den ehemaligen Berliner Vizepolizeipräsidenten und Mitverschwörer des 20. Juli Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg oder den Philosophieprofessor und Weiße-Rose-Mentor Kurt Huber. Schulenburg befürwortete zunächst den Nationalsozialismus als neue Form des Preußentums, setzte auch noch, als er schon längst zum Kritiker geworden war, auf einen „guten“ ideellen Kern. Huber plädierte für ein „germanisches Staatsmodell“ anstelle der westlichen Demokratie, zog in seiner Verteidigung vor dem Volksgerichtshof gegen den „inneren Bolschewismus“ des Nationalsozialismus zu Felde und forderte die „Abstoppung dieses Linkskurses“.

Warum gerade der einst begeisterte Gefolgsmann des Nationalsozialismus zu seinem erbittertsten Gegner werden konnte, nachdem er dessen Verbrechen gewahr wurde? Weil „der Zerstörer innerhalb seiner Interessensphäre ihm zum ärgsten, erbittertsten Feind“ werden mußte, wie Botho Strauß in seinem legendären Essay „Anschwellender Bocksgesang“ den Gegensatz zwischen dem „Rechten“ und dem „Nazi“ erklärte. Das können oder wollen diejenigen nicht verstehen, die im Widerstand partout eine „Vorläuferschaft vom Standpunkt unserer Gegenwart“ konstruieren müssen, was der Historiker Walter Bußmann bereits vor über vierzig Jahren beklagte.

Die vulgäre Form dieses Unverständnisses äußerte sich im vergangenen Dezember, als eine Gedenktafel für Claus Schenk Graf von Stauffenberg in dessen jahrelanger Garnisonsstadt Bamberg von Linksextremisten mit der Parole „Nazidreck“ verunstaltet wurde. Der gemäßigteren Form dieses Unverständnisses verlieh jüngst Constanze Maase, Pfarrerin und Beauftragte für das Märtyrergedenken des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg, Worte, als sie das Wirken des „umstrittenen“ Widerständlers Karl Friedrich Stellbrinks so resümierte: „Daß er solchen Mut bewiesen hat in seiner öffentlichen Position, daran müssen wir uns heute messen lassen – zum Beispiel wenn wieder Nazis in Lübeck demonstrieren wollen.“ Das ist – dialektisch – so falsch, daß es schon fast wieder richtig ist.

 

Chronik 20. Juli 1944

Mittags: Oberst Stauffenberg meldet sich beim Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, im „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ (Ostpreußen).

Als Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres soll Stauffenberg an einer Lagebesprechung mit Hitler teilnehmen. Vormittags werden Mitverschwörer in Berlin und Paris vom bevorstehenden Attentat in Kenntnis gesetzt. Stauffenberg und sein Adjutant, Oberleutnant Werner von Haeften, betätigen den Zeitzünder. Weil sie gestört werden und aufgrund der Eile kann jedoch nur die Hälfte des vorgesehenen Sprengstoffs scharf gemacht werden;

Ca. 12.45 Uhr: Die Bombe explodiert, Hitler wir jedoch nur leicht verletzt. Stauffenberg kann aus der „Wolfsschanze“ entkommen und erreicht um 13.15 Uhr das Flugzeug, das ihn von Ostpreußen nach Berlin fliegt. Weil sie nicht genau wissen, ob Hitler tatsächlich tot ist, zögern der reaktivierte Generaloberst Erich Hoepner und General Friedrich Olbricht in Berlin, die „Operation Walküre“ – das Startsignal für den Putsch – auszulösen. In Paris gibt ein eingeweihter Offizier den Tod Hitlers und die Bildung einer Regierung unter den Widerstandskämpfern Ludwig Beck und Carl Goerdeler bekannt.

15.15 Uhr: Stauffenberg ist gelandet, er läßt sofort die Nachricht von Hitlers Tod telefonisch verbreiten. „Walküre“ wird ausgelöst, in den Wehrkreisen des Reiches soll dadurch die Wehrmacht die vollziehende Gewalt übernehmen und die Partei sowie alle NS-Organisationen entmachten. In Berlin ist das Wachbataillon alarmiert, welches das Regierungsviertel abriegeln soll; der Berliner Stadtkommandant, General Paul von Hase, gehört zum Widerstand. Noch vor dem Eintreffen Stauffenbergs an seinem Dienstsitz in der Bendlerstraße, wo sich auch andere Mitverschworene schon versammelt haben, erfährt der Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Friedrich Fromm, daß Hitler lebe. Er weigert sich daraufhin, die Verschwörung weiter zu unterstützen und wird festgesetzt.

16.30 Uhr: Das Fernschreiben „Der Führer ist tot ...“ wird abgesetzt. Mittlerweile treffen aus Ostpreußen Gegenbefehle ein; von der „Wolfsschanze“ aus läßt Keitel verkünden, daß nur Heinrich Himmler als neuem Befehlshaber des Ersatzheeres Folge zu leisten sei, Hoepners Befehle seien nichtig. Nachdem er in Goebbels Amtssitz mit Hitler telefoniert hat, wendet sich der Kommandeur des Wachbataillons, Major Otto Ernst Remer, gegen die Putschisten. Er erhält von Hitler den Befehl, den Aufstand in Berlin niederzuwerfen. Wegen der widersprüchlichen Meldungen werden in den meisten Wehrkreisen die Befehle aus der Bendlerstraße nicht befolgt. Nur in Paris, Wien und Prag kommt es zu Verhaftungen von SS-Führern.

Ca. 21 Uhr: Als der Rundfunk eine Ansprache Hitlers ankündigt, sind Teile des Bendlerblocks vom Wachbataillon besetzt. Schon eine dreiviertel Stunde vorher hält Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben das Unternehmen für gescheitert. Kurz vor Mitternacht wird Generaloberst Beck nach einem Selbstmordversuch erschossen, später meldet Fromm an alle Wehrkreise, der Putsch sei blutig niedergeschlagen worden. Stauffenberg und drei weitere Widerstandskämpfer werden um diese Zeit im Bendlerblock standrechtlich erschossen.

Foto: Akteure des 20. Juli 1944 präsentiert in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Die grassierende geschichtspolitische Unsitte, die „Vorläuferschaft vom Standpunkt unserer Gegenwart“ zu konstruieren

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