© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Gegen die organisierte Verantwortungslosigkeit
Der langjährige ZDF-Korrespondent Günter Ederer rechnet mit Multikulti-Ideologie, Bürokratiewahn und Bildungsverfall ab
Hans-Joachim von Leesen

Wenn der Begriff „Wutbürger“ auf einen Publizisten zutrifft, dann auf Günter Ederer mit seinem Buch „Träum weiter, Deutschland! Politisch korrekt gegen die Wand“. Ederer hat jahrzehntelang für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als Journalist aus aller Welt berichtet, darunter sechs Jahre lang als ZDF-Korrespondent aus Tokio. Schwerpunkt war die Wirtschaft, doch in diesem Buch behandelt er auch andere Kernprobleme Deutschlands und Europas, die hartnäckig von unseren derzeitigen Regierungen gesundgeredet, verschwiegen, geschönt werden, ohne daß sie ihre Gefährlichkeit verlieren. Diese Zeitung hatte mit Erlaubnis des Autors bereits einen Abschnitt über die deutsche Bevölkerungspolitik veröffentlicht, die sich dadurch auszeichne, daß man die Dinge treiben lasse (JF (23/11). Wütend greift der Autor die in der Bundesrepublik grassierende Propaganda an, nach der eine möglichst offene Einwanderung unser Bevölkerungsproblem löst. Er schildert die Folgen: Immer mehr Hochqualifizierte wandern aus Deutschland aus, um Platz zu machen für Ungebildete.

Sein Hauptthema aber ist die Wirtschaft. Bald wird die Bundesrepublik zwei Billionen Euro Schulden haben – eine unvorstellbare Zahl, zu der noch sieben Billionen hinzuzufügen sind, die in Gesetzen festgeschrieben sind, für die es aber keine Deckung gibt wie etwa Beamtenpensionen, Renten oder Kranken- und Pflegekosten. Eine Billion: das sind eine Million Millionen, also 10 hoch 12! An eine Tilgung ist nicht zu denken. Ursache sei, so Ederer, die im Prinzip der Demokratie verankerte Notwendigkeit, die Bürger vom Staat beschenken zu lassen, damit die Parteien bei Wahlen die Stimmen der Bürger bekommen. Die nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen EU wachsenden Sozialausgaben verursachen das Gegenteil ihrer vorgegebenen Ziele: durch sie sinken die Löhne, steigt die Zahl der Arbeitslosen, verringert sich die Anzahl der Geburten. Das einzige, was wächst, ist die Bürokratie.

Die Fehlentwicklung ist einer politischen Klasse zu verdanken, die sich längst von den Prinzipien gelöst hat, durch welche die Bundesrepublik nach dem Kriege wieder aufgebaut worden ist. Günter Ederer sieht als Motor des deutschen Wirtschaftswunders Ludwig Erhards ordoliberale Wirtschaftsordnung, die auf Freiheit und auf die Initiative des einzelnen Bürgers setzte. Voraussetzung dafür sei, so Ederer, ein starker Staat, der bei Fehlentwicklungen gegensteuern kann. Fehlt der, entwickelt sich ein Raubtierkapitalismus, den er, so wie er sich heute darstellt, die „organisierte Verantwortungslosigkeit“ nennt. Keiner hat die Verantwortung, es gibt keine Transparenz der Wirtschaftspolitik, und so bilden sich Monopole, die den Wettbewerb ersticken. So entwickelte sich in der Bundesrepublik ein „verdeckter Staatsmonopolkapitalismus“, der die Bürger gängelt und eine Umverteilungspolitik von unten nach oben betreibt. Von sozialer Marktwirtschaft wie zu Ludwig Erhards Zeiten könne nicht mehr gesprochen werden. Das chaotische Steuerrecht, komplizierte, für die Bürger undurchschaubare Gesetze und ein Bildungssystem, das trotz einander jagender ideologisch bedingter Reformen seine früher einmal in Europa führende Rolle verloren hat, sind die weiteren Gründe, die den Staat in den Abgrund treiben müssen.

Ederer bestreitet, daß diese Entwicklung „alternativlos“ sei. Er zeigt durchaus Alternativen auf, so die, daß Deutschland die weiteren Einwanderer streng auswählt, wobei deutsche Interessen im Vordergrund stehen. Es genügt nicht, daß in jedem Wahlkampf die Parteien hoch und heilig schwören, sie würden sich der Entbürokratisierung widmen. Der Abbau muß endlich ernsthaft angepackt werden, auch wenn Interessengruppen sich wehren. Die Verwaltungen etwa im Bildungswesen müssen kräftig zurückgestutzt werden, wozu eine durchgreifende Reform des Föderalismus gehört, den uns – was immer wieder vergessen wird – in dieser Form die Besatzungsmächte beschert haben, um Deutschland zu schwächen. Auch in der Bildung solle wieder gelten, daß ausschließlich die Leistungen Beurteilungskriterien sind, auch die Leistungen der Lehrer.

Mit diesem Buch liest ein Spitzenjournalist, der die Welt nicht nur vom Schreibtisch aus kennengelernt hat, der politischen Klasse die Leviten. Er wünscht sich eine neue Partei fernab von dem Ziel, die Bürger mit Hilfe der Political Correctness zu bevormunden und ihnen die Daseinsvorsorge abzunehmen, eine Partei, die die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft im Geiste Ludwig Erhards praktiziert.

Günter Ederer: Träum weiter, Deutschland! Politisch korrekt gegen die Wand. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2011, gebunden, 366 Seiten, 21,95 Euro

Foto: Unerledigtes in Deutschland: Hartnäckiges Gesundreden, Schönen und Verschweigen

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